Technologie aus Marl in die ganze Welt

Klimaneutralität

Eine von Evonik entwickelte Wasserstoff-Membran könnte wegweisend beim Gebrauch von Wasserstoff werden.

Marl

, 16.09.2021, 13:00 Uhr / Lesedauer: 3 min
Im Creavis Technikum in Marl lassen sich Regierungspräsidentin Dorothee Feller und Evonik-Personalvorstand Thomas Wessel (l.) die Funktionsweise einer speziell entwickelten Membran mit Dr. Oliver Busch (Leiter Neugeschäftsentwicklung Defossilierung) näherbringen.

Im Creavis Technikum in Marl lassen sich Regierungspräsidentin Dorothee Feller und Evonik-Personalvorstand Thomas Wessel (l.) die Funktionsweise einer speziell entwickelten Membran mit Dr. Oliver Busch (Leiter Neugeschäftsentwicklung Defossilierung) näherbringen. © Meike Holz

Sogar SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat im Wahlkampf das Thema Wasserstoff auf seiner Agenda - schließlich gehe es um die Klimawende und zukunftsweisende Energien. Im Kreis Recklinghausen hört man solche Statements gerne, vor allem auch im Marler Chemiepark, wo Evonik-Vorstand Thomas Wessel jetzt unter dem Motto „Praxistag Transformation“ einen Blick in die Zukunft warf.

Transport von Marl nach Leverkusen

Schon heute wird ein Teil des Wasserstoffs, der in Marl vor allem für die Chemieproduktion vor Ort hergestellt wird, über eine Wasserstoff-Pipeline u.a. bis nach Leverkusen transportiert und in den dortigen Anlagen verwendet. „Ziel muss es natürlich sein, in Zukunft ausschließlich grünen Wasserstoff einzusetzen, also Wasserstoff produziert mit klimaneutraler Energie“, sagt Thomas Wessel. In der strategischen Innovationseinheit Creavis, in der es um mittel- und langfristige Innovationsprojekte mit Fokus auf Nachhaltigkeit geht, zeigte das Unternehmen Schlüsseltechnologien zur Realisierung einer zukünftigen Wasserstoffwirtschaft, in welcher die chemische Industrie mit neuen Spezialchemikalien und Materialien eine wesentliche Rolle einnimmt.

Membran lässt nur bestimmte Teilchen durch

Vorgestellt wurde u. a. eine Membran, die gewisse Teile durchlässt, andere nicht. „Allerdings ist es bei uns deutlich anspruchsvoller als beispielsweise bei einer Membran bei Funktionskleidung wie Goretex, die jeder aus seinem eigenen Haushalt kennt. Bei uns geht es um mehr als um Durchlässigkeit von Wasser und Luft“, sagt Dr. Oliver Busch, Leiter Neugeschäftsentwicklung Defossilierung bei Creavis und damit auch verantwortlich für neue Produkte für die Wasserstoffwirtschaft.

Stoffe werden in ihre Bestandteile aufgetrennt

Bei dieser Technologie trennt eine Hochleistungs-Membran Gasgemische in ihre Bestandteile auf und ermöglicht beispielsweise die Abtrennung von Wasserstoff aus Erdgas-/Wasserstoff-Mischungen. Mit dieser Technologie, so Oliver Busch, sei es möglich, einen Großteil der Erdgasleitungen parallel auch für den Wasserstofftransport zu nutzen. Denn wenn Erdgas und Wasserstoff als Mischungen durch die Leitungen gehen, hilft am Ende die besagte Membran, das Erdgas und den Wasserstoff zu separieren. „Und wir reden hier nicht von einer Zukunftsidee“, sagt Oliver Busch. Die Technologie sei bereits gemeinsam mit der Firma Linda kommerzialisiert.

Gas-Anschlüsse von privaten Haushalten nutzbar machen

Würde man diese Idee weiterspinnen, könnte es dazu führen, dass beispielsweise an eine Tankstelle, die Erdgas anbietet, in Zukunft auch Wasserstoff geliefert werden könnte. Inwieweit sogar die Gas-Anschlüsse von Privathaushalten nutzbar gemacht werden können, müsse sich aber noch zeigen - so weit sei die Entwicklung in dem Bereich noch nicht. Gleiches gilt für die Frage, inwieweit Heizungsthermen auf Wasserstoff umgerüstet werden könnten.

Einsatz kohlenstoffarmer Energiequellen reduzieren

Auch Dr. Christian Däschlein, Leiter der Abteilung Wasserstoffwirtschaft und verantwortlich für die Entwicklung neuer Spezialchemikalien und Materialien, ist von der Zukunft des Wasserstoffs als Energiequelle überzeugt. „Anders als vor 20 bis 25 Jahren wird sich grüner Wasserstoff und eine Wasserstoffwirtschaft heute etablieren. Für eine Vielzahl von Anwendungen und Industrien wie bspw. der Stahl- oder der chemischen Industrie ist eine Defossilierung anders gar nicht möglich“, sagt er. Gemeint ist damit, die Kohlendioxidemissionen durch den Einsatz kohlenstofffreier Energieträger vollständig zu vermeiden. Und das kann der grüne Wasserstoff (also klimaneutral produziert) leisten. Eine weitere Herausforderung betrifft den Aspekt der saisonalen Energiespeicherung. „Ich muss die insbesondere im Sommer produzierte erneuerbare Energie für den Winter speichern. Für diese langfristige Speicherung großer Energiemengen eignen sich keine Batterien. Hier kommt grüner Wasserstoff ins Spiel, welcher eine saisonale Speicherung des grünen Stroms in großen Mengen und über längere Zeiten ermöglicht.“

60 Milliarden werden in Infrastruktur investiert

Ein weiterer Punkt ist es, den grünen Wasserstoff (also klimaneutral produziert) an die richtigen Stellen zu transportieren. Bis 2040 sollen in Europa rund 60 Milliarden Euro in die Pipeline- und Speicher-Infrastruktur investiert werden.

Für viele der zukünftigen Anwendungen bieten hier bestimmte Kunststoffe wie zum Beispiel der von Evonik produzierte Kunststoff „Polyamid 12“ im Gegensatz zu Stahl sehr großes Potenzial: die Kombination der mechanischen und chemischen Eigenschaften bei dem für Kunststoffe üblichen sehr leichten Gewicht bietet sowohl die Möglichkeit, bestehende Pipelines (wie für Erdgas) für den Transport von Wasserstoff umzubauen. Genauso könnten aber auch mit dem „Polyamid 12“ neue Pipeline-Rohre produziert werden. „Jetzt geht es darum, die Kräfte in der Region zu bündeln und die zahlreichen Projekte voranzutreiben“, blickt Thomas Wessel nach vorne.