Ein familienfreundlicher Ort – da ist man sich einig. Für Jugendliche und Senioren aber ist nicht alles optimal, denn ein Problem ist allumfassend. Der 2. Teil des Ortsteil-Checks Herbern.
Um die Kinder großzuziehen, ist Herbern optimal“, sagt Judith Spigiel (41), Mutter von drei Kindern und selbst in Herbern groß geworden. Spigiels jüngste Tochter ist vier Jahre alt. Sie wächst auf, umgeben von Grün, in ruhiger Atmosphäre und mit zwei älteren Geschwistern, die das ländliche Leben ebenfalls schätzen, aber jetzt – im Teenager-Alter – wohl auch die Nachteile kennenlernen.
Beim Thema Familienfreundlichkeit schneidet Herbern mit 8 von insgesamt 10 Punkten gut ab, im Vergleich aber haben Jugendliche das Nachsehen (6 von 10 Punkten). „Mit 17 Jahren war ich selbst fest davon überzeugt, dass ich wegziehe“, sagt Judith Spigiel. „Mit dem Führerschein hat sich das dann relativiert.“
Viele Angebote auf Vereinsebene
Und genau das ist wohl der Punkt: Auf Vereinsebene werden Jugendliche in Herbern durchaus abgeholt – SV Herbern, Motorsportclub (MSC), Jugendfeuerwehr, Jugendrotkreuz, Landjugend und die Musikschule, die ebenfalls vor Ort aktiv ist.
Aber einfach mal nach Münster oder Dortmund fahren oder nur mal in die Nachbarstadt Werne – ohne Führerschein ein kleiner Kraftakt und immer auch Sache der Eltern. Das Thema Verkehrsanbindung, das bereits im ersten Teil unseres Ortsteil-Checks am vergangenen Dienstag angesprochen wurde, zieht sich durch und hat auch Auswirkungen auf andere Kategorien.
Klar, mit dem Zug kommen Jugendliche am Wochenende von Capelle aus gut nach Dortmund oder Münster – kleiner Einschub: wenn die Eurobahn fährt und wenn es mit dem Schienenersatzverkehr in Zukunft gut klappt, sollte die Bahn die Reparaturarbeiten auf der Bahnstrecke noch in diesem Jahr angehen wollen.
Aber abends – womöglich im Dunkeln – als junge Frau mit dem Fahrrad vom Bahnhof in Capelle aus zurück nach Herbern? „Da kommen dann wahrscheinlich doch wieder die Eltern mit dem Auto ins Spiel“, sagt die 41-jährige Herberanerin.
Ihre beiden älteren Kinder, eine 13-jährige Tochter und ein 15-jähriger Sohn, seien in ihrem Alter keineswegs unzufrieden, in Herbern zu wohnen: „Was aber fehlt, sind Möglichkeiten, sich zu treffen und einfach mal zu quatschen“, sagt Spigiel.

Der Jugend- und Integrationstreff "JuIn" hat 2018 im ehemaligen Haus Berger an der Südstraße eröffnet. © Helga Felgenträger (Archiv)
Eine Möglichkeit wäre der Treff der Offenen Jugendarbeit Ascheberg (OJA) im neuen Jugend- und Integrationszentrum in Herbern, der am 17. Mai 2018 eröffnet hat. „Mein Sohn war selbst noch nicht da“, sagt Spigiel, treffe sich mit seiner Clique an den Wochenenden gerne bei Freunden zu Hause; viel lieber, als mit den anderen Cliquen im Jugendzentrum an der Südstraße abzuhängen. Die Jugendlichen wollen unter sich sein.
„Zu meiner Zeit gab es das Vampirschlösschen im heutigen Mel’s Café, eine kleine Kneipe, in der wir auch mal Billard spielen konnten.“ Spigiels Sohn spielt Fußball beim SVH, geht in Werne zur Schule, dementsprechend viele Freunde wohnen auch dort. Die mobile Freiheit ist und bleibt ein Knackpunkt.
Doch nicht nur Jugendliche, sondern auch Senioren geraten beim Thema Mobilität ins Hintertreffen. „Speziell ältere Menschen, die nicht mehr selbst mit dem Pkw fahren können, haben in Herbern das Nachsehen“, schreibt eine Umfrage-Teilnehmerin. „Meine Eltern sind beide noch fit“, sagt Spigiel. „Aber sobald sie nicht mehr Auto fahren können, haben sie ein Problem.“

