
© Nora Varga
Sonya aus Haltern: „Es ist nicht leicht, in diesem System trans* zu sein.“
Was ist trans*?
Die 19-jährige Sonya aus Haltern am See ist trans*. Im Interview spricht sie über eine Hormontherapie, das Outing vor ihren Eltern und warum sie endlich weinen konnte.
Sonya ist 19 Jahre alt und kommt aus Haltern. Sie ist eine trans* Frau. Was das für sie bedeutet und warum die aktuelle Gesetzgebung vor allem Leid verursacht, erklärt sie im Interview.
Regenbogen-Wörterbuch
Im Interview mit Sonya tauchen viele Fach-Begriffe auf, häufig Anglizismen oder englische Ausdrücke. Die Begriffe werden in dieser jungen Bewegung verwendet und lassen sich nicht wörtlich ins Deutsche übersetzten. Hier beantworten wir alle möglicherweise aufkommenden Fragen. Alle Begriffe aus unserer Übersicht sind im Text kursiv.- Trans*: trans* ist ein Oberbegriff, der verschiedene Menschen bezeichnet, die sich nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Der Begriff schließt aber auch Personen ein, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet fühlen. Das Sternchen in der Bezeichnung soll Raum für verschiedene Identitäten lassen.
- Transsexuell: Die Formulierung stammt aus der Medizin und steht da eher in Verbindung mit einer Krankheit. Mittlerweile wird er nicht mehr verwendet, weil er veraltet ist und impliziert, Transgeschlechtlichkeit sei eine Krankheit.
- Queer: Der Begriff ist ein englisches Adjektiv, dass erst mal so viel wie „eigenartig“ bedeutet. Es ist ein Sammelbegriff für Personen, deren geschlechtliche Identität oder sexuelle Orientierung nicht der zweigeschlechtlichen oder heterosexuellen Norm entspricht. Queer-Sein bedeutet aber auch, diese Menschen zu unterstützen oder in ihrer Gemeinschaft zu leben.
- Cis: Cis bzw. cis-geschlechtlich ist eine Bezeichnung für Menschen, deren Geschlechtsidentität mit dem Geschlecht übereinstimmt, das ihnen bei ihrer Geburt zugeschrieben wurde.
- Deadname: Der Deadname ist der abgelegte Vorname. Es ist der Name, der trans* Menschen meist bei der Geburt gegeben wurde. Viele trans* Menschen empfinden es als sehr verletzend, mit ihrem alten Vornamen oder Pronomen angesprochen zu werden.
- She-Ra: Die Serie „She-Ra und die Rebellen-Prinzessinnen“ aus dem Jahr 2018 ist eine Animations-Serie. In der Serie gibt es viele Charaktere, die offen homosexuell oder lesbisch sind.
- Hormone: Viele trans* Menschen nehmen Hormone ein, um sich ihrem eigentlichen Geschlecht auch physisch anzunähern. Genau genommen sind es die Sexualhormone Östrogen und Testosteron. Bei trans* Frauen führt die Einnahme von Östrogenen zum Brustwachstum, einer Umverteilung des Körperfetts, die Körperbehaarung geht zurück und die Gesichtszüge werden weicher.
- Selbstbestimmungsgesetz: Das Selbstbestimmungsgesetz soll nach Wunsch der Ampel-Regierung das bisher geltende Transsexuellen-Gesetz ablösen. Nach Wunsch der Parteien sollen die psychiatrischen Gutachten wegfallen. Dann soll nur noch die Auskunft des Menschen zählen.
- Outing: Der „Outing“ oder „Coming-out“ bedeutet in etwa „herauskommen“. Damit wird der Schritt bezeichnet, den queere Menschen gehen, wenn sie ihre sexuelle Orientierung oder ihr Geschlecht ihrer Umwelt mitteilen.
- Community: Ein englischer Begriff, der eine Gruppe mit gemeinsamen Interessen oder Vorstellungen beschreibt.
Nicht jeder ist dem Thema schon mal begegnet, deswegen sollten wir mit einer Erklärung anfangen. Was bedeutet trans* sein?
Darauf gibt es viele Antworten. Als ich geboren wurde, hat der Arzt gesagt: „Okay, das ist ein Junge.“ Ich habe aber im Laufe meines Lebens herausgefunden, das stimmt überhaupt nicht. Wie ich erzogen wurde und auch, was die Gesellschaft von mir verlangt hat und erwartet hat, das trifft überhaupt nicht auf mich zu.
Ich habe versucht, das sehr, sehr lange aufrechtzuerhalten, weil ich sehr lange gar nicht wusste, dass es sowas wie trans* Personen gibt. Gott sei Dank hatte ich durch meine Freunde Kontakt zu trans* Personen. Sonst hätte es wahrscheinlich noch viel länger gedauert, bis mir das klar geworden wäre.
