
© Claudia Hurek
Fünffachmama holt Schulabschluss nach: „Niemals scheuen, Hilfe anzunehmen“
Jessica Munsch
Sie hat eine turbulente Jugend hinter sich, fünf Kinder von drei verschiedenen Vätern und jetzt ihren Schulabschluss nachgeholt. Jessica Munsch kämpft gegen die Vorurteile gegen Mehrfachmamas.
Im Jahr 2019 waren ca. 2,2 Millionen Mütter alleinerziehend. Zu dieser von der Statistik erfassten Zahl gehört Jessica Munsch aus Ascheberg. Eine weitere Statistik aus dem Jahr 2020 sagt aus, dass Frauen durchschnittlich 1,53 Kinder bekommen, wenn sie 30,2 Jahre alt sind. Hier allerdings trifft die Statistik nicht auf Jessica Munsch zu. Denn sie ist im Alter von 36 fünffache Mama; ihre drei Söhne und zwei Töchter sind zwischen 4 und 13 Jahre alt.
„Meine Lebensplanung als ich 15 Jahre alt war, war ganz klar eine andere“, so die junge Frau. „Aber wie so oft im Leben kommt es anders.“ Als fünffache Mama, die Kinder noch dazu von drei verschiedenen Vätern hat, hat sie oftmals mit Vorurteilen zu kämpfen. Hier gehört „Die kriegt die Kinder nur, um vom Kindergeld zu leben“ noch zu den harmlosesten. „Das tut schon weh, wenn ich so etwas zu hören bekomme; ein Großteil dieser Menschen kennt mich und meine Lebensgeschichte gar nicht. Leider haben auch meine Kinder oftmals mit Mobbing und gemeinen Sprüchen zu kämpfen.“ Aus diesem Grund möchte Jessica ihre Geschichte erzählen.
Ladendiebstahl, Drogen und eine „Null-Bock-Phase“
Geboren und aufgewachsen mit zwei Halbbrüdern, Stationen in Münster, Appelhülsen und Seppenrade änderte sich ihr Leben als sie in der Pubertät an die „falschen“ Freunde gerät und in der 9. Klasse vom Gymnasium fliegt. „Ich habe dann allen Scheiß mitgenommen. Ladendiebstahl, Drogen und dazu eine noch eine ‚Null-Bock-Phase‘. Erst jetzt, wo ich selbst Mutter bin, weiß ich, was ich meinen Eltern zugemutet hab.“
Mehrere Anläufe, zumindest den Hauptschulabschluss nachzuholen, scheiterten kläglich; eine zugesagte Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau setzte sie bereits im Praktikum aufs Spiel. Mit 18 zog sie von zu Hause aus und hatte, wie sie es formuliert, „ein sehr kaputtes halbes Jahr in Münster“. Der Kontakt zu den Eltern war in dieser Zeit schwierig. „Letztendlich waren die beiden aber immer für mich da.“
Erst ein Job bei einer Firma in Herbern brachte die Wende. Leider musste ihr Arbeitgeber Insolvenz anmelden. Durch viel Glück erhielt sie einen Job als Zugbegleiterin, bei einem Subunternehmer der Deutschen Bahn. „Die Arbeit war mit 7,23 Euro deutlich unterbezahlt und statt der im Arbeitsvertrag vereinbarten 20 Wochenstunden kam ich in manchen Monaten auf insgesamt 260 Stunden.“ Aufgrund falscher Anschuldigungen von ehemaligen Kollegen wurde der Arbeitsvertrag am Ende eines Gerichtsverfahrens in gegenseitigem Einvernehmen aufgelöst, so die Aschebergerin.
