Seit Corona: Mehr Fälle mit Essstörungen in der LWL-Klinik

Kinder- und Jugendpsychiatrie

In der LWL-Klinik Marl-Sinsen gibt es seit November 20 Prozent mehr Patienten mit Essstörungen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die Klinik sieht einen Zusammenhang mit der Coronapandemie.

Haltern/Marl

, 23.03.2021, 14:00 Uhr / Lesedauer: 2 min
Eine Patientin in der LWL Klinik Marl-Sinsen.

Eine Patientin in der LWL Klinik Marl-Sinsen. © LWL/Seifert

Ricarda* ist 17 Jahre alt und momentan mit der Diagnose Anorexia Nervosa, besser bekannt als Magersucht, in stationärer Behandlung in der LWL-Klinik Marl-Sinsen. Als sie vor einem Monat in der Klinik aufgenommen wurde, wog die 1,75 Meter große Schülerin nur noch 38 Kilogramm. Daran habe auch die Coronapandemie ihren Anteil, meint Ricarda. So wie ihr geht es inzwischen offenbar vielen Jugendlichen: Die LWL-Klinik verzeichnet im Zeitraum von November 2020 bis Anfang März 2021 eine Steigerung der Zahl von Magersucht-Patienten um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

„Wenn unter Corona alles andere wegbricht“

„Die Zunahme der Magersuchtsfälle zeigt, wie Coronafaktoren und die typischen Ursachenbündel an der Entwicklung einer psychischen Störung zusammenwirken“, sagt LWL-Krankenhausdezernent Prof. Dr. Meinolf Noeker. „Wenn unter Corona alles andere wegbricht, wird das Kümmern um das eigene Aussehen zur einzig verbliebenen, aber gefährlichen Quelle für Zuwendung, Erfolgserlebnis und Sinn“, so Psychotherapeut Noeker.

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Auch bei Ricarda waren nur noch ihre Jogging-Runden und der Distanzunterricht geblieben - sie fühlte sich dadurch zunehmend schlecht. „Ich hatte das Gefühl, dass mir die Kontrolle über mein Leben entgleitet, dass ich fremdbestimmt bin. Außerdem fehlte mir das Gefühl, dass ich etwas geleistet habe. Beides habe ich mir dann durch das ständige Abnehmen geholt.“ Den ganzen Tag zu hungern habe Ricarda als Leistung empfunden, den ständig sinkenden Wert auf der Waage als Zeichen ihrer Kontrolle.

Corona lässt die Spirale schneller drehen

Noeker sagt, dass eine solche solche Verengung und Verzerrung des eigenen Blicks bei vielen Betroffenen vielleicht auch ohne die Einschränkungen des Alltags in der Coronazeit passiert wäre. „Aber Corona lässt sie schneller in einen solchen Sog hineingeraten und lässt die Spirale dann um so schneller drehen“, meint Noeker. Diese Beobachtung habe auch Dr. Christiane Abdallah gemacht, die Oberärztin an der Klinik ist. „Wir erleben hier einen starken Anstieg von Patientinnen und Patienten, die mit einem Gewichtsverlust von 15 bis 20 Kilo innerhalb weniger Monate in unsere Klink kommen.“

Ricarda hat durch die Therapie mittlerweile wieder ein paar Kilos zugenommen. Jetzt sagt sie: „Ich möchte mein Leben zurück.“ Wenn sie wieder gesund ist, möchte sie mit Freunden ins Freibad und eine Currywurst mit Pommes essen. „Ganz ohne schlechtes Gewissen!“

*Name geändert

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