Du hattest also schon länger das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Fallen dir da konkrete Situationen ein?
Es gibt immer diese typischen Geschichten, dass man lieber mit Puppen spielen wollte oder so. Das war bei mir aber anders, weil meine Eltern immer ziemlich offen waren. Die haben immer gesagt: „Ist doch egal, was das Kind spielt, solange es Spaß hat.“
Das habe ich im Kindergarten auch raushängen lassen. Da ist es schon mal vorgekommen, dass Kinder gesagt haben: „Du bist ein Junge, du darfst damit nicht spielen“ und ich dann gesagt habe: „Das ist ja vollkommener Quatsch, das darf jeder.“
Wo es mir so richtig aufgefallen ist, ist in der Pubertät. Ich war immer sauer und hatte viel Frust, aber nicht auf irgendwas Bestimmtes. Als ich älter geworden bin und mehr darüber erfahren habe, ist es mir klar geworden, dass ich trans* bin.
Welche Rolle spielt das eigene Körperbild für das trans* sein?
Eine große, schließlich verbringt man seine ganze Zeit im eigenen Körper. Ich habe im letzten Juni angefangen, Hormone zu nehmen, und merke ... Heilige Scheiße. Ich habe total viel unbewusst unterdrückt. Es ist eben nicht nur ein Körperding, sondern auch eine psychische Angelegenheit.
Stell dir vor, in deinem Gehirn tobt ein Sturm. Mal ist er stärker, mal nur so im Hintergrund. Aber der ist nie weg, außer wenn du schläfst. Und manchmal dann auch nicht.
Aber klar, das eigene Aussehen spielt auch eine Rolle. Man hört beim Duschen zum Beispiel laut Musik und macht das Licht aus, um das irgendwie ausblenden zu können.
Jetzt sitzt du vor mir und siehst aus wie eine Frau. Du hast lange Haare, trägst Schminke und feminine Kleidung. Wann hast du damit angefangen und wie hat sich das angefühlt?
Mit dem Schminken habe ich so ungefähr vor zwei Jahren angefangen. Damals hatte ich noch viel weniger Ahnung als jetzt. Ich habe es vor allem gemacht, um irgendwie damit umgehen zu können und die Zeit zu überbrücken, bis ich Hormone nehmen konnte.
Wieso musstest du damit denn warten? Kann man nicht einfach so Hormone nehmen?
Man muss erst eine Therapie machen und ein Jahr warten und quasi „beweisen“, dass man wirklich trans* ist. Bis dahin habe ich mich eben geschminkt. Es hat mein Leben erträglicher gemacht. Ich freue mich immer, wenn ich rausgehe mit Freunden und dann eine Stunde damit verbringe, mich zu schminken.
Hast du Freundinnen, die dir das beigebracht haben?
Ich habe es mir selbst beigebracht. Am Anfang dachte ich mir immer: „Das kriege ich schon hin.“ Wenn man das irgendwo in Filmen sieht, dann sieht das ja irgendwie immer einfach aus, aber das war es nicht. Am Ende habe ich mir dann Videos im Internet angeschaut.
Du hast vorhin erzählt, dass deine Eltern in deiner Kindheit sehr locker beim Thema Geschlechterrollen waren. Wie haben sie dein Outing aufgenommen?
Die waren sehr cool damit. Als Erstes habe ich mich vor meiner Mutter geoutet. Notgedrungen, weil ich bei ihr wohne. Das war am Anfang sehr schwierig, weil sie emotional sehr aufgewühlt war. Ich musste auch sehr viel erklären, weil sie noch nie davon gehört hat. Sie hat mich auf jeden Fall akzeptiert. Sie hat keine dummen Kommentare gebracht oder so was. Das hat mir sehr geholfen. Es war trotzdem anstrengend. Ich hab ihr dann ein Buch geholt und jetzt geht es.
Du hast dich mir als Sonya vorgestellt. Du hast aber ja auch einen Deadname und hießt nicht immer Sonya. Wie bist du auf den Namen gekommen?
Ich kam auf den Namen witzigerweise durch jemanden in meinem Englisch-Leistungskurs, die auch Sonja hieß. Die war ziemlich cool. Und dann dachte ich mir, ein halbes Jahr, bevor mir selbst klar wurde, dass ich trans* bin: „Wenn ich trans* wäre, dann würde ich Sonja heißen wollen.“
Wieso heißt du Sonya mit Ypsilon, also die englische Schreibweise?