Durch gemeinsame Freunde lernte Jessica den Vater ihrer ersten drei Kinder kennen und zog zu ihm nach Marl, wo das frischverliebte Paar das erste Jahr auf dem Dachboden der Schwiegereltern lebte. „Die Beziehung war eigentlich von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Aber wer liebt, trifft oftmals die falschen Entscheidungen.“
Jessica Munsch nahm ihr Leben selber in die Hand
Psychoterror, ein fauler, arbeitsloser und lebensunfähiger Mann, sagt Munsch, zwangen sie nach der Geburt des dritten Kindes endlich zum Handeln und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. „Er hat Drogen genommen, seinen Führerschein verloren. Mit Unterstützung der Caritas und des Jugendamtes habe ich noch rechtzeitig den Ausstieg aus einem bis dahin schon sehr verkorksten Leben geschafft.“
In einer Nacht- und Nebelaktion floh sie aus Marl und kam für die erste Zeit bei Freunden in Ascheberg unter. Aus kurzen Beziehungen mit zwei weiteren Männern stammen die beiden jüngsten Kinder. „Das war so nicht geplant. Aber ein Schwangerschaftsabbruch wäre für mich niemals in Frage gekommen.“ Seit gut sechs Jahren wohnt die Familie in einem kleinen Reihenmittelhaus am Rheinsbergring. Die beiden älteren Kinder besuchen die Profilschule, die zwei nachfolgenden die Grundschule und das Nesthäkchen geht in die Kita.
„Ich war jetzt die letzten dreizehn Jahre zu Hause und ganz für meine Kinder da. Nun sind alle in dem Alter, wo ich an unsere Zukunft denken kann, um endlich aus dem Leistungsbezug herauszukommen. Ich möchte ja nicht die nächste Hartz-4-Generation großziehen.“ Die Väter der Kinder zahlen keinen Unterhalt, so dass sie diesen ebenfalls als Vorschuss vom Amt bezieht. Einkäufe bei der Ascheberger Tafel entlasten zudem die knappe Haushaltskasse.
Ihre Sachbearbeiterin beim Jobcenter unterstützte Jessica sehr bei ihrem Vorhaben, zuerst einmal ihren Hauptschulabschluss nachzuholen. Dank eines Bildungsgutscheines des Bildungsinstituts Münster konnte sie ihren Plan in die Tat umsetzen. Das vergangene Jahr verbrachte die Fünffachmama mit ihren „Schulkindern“ gemeinsam beim Homeschooling und durfte sich vor zwei Wochen über ein grandioses Zeugnis mit einem glatten Einser-Durchschnitt freuen. „Das macht schon stolz und hebt das Selbstwertgefühl. Ich kann also mehr als Kinder und Küche.“
„Vorurteile gegen Alleinerziehende mit mehreren Kindern abbauen“
Ab dem 18. August wird sie für zwei Jahre das Berufskolleg in Lüdinghausen in dem Fachbereich Gesundheit und Soziales mit dem Schwerpunkt Kinderpflege besuchen. Anschließend möchte sie eine Ausbildung zur Erzieherin absolvieren. „Mit Kindern kann ich ja prima umgehen“, sagt sie und schmunzelt. Beurteilungen aus Praktika in einer Kita in Olfen als Vorbereitung auf die spätere Arbeit sind durchweg positiv.
„Mein bisheriges Leben war nicht mein Wunschtraum“, zieht die junge Frau das Fazit aus 36 Jahren. „Meine Kids sind mein Ein und Alles und mein Glück. Ich hatte halt großes Pech bei der Partnerwahl.“ Neben den Kindern bleibt der jungen Frau noch etwas Zeit für ihr großes Hobby, das Elektronik-Dart. Als Mannschaftskapitänin spielt sie bei den Ruhrpott Patrioten in Lünen. „Das ist für mich der beste Ausgleich zum Alltag.“ Einen großen Wunsch hat die ehrgeizige Mama: „Ich würde gerne die Vorurteile gegen Alleinerziehende mit mehreren Kindern abbauen und egal, wo man im Leben steht, man sollte sich niemals scheuen, Hilfe anzunehmen.“
Seit fast 30 Jahren ist Herbern nun unser Zuhause und seit gut vier Jahren darf ich über meinen zweiten Herzensort berichten. Ich habe einen großartigen Job als freie Mitarbeiterin, der den eigenen Horizont um ein Vielfaches erweitert.
