Weihnachten und Geschenke per Video-Anruf: Das ist in vielen Familien in Haltern und der Welt so in diesem Jahr.

© Mareike Graepel

Weihnachten 2020: Das neu formatierte Fest der Ferne

rnWeihnachtskolumne

Die durch die Pandemie erzwungene Distanz bedeutet viel Sehnsucht nach Menschen, die nicht mit uns zusammen feiern können. In unserer Weihnachtskolumne berichten Familien, wie sie damit umgehen.

Haltern

, 25.12.2020, 05:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

„Formatieren bedeutet, Daten nach verbindlich vorgegebenen Vorschriften oder nach den Bedürfnissen des Benutzers anzuordnen und zusammenzustellen“, lese ich bei der Recherche zu diesem Text. Verrückt. Genau das tun wir alle gerade, deren Eltern und Großeltern nicht in der Nähe wohnen oder zu Risikogruppen gehören. Wir ordnen Weihnachten neu an, stellen es nach verbindlichen Vorschriften zusammen, nach den Bedürfnissen der „Benutzer“.

Normalerweise wäre bei uns die Oma aus Irland „dran“ mit Reisen – wir wechseln uns Jahr für Jahr ab. Aber wegen der Reisebeschränkungen und der langen Quarantäne in Irland, die für uns gelten würde, können wir den Weihnachtsrhythmus nicht tauschen und diesmal hinfliegen.

Und sie kann nicht reisen, weil sie an Krebs erkrankt ist und ihr Onkologe strengstens von allem abrät, was außerhalb ihrer eigenen vier Wände stattfindet.

„Aber was, wenn das mein letztes Weihnachten ist und ich habe es dann nicht mit den Enkelkindern gefeiert?“, hat sie mich gefragt. Darauf habe ich keine Antwort. Aber wir haben die Hoffnung, dass wir die Sehnsucht aushalten müssen, damit die Chance auf ein gemeinsames Fest im nächsten Jahr zumindest größer ist, wenn niemand an Covid-19 erkrankt.

Mit Traditionen muss gebrochen werden

Um andere und die eigene Familie zu schützen, haben neben uns auch viele andere Halterner Familien ihre Pläne neu „formatiert“ fürs Fest der Ferne. Familie Berse beispielsweise wird am zweiten Weihnachtstag mit einer lieb gewonnen Tradition brechen. Carmen Berse: „Üblicherweise wird dieser Tag mit den Schwestern, Schwägern, Nichten und Neffen gefeiert: in geselliger Runde über den ganzen Abend mit Wichteln, leckerem Essen, vielen guten Gesprächen und jeder Menge Spaß und gemeinsamem Lachen. Auf dieses Event werden wir alle in diesem Jahr verzichten. Stattdessen werden wir für ein kurzes Zusammentreffen mit den Schwägern und Schwägerinnen unsere Terrasse weihnachtlich schmücken. Wir werden uns dort kurz auf einen Glühwein treffen…“


Zoom-Abend, Spaziergang, Lagerfeuer

Auch im Hause Sträter ist das Fest normalerweise eins mit vielen Gästen und einer langen Tafel, um die sich alle gesellen. „Aber“, so Andrea Sträter, „Weihnachten ist bei uns ziemlich ambivalent in diesem Jahr – einerseits freuen wir uns, dass wir nicht Tische und Stühle schleppen und Unmengen an Lebensmitteln einkaufen müssen. Aber dann gibt es auch das große, schmerzende Herz, weil keiner kommen kann und man niemanden sehen kann.“ Aber es gibt ein Alternativprogramm. „Mit dem einen Teil der Familie machen wir einen Zoom-Abend, idealerweise über unseren Fernseher, da kann man sich in ganz groß sehen. Und mit meiner Schwester und ihren Kindern, mit der wir normalerweise Heiligabend verbringen, machen wir einen kleinen Spaziergang nachmittags und mit sicherem Abstand im Garten ein Lagerfeuer.“

Geselligkeit in digitaler Form

Auch bei Familie Rodenkirchen in Lippramsdorf ist Geselligkeit nur in digitaler Form angedacht. Sandra Rodenkirchen: „Mit dem Patenonkel werden wir am zweiten Weihnachtsfeiertag im Zoom-Videochat die Wichtelgeschenke auspacken. Ob wir die Oma und Opa aus Bielefeld sehen können, steht noch in den Sternen.“ Besinnlich soll es aber trotzdem werden, auch via Internet und fernmündlich. „Ich habe für alle Familienmitglieder kleine Weihnachtsgedichte ausgelost und per Post verschickt – so dass alle eins vortragen können, sollen, dürfen.“ Die Mutter von zwei Kindern lacht, als sie das sagt. Aber wenn wir uns nicht alle reinhängen und einander motivieren, macht sich über die Distanz zu schnell Lethargie breit. Und Familienmitglieder entgleiten uns.

Auch die Oma aus Irland bekommt ihre Geschenke in diesem Jahr digital.

Auch die Oma aus Irland bekommt ihre Geschenke in diesem Jahr digital. © Mareike Graepel

Psychotherapeut Christoph Theiling, Oberarzt an der LWL-Klinik in Lengerich, hat dazu erklärt: „Sprechen Sie rechtzeitig mit der Familie und Freunden darüber, mit wem und wie Sie Weihnachten verbringen werden.“ Auch sei es wichtig, nicht beeinflussbare Bedingungen frühzeitig zu akzeptieren. „Dies bedeutet nicht, etwas gutzuheißen oder einverstanden zu sein, sondern lediglich, die Realität so zu sehen, wie sie ist – bedingungslos.“

Geschenke im Auftrag der Oma in Irland gekauft

Bedingungslos muss auch die Übergabe von Geschenken über Tausende von Kilometern hinweg funktionieren. Früh haben wir mit der Oma in Irland abgesprochen, was sie den Mädchen schenkt, was wir in ihrem Namen einpacken und unter den Baum legen werden. Heiligabend wird sie dann per FaceTime live dabei sein, wenn die Kinder die Geschenke auspacken.

Patenschaft für Zoo-Tiere und Reise zum André-Rieu-Konzert

Wir haben hier ein Video gedreht mit ihren Geschenken: Wir schenken ihr zwei Patenschaften für Tiere im Zoo in Cork, Irland – für einen Roten Panda und einen Indischen Pfau. Weil sie da im Sommer mit den Mädchen so einen schönen Tag hatte, und wir damit den finanziell leidenden Tierpark unterstützen. Sie bekommt noch eine CD eines irischen Folk-Stars. Und eine Reise nach Maastricht zum André-Rieu-Konzert im Juli. Weil das ihr großer Traum ist. Und weil wir die Hoffnung auf keinen Fall aufgeben wollen, dass die Pandemie, die Ansteckungsgefahr und ihre Krebserkrankung das zulassen werden. Letzteres wäre das größte Geschenk für die ganze Familie.