Ich bewege mich sehr viel in englischsprachigen Communities und wenn die meinen Namen dann englisch ausgesprochen haben, fand ich das schön und habe ihn dann ganz geändert.
Du benutzt als Frau natürlich weibliche Pronomen. Passiert es noch, dass Leute dich mit den falschen Pronomen oder deinem Deadname ansprechen?
Meinen Freunden passiert es nicht. Die sind alle queer, also nicht alle, aber so zu 99 Prozent. Am Anfang in der Schule musste ich natürlich einen langen Atem haben. Da musste ich die Leute dann immer wieder drauf hinweisen, dass ich jetzt Sonya heiße. Sonst merken die meisten das leider nicht.
Wie hast du dich denn in der Schule geoutet? In der Schulzeit machen ja viele schlechte Erfahrungen mit Mobbing.
Ich habe eine sehr lange Nachricht in die Stufengruppe geschickt: „Ich bin trans*, dies und das bedeutet das. Wenn ihr noch Fragen habt, schreibt mir.“ Wir waren ja schon in der Oberstufe. Das haben wirklich fast alle sofort akzeptiert.
Und wie haben die Lehrer reagiert?
Bei den Lehrer*innen gab es verschiedene Wege, aber alles positiv. Meine Englischlehrerin war richtig cool. Die war lernbereit und interessiert.
Es gibt einige trans* Frauen in der Öffentlichkeit. Zum Beispiel die Bundestagsabgeordnete Tessa Garner. Hattest du auf deinem Weg irgendwelche Vorbilder?
Ja, tatsächlich. Ich habe angefangen, sehr viel Cartoons zu schauen. Zum Beispiel She-Ra. Der Hauptcharakter war immer kämpferisch und hoffnungsvoll, obwohl alles gegen sie stand. Da habe ich mich total wiedergefunden. Es ist eben nicht leicht, in diesem System trans* zu sein.
An welchen Stellen ist es denn zum Beispiel dann nicht einfach?
Überall. In der Öffentlichkeit hatte ich zum Glück noch nicht so viele negative Erlebnisse. Aber es ist natürlich schon überhaupt schwierig, erstmal in öffentlichen Räumen zu existieren. Man schaut sich immer um: Hat mich jetzt jemand als trans* erkannt? Findet derjenige das gut oder nicht?
Auch bei Institutionen kann es schwierig sein. Wenn ich zum Arzt gehe, dann bitte ich darum, dass ich Sonya genannt werde, auch wenn auf meiner Karte noch etwas anderes steht. Manchmal ist das kein Problem. Aber ich hatte auch schon die Situation, dass gesagt wurde: „Auf deinem Ausweis steht das und so nenne ich dich auch.“ Das ist einfach unfreundlich.
Bist du es denn nicht leid, immer und immer wieder zu erklären, was trans* bedeutet?
Entweder ich erkläre es ausführlich oder ich werde irgendwann unvorbereitet mit einem schlechten Begriff konfrontiert. Da ist es mir dann doch lieber, wenn ich das direkt erkläre, auch wenn es ein bisschen nervig ist.
Das Schwierigste ist aber nicht, wenn die Leute keine Ahnung haben, sondern wenn die Leute falsches Wissen haben. Dann muss man das ersetzen und das ist anstrengender, als wenn man neugierig ist.
Fühlst du dich in Haltern eigentlich wohl? Die Stadt ist ja ziemlich klein und hat keine große queere Szene wie Berlin oder Köln.
Nein. Ich wohne ja jetzt auch nicht in der Innenstadt, sondern in Hullern. Ich bin schon ein bunter Hund, wenn ich dann auf dem Marktplatz stehe und mich alle anstarren. Und in so einer Großstadt juckt das einfach niemanden.
Also willst du weg?
Auf jeden Fall. Ich will alles zurücklassen. Einfach aus dem simplen Grund, dass manche Leute mich halt von früher kennen. Und das würde ich alles super gerne hinter mir lassen.
Du nimmst Hormone. Was passiert mit dem Körper, wenn man damit anfängt?
Das Erste, was mir aufgefallen ist, ist, dass der Sturm in meinem Kopf weg war. Stell dir vor, jemand hat ein nasses Handtuch um dein Gehirn gewickelt und das ist plötzlich weg. Ich habe mich plötzlich gut gefühlt, einfach so, ohne irgendwas gemacht zu haben. Vorher waren meine Emotionen sehr abgestumpft und plötzlich kann ich Sachen empfinden, ohne dass das so abgestumpft ist, und das war toll. Es war cool, zu weinen. Das war richtig cool. Ich kann jetzt weinen.
Du konntest vorher nicht weinen?
