Ein Mann und eine Frau stehen hinter einem Tresen

Doris Lühring alias Oma Mühle war ein wahrliches Unikat. © Privat

Wie ein Derwisch hinterm Tresen: Ein Nachruf auf Oma Mühle

rnDoris Lühring

Theodora (Doris) Lühring, den Herbernern auch bekannt als Oma Mühle, ist gestorben. Was allerdings weiterlebt, sind die vielen Erinnerungen, die unsere Autorin und viele andere mit ihr verbinden.

Herbern

, 24.08.2022, 06:05 Uhr / Lesedauer: 4 min

In einem Lied von Trude Herr aus dem Jahr 1987 heißt es im Refrain „Niemals geht man so ganz, irgendwas von mir bleibt hier, es hat seinen Platz immer bei dir“. So wird es künftig sein. Theodora (Doris) Lühring, oder ganz einfach Oma Mühle, hinterlässt viele Erinnerungen bei den Menschen, die sie liebten und kannten. Bekannt war sie wie ein bunter Hund; das nicht nur in Herbern. Im Alter von 78 Jahren verstarb die Wirtin mit dem losen Mundwerk und dem riesengroßen Herz nun im Kreise ihrer Familie.

Meine Erinnerungen an Oma Mühle sind vielfältiger Natur. Im Jahr 1991 lernte ich sie zuerst als Gast kennen und war sprachlos. Wie ein Derwisch wirbelte sie hinterm Tresen und bollerte jeden an, der etwas ungeduldig oder unfreundlich war, oder einfach mal einen schlechten Tag hatte. So jemanden wie Doris hatte ich bis zu dem Zeitpunkt nicht kennengelernt. Sie war ein einzigartiger Mensch. Sucht man ein Synonym für einzigartig, gibt es rund 878 verschiedene in 28 Gruppen. Von diesen 878 traf ein Großteil auf sie zu. Man mochte sie oder eben nicht.

Ich mochte sie sehr. Sie vereinte viele Eigenschaften, die ich persönlich an einem Menschen schätze. Stets freundlich und höflich zu jedermann und immer ehrlich. Sehr ehrlich und dabei oftmals sehr grob. Viele ihrer Sprüche klingen immer noch nach: „Ach ne, was willst du denn hier, du alter Sack?“ oder „Bist du noch ganz dicht?“ oder noch deutlich derbere Sachen. Wer sie kannte, wusste das genau einzuschätzen, ob es Ernst war oder Spaß. Wer sich den Schuh anzog, zahlte und ging, hatte es halt nicht anders verdient. Sie lebte für ihren Beruf.

Die Gaststätte pachtete die Familie 1974, 1978 folgte der Kauf

Aufgewachsen mit zwei Schwestern und einem Bruder in Ahlen, erlernte sie als junges Mädchen den Beruf der Hauswirtschafterin und arbeitete in einer Kantine in Ahlen, in der sie ihren Ehemann Heinrich (83) Ende der 60er Jahre kennen und lieben lernte. Am 13. Dezember 1978 haben die beiden geheiratet. Die Gaststätte zur alten Mühle wurde 1974 gepachtet und 1978 gekauft.

Das war die Geburtsstunde einer Gastwirtschaft, die noch heute viele Stammgäste hat. Am 1. April 2010 hat Sohn Heinz die „Traditionskneipe“ übernommen, nachdem feststand, dass Oma Mühle nach mehreren Schlaganfällen und einem Hirnschlag in keinem Fall mehr hinter ihre heißgeliebte Theke durfte/konnte. Das tat mir im Herzen weh. Sie war Wirtin aus Leidenschaft. Jeden Tag saß sie bereits um 8.30 Uhr am Tresen und schälte Kartoffeln für den Mittagstisch, während Ehemann Heinz in der Küche werkelte.

