Mitarbeiter des städtischen Bauhofes holten im August 1989 Halterns teuerste Kuh aus Rheine ab. Ihre Geburtsstätte war das Atelier von Künstler Joseph Krautwald, der sie im Auftrag der Vereinigten Elektrizitätswerke schuf. Der sechs Zentner schwere Wiederkäuer aus Bronze war ein Geschenk von VEW zum 700-jährigen Stadtjubiläum. Ihren Ehrenplatz hat sie noch heute an einem Ort, der eine besondere Geschichte der Stadt erzählt.
Haltern war einst eine kleine Ackerbürgerstadt, in deren Mauern auch Tiere gehalten wurden. Die Lebensgrundlage sicherten vor allem Kühe, sie waren bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts ein Symbol für Eigenversorgung und Selbstständigkeit. Jede Familie hatte eine oder mehrere Kühe, die morgens auf den Kohküttelmarkt (heute: See schlägt Wellen/Hullerner Straße) getrieben und von dort von einem Kuhhirten auf die städtischen Weiden geführt wurden.
VEW fand diese Historie so originell, dass sich das Unternehmen entschloss, zum Stadtjubiläum eine Kuh zu schenken. 30.000 DM gab es für dieses Geschenk aus. Zur Erinnerung: 1289 beschloss der Fürstbischof von Münster Everhard von Diest (1275-1301), die „villa“ Haltern zu befestigen und ihr Stadtrechte zu verleihen. Seitdem feiert die Stadt am 3. Februar Geburtstag, 1989 zum 700-jährigen Jubiläum tat sie es mit vielen außergewöhnlichen Ereignissen.
Kuhmilch als Begrüßungstrunk
Dazu zählte auch die Geschenkübergabe an der Hullerner Straße, dem ehemaligen Sammelpunkt für die Kuhherde. Die 1893 gegründete Nachbarschaft „De vant Kohküttelmarkt“ trieben am 2. September 1989 Kühe von Bauer Heinz-Theo Hubbert aus Hennewig auf, Frauen mit Melkschemel, Eimern und Milchkannen in historischer Tracht sorgten dazu ebenso wie ein Kuhhirte mit seinem Horn für ein besonderes Ambiente. Für die Gäste gab es frische Kuhmilch als Begrüßungstrunk.
Der damalige Bürgermeister Hermann Wessel sprach von einem „hervorragend gelungenem Kunstwerk“. Er dankte VEW-Chef Dr. Hesse, der wiederum die gute Partnerschaft mit Haltern in den Vordergrund stellte. „Wir möchten mit unserem Geschenk eine Idylle wiederbeleben“, mit diesen Worten überreichte er die Krautwald-Kuh. Seither hat sie viele Streicheleinheiten bekommen, weshalb sie immer einen glänzenden Auftritt hat.

Den Künstler hätte es gefreut. Joseph Krautwald (1914–2003) fertigte die Kuh im Alter von 75 Jahren. Er studierte vor Beginn der Arbeit Kühe auf einer Wiese in Rheine, die Zeichnungen überließ er später Halterner Kunstinteressierten. Krautwald studierte an den Akademien in Dresden und München, bevor er sich 1949 in Rheine ein eigenes Atelier einrichtete. Er hinterließ weitere künstlerische Spuren in der Wallfahrtskirche auf dem Annaberg und im Könzgenhaus.
Erinnerungen an die Kindheit
An der Kuh kommt heute jeder vorbei, der Richtung Stausee wandert. Eine kleine Gedenktafel erinnert an die Bedeutung dieses Jubiläumsgeschenk. Einst erinnerte sich der alte Bäckermeister Hermann Kleine-Büning an die Kindheit am Kohküttelmarkt. „Die Kühe kamen aus allen Himmelsrichtungen, es gab ein Gebrüll und Geblöke, wenn sie sich morgens wiedersahen.“ Besonderen Spaß hatten die Kinder, wenn sich die Erwachsenen um die „Kohküttelpfannkuchen“ stritten, diese waren wertvoller Dünger.

Montags zog der Kuhhirte auf die Wiesen zwischen Steverbrücke und Stadtmühle (heute Stausee), dienstags weideten die Kühe am Seehof, mittwochs und donnerstags im Niemen, freitags auf dem Lippspieker bis zur Lippebrücke, samstags auf dem Gelände hinter der Wasserwerkstraße und sonntags rund um die Jahnhalle. „An Sonntagen war somit der Weg zum Melken für die Frauen nicht so weit wie an Alltagen“, erinnerte sich Bäckermeister Kleine-Büning. Er ging oft mit auf die Weiden. „Möllers Magd hatte immer etwas dabei: für die Kuh ein Stück Schwarzbrot und für mich etwas Leckeres.“
Zwischen sechs und sieben Uhr konnten die Besitzer ihre Kühe an der Lipp-Porte wieder abholen. Die sogenannten „berechtigten“ Bürger durften übrigens zwei Kühe kostenlos weiden lassen, die „Nicht-Bürger“ zahlten für jede Kuh ein Entgelt von einem Taler und 50 Stüber.

Hinweis der Redaktion: Dieser Beitrag erschien ursprünglich am 23. Januar 2023.
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