Nein, nicht wirklich. Ich weiß nicht, woran es lag. Das höchste der Gefühle war, dass mir dann ein bisschen Tränen in die Augen gelaufen sind. Aber so weinen konnte ich vorher nicht wirklich.
Also gab es am Anfang vor allem mentale Veränderungen. Was ist noch passiert?
Natürlich die körperlichen Veränderungen. Die Haut wurde bei mir weicher. Dein ganzer Körper verändert sich. Das ist ja an sich wie eine zweite Pubertät, aber diesmal in die richtige Richtung.
Wo in deiner Entwicklung wärst du gerne in fünf Jahren?
Ich möchte möglichst alles, was ich machen kann an Operationen, fertig haben. Dass niemand mich mehr anguckt und sagt, das ist eine Transfrau. Sondern einfach nur, dass eine Frau, egal ob cis oder trans*.
Welche Operationen gibt es denn ganz grundsätzlich?
Einerseits gibt es da den Brust-Aufbau, zum Beispiel mit Implantaten. Das kann man machen, wenn durch die Hormone nicht so viel Wachstum da ist. Dann gibt es natürlich die geschlechtsangleichende OP, also die Vaginalplastik. Es wird eben genommen, was da ist und daraus wird dann was Neues geformt.
Es gibt verschiedene Methoden, aber damit habe ich mich noch nicht genau beschäftigt. Und es gibt noch die FFS, also Facial Feminization Surgery. Das beschreibt mehrere chirurgische Eingriffe, mit denen man die Nase verkleinert oder die Stirn kleiner macht.
Musst du das alles selbst bezahlen?
Einen großen Teil übernimmt die Krankenkasse. Aber je nach Klinik und Behandlung kann man schon mal 3000 Euro zahlen. Das Erste, was ich jetzt anstrebe, ist auf jeden Fall die Geschlechtsangleichung. Weil ich für mich selbst merke – ich brauche das. Aber ich möchte mich selber nicht überladen. Jetzt gerade bin ich dabei, meinen Namen zu ändern. Das ist auch teuer. Das Gericht verlangt von mir erstmal 1500 Euro in Vorkasse, also so viel wird es auf jeden Fall kosten, und die Gutachten können auch mehrere Hundert Euro kosten, das ist unterschiedlich und hängt von den Gutachter*innen ab.
Was sind das denn für Gutachten?
Sagt dir das TSG (Transsexuellen-Gesetz) etwas? Das ist 40 Jahre alt, aber regelt immer noch, wie trans* Menschen heute leben. Es ist auf jeden Fall so, dass man zwei Gutachten machen muss und die Gutachter einem völlig intime Fragen stellen sollen. Zum Beispiel Sachen zu den Genitalien oder wie man masturbiert. Also intimste Sachen, die das Gericht überhaupt nicht zu interessieren haben. Hoffentlich wird das Gesetz Ende des Jahres durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt.
Was ist denn das Problem an den vielen Gutachten?
Es geht immer darum, zu beweisen, wie schlecht es einem geht. Ich finde, man sollte weniger einen Fokus darauf legen, ob es einem jetzt schlecht geht. Man sollte darauf schauen, ob es dir nach der Hormontherapie besser geht. Es ist oft so ein Warten, bis sich der Zustand verschlimmert, und das ist völliger Schwachsinn. Dann macht man nur mehr Probleme, die man eigentlich vermeiden können.
Was würdest du dir von der Bundesregierung und auch von der Gesellschaft wünschen?
Ein Ende der vielen Hürden. Das Selbstbestimmungsgesetz muss jetzt kommen. Man muss überall beweisen, dass man trans* ist. Man muss immer nur beweisen, dass man leidet. Aber viele, die trans* sind, wissen das schon lange. Und da hilft dann auch kein Jahr warten. Dann ist man immer noch trans*. Es geht einem eben nur schlechter.
Was würdest du Eltern oder Großeltern denn raten, deren Kind trans* ist oder sein könnte?
Erst mal akzeptieren. Das hat mir sehr viel Stabilität gebracht. Natürlich ist es auch für die Eltern schwer, weil man Angst hat, sein Kind zu verlieren. Aber die Kinder müssen sich in einem sicheren Umfeld ausprobieren. Wenn man ein trans* Kind dazu zwingt, sich wie das zur Geburt zugeschriebene Geschlecht zu verhalten, dann kriegt man kein cis-Kind, sondern nur ein sehr, sehr trauriges trans* Kind.
Jahrgang 2000. Ist freiwillig nach Castrop-Rauxel gezogen und verteidigt ihre Wahlheimat gegen jeden, der Witze über den Stadtnamen macht. Überzeugte Europäerin mit einem Faible für Barockmusik, Politik und spannende Geschichten.