Viele Menschen stehen für ein Foto zusammen

Doris und Heinz Lühring in ihrem Biergarten im Kreise der Familie. © Privat

Es gab eine genaue Arbeitseinteilung. Oma war für die Kneipe zuständig, Opa für die Küche. Morgens um 8 Uhr schloss er die Kneipe auf und abends wieder ab. Geduldig wartete er im Wohnzimmer immer auf seine Frau, die den Bierhahn erst nach oben drehte, wenn der letzte Gast gegangen war. Wie oft haben wir morgens zusammen Kaffee getrunken und Geschichten erzählt; diese würden Seiten füllen. Hier muss ich mich nun auf 200 Zeilen beschränken und bin hin- und hergerissen, was unbedingt erwähnt werden muss. Als ich am Dienstagabend mit der Familie zusammengesessen hab, kam so viel zusammen, dass ich tatsächlich überlege, ein Buch zu schreiben, in dem alle Menschen Geschichten erzählen, die an eine wundervolle Frau erinnern, die sich gerne hinter ihrer Ruppigkeit versteckt hat.

„Es gab abwechselnd Hühnerfrikassee und Steckrüben“

Die Kinder Birgit (leider 2021 unerwartet im Alter von 53 Jahren verstorben), Dieter, Doris, Heinzi und Dirk sowie acht Enkelkinder werden ihre Mama und Oma schmerzlich vermissen. Enkel Dennis trifft den Nagel auf den Kopf: „Ihre große Klappe war so groß wie ihre Herzlichkeit und Güte.“ Da hatte ich dann schon Pipi in den Augen.

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Wie sehr ihre Gäste sie mochten, lässt sich an vielen Dingen festmachen. Ob einfach mal ein Strauß Blumen zwischendurch als Mitbringsel oder auch das Geschenk des Kegelvereins Flotte Buben (inzwischen aufgelöst) zu ihrem Fünfzigsten. Die Mitglieder bauten ihr einen Zaun um den Biergarten und später noch die Hütte für den Außenausschank. All diese Dinge macht man nicht für jemanden, der einem gleichgültig ist. Sie war ein Familienmensch und der Mittwoch als Ruhetag war immer Familienzeit. An diesem Tag hat ausnahmsweise Oma immer den Kochlöffel geschwungen. „Es gab abwechselnd Hühnerfrikassee und Steckrüben“, erinnern sich ihre Kinder.

Eine Frau und ein Mann trinken Bier und Schnaps

Wie ein Derwisch wirbelte sie hinter der Theke, erinnert sich unsere Autorin. © Privat

Schwiegersohn Jörn denkt noch gerne an die aufgestellten Spielautomaten Pacman oder Donkey Kong in den 80ern zurück. „Dort hab ich mit meinen Kumpels in den Sommerferien mein komplettes Taschengeld verzockt.“ Im Eingangsbereich existiert auch immer noch das kleine Fenster, aus dem Oma Eis oder Schnuckerzeug an die Kids verkauft hat. „Die Arbeit war ihr Lebensglück“, weiß Tochter Doris. „Oma hatte das Sagen und alle haben gespurt. Das hat gut funktioniert.“

Alle ihre Stammgäste kannten auch „Omas Hausordnung“. Wenn ihr jemand krumm kam, wurde ihr weißer Birkenstock zum Wurfgeschoß und mit dem Baseballschläger mit der Aufschrift „Aspirin aus Mallorca“ drohte sie gerne mal spaßeshalber. Sie liebte das Lied „Du dusselige Doris“, die Freitage an denen sie mit Bierverleger Daniel Zimmermann immer um ein Eis geknobelt hat und ihre Rosen im Biergarten. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie faul rumgesessen hat. Wenn hinterm Tresen nichts zu tun war, schnappte sie sich den Staublappen und fing an zu wienern. In den Urlaub sind beide nie gefahren. Die Kneipe war Hobby, Urlaub und Arbeitsplatz zugleich.

Sie war ein Unikum, ein Unikat; sie hat geblökt, gemeckert und Frieden gestiftet; war großzügig und spendabel und immer da, wenn man sie brauchte. Jeder zweite Herberner kennt wahrscheinlich unzählige Geschichten, die Doris und ihre Mühle in den vergangenen Jahrzehnten geschrieben haben. Ich gehe fest davon aus, dass sie oben im Himmel auch eine Kneipe aufmacht; mit ihrer Perle Heike und Tochter Birgit wird sie für ordentlich Stimmung sorgen. Mir wird sie fehlen. Mach’s gut Doris. Wer Doris auf ihrem letzten Weg begleiten möchte, kann dies am Mittwoch, 31. August, um 13 Uhr an der Trauerhalle von Michael Goßheger tun.

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