Einwohnerzahlen Herbern. © Quelle: Gemeinde/Grafik: Hasken
Das wurde positiv bewertet:
Die Lebensqualität: Es lässt sich gut leben in Herbern. 9 von 10 möglichen Punkten sind in dieser Kategorie ein klares Statement. „Ich wohne seit zwei Jahren hier und fühle mich wohler denn je“, schreibt eine Teilnehmerin unserer Umfrage. „Ein ruhiges schönes Wohnen in dieser hektischen Zeit, aber das muss man wollen“, sagt eine andere. Die wohl kürzeste Anmerkung: „Ich liebe es“.
Radfahren: Das ist wahrlich keine Überraschung für das Dorf im Grünen. Auch hier vergeben die Herberaner 9 von 10 Punkten. Bei der Radtouristik des SV Herbern steigen jährlich Tausende Teilnehmer aufs Rad. Die 20. Radtouristikfahrt findet am 20. Juni 2019 (Fronleichnam) statt – und auch in diesem Jahr kann wieder jeder mit dabei sein.
Was sich viele wünschen und worauf vor allem auch die Ascheberger SPD immer wieder pocht, ist ein Radweg von Herbern nach Mersch. Im jüngsten Planungsausschuss teilte Fachbereichsleiter Klaus van Roje mit, dass es einen Erstkontakt zwischen Verwaltung und den Grundstückseigentümern auf dieser Strecke gegeben habe.
„Wir werden nun den Wünschen und Anforderungen nachgehen“, so van Roje. Ein Vorhaben, das durch die Vielzahl an Eigentümern viel Zeit und Ressourcen koste.
Familienfreundlichkeit: Mit jeweils 8 von 10 Punkten steht Herbern auch beim Thema Familien- und Kinderfreundlichkeit gut da. „Herbern ist für mich persönlich der beste Ort, um Kinder großzuziehen“, schreibt eine Umfrageteilnehmerin. „Herbern ist kinderfreundlich“, heißt es an anderer Stelle. Und trotzdem gibt es kleine Abstriche: „Mehr Familienangebote“, fordert jemand.
Anne Zuhmann (31) etwa fährt mit ihrer einjährigen Tochter zum Turnen nach Werne, weil es in Herbern derzeit kein Angebot gibt. „Es gibt eine Lücke im Eltern-Kind-Turnen, weil im Moment ein Übungsleiter fehlt“, stimmt Judith Spigiel zu. Der SVH aber suche händeringend.
Das wurde negativ bewertet:
Senioren: Beim Thema Senioren (7 von 10 Punkten) geht es keineswegs nur um die Mobilität im Alter. „Es fehlt eine Tagespflegeeinrichtung für Pflegebedürftige“, merken einzelne Herberaner in unserer Umfrage an. Dem Pflegedienst Müller-Vorspohl sei bekannt, dass die Nachfrage da sei, bestätigt Gertrud Vorspohl.
Und auch die Barrierefreiheit und das Angebot an Behindertenparkplätzen seien ausbaufähig. „Eine Katastrophe“, schreibt eine Umfrage-Teilnehmerin: „Ich bin auf den Rollator angewiesen und komme im Dorf kaum zurecht. Nicht einmal der Edeka hat Behindertenparkplätze.“

Die Sparkassen-Filiale in Herbern ist nur über eine Stufe zu erreichen. © Claudia Hurek
Tatsächlich sind nicht alle Anlaufstellen im Ort komplett barrierefrei – etwa die Sparkasse oder der Lottoladen. „Wir sind ständig dabei, etwas zu machen“, sagt Helmut Sunderhaus von der Gemeinde Ascheberg auf Anfrage. In der Aula der Profilschule wurde jüngst etwa eine Behindertentoilette eingebaut.
In Sachen Barrierefreiheit arbeite man in der gesamten Gemeinde weiter am Entschärfen von Bürgersteig-Übergängen. Seit Mitte März hat die Gemeinde mit Miriam Lepper außerdem eine eigene Inklusionsbeauftragte.
- Am 19. Januar 1835 wird der letzte Wolf in Westfalen erlegt.
- Herbern scheidet 1845 aus dem Amt Werne aus und wird als Amt Herbern ein selbstständiger Verwaltungsbezirk.
- 1923: Die beiden Gemeinden Herbern und Stockum bilden das Amt Herbern.
- Im Zuge der kommunalen
Neugliederung wird Herbern 1975 Teil der Gemeinde Ascheberg im neu konstituierten Kreis Coesfeld. (Quelle: Heimatverein)Dieses historische Foto von 1959 zeigt Geschäfte und eine Gaststätte an der Südstraße in Herbern, die heute nicht mehr existieren. © Hubert Schwartländer (Archiv)
Arbeitet seit Juni 2024 in der Redaktion des Hellweger Anzeigers. War in den vergangenen Jahren bereits für die Ruhr Nachrichten im Kreis Unna unterwegs. Mag Nachrichten und persönliche Geschichten gleichermaßen, arbeitet aktuell aber eher im Hintergrund.
