Waldschenke ist Halterns verstecktestes Lokal „Der Anfang war sehr schwer“

Nostalgie und chinesische Küche: Waldschenke ist Halterns verstecktestes Lokal
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Der Weg führt vorbei an Pferdekoppeln, Mais- und abgeernteten Getreidefeldern, vorbei an Windrädern und einem schönen Buchenwald und wenn man denkt, am Ende der Welt zu sein, taucht die Waldschenke auf. Sie ist die entlegenste und versteckteste Gastronomie Halterns: ein nostalgischer, gastlicher Ort mit einer besonderen Geschichte.

Die Eheleute Sek-Heang und Chin Tou (61 und 60 Jahre alt) haben die Waldschenke Hohe Mark seit 2003 gepachtet. „Der Anfang war sehr schwer“, erzählen sie. Im Sommer kommen die Wanderer mit und ohne Hund, Radfahrer und Reiter nach einer Tour durch die Hohe Mark gern auf eine Erfrischung vorbei, im Winter gibt es viele stille Tage. „Uns aber haben die Natur und die Ruhe so gut gefallen, wir wollten unser Glück versuchen“, sagt Chin Tou. Harte Arbeit steckte in diesem Neuanfang. Denn die Waldschenke hatte eine Zeitlang leer gestanden, Gäste mussten erst wieder für diesen besonderen Ort begeistert werden.

Deutsche und chinesische Gerichte kocht Sek-Heang Tou in der großen Küche des Restaurants. Seine Ehefrau Chin ist derweil für den Service zuständig. Die (inzwischen erwachsenen) Kinder helfen so viel sie können, mittlerweile aber studieren sie in Dortmund und Bochum. Ihre Zeit ist begrenzt, Aushilfen sind kaum zu finden. „Hier fährt kein Bus, wer kein Auto hat, kann uns nicht erreichen“, sagt Chin Tou.

Heang Tou in der Küche.
Die Küche ist das Reich von Sek-Heang Tou. Den Wok reinigt er über einer Flamme. © Elisabeth Schrief

Wegen dieser Einsamkeit wollten die Kinder, als sie noch zur Schule gingen, nicht in die Hohe Mark ziehen. So blieb die Familie in Marl-Brassert wohnen, bis heute fährt das Ehepaar täglich von dort in die Hohe Mark. Von 11 bis 20 Uhr ist - außer montags - geöffnet. Freizeit bleibt nicht viel, dafür ein tägliches Bemühen, wirtschaftlich zu überleben. Die Wetterlage bestimmt, ob ein Tag gut oder weniger gut wird. Am besten ist es schön und trocken.

Frühstück und Kaffeezeit

Mittlerweile haben die Tous aber auch treue Stammgäste aus Marl, Haltern und Lembeck. Diese schätzen vor allem die chinesischen Entengerichte. Oder auch das reichhaltige Frühstück und die selbstgebackenen Kuchen am Nachmittag. Das alles bekommen Gäste serviert in einer nostalgischen Atmosphäre. Manche nennen es altbacken, was sie sehen. Seit der letzten Renovierung 1979 hat sich in der Waldschenke kaum etwas verändert. Tische, Stühle, Bänke, Theke - alles ist nach heutigem Ermessen aus der Zeit gefallen.

Chin Tou hinter der Theke.
Chin Tou ist für die Getränke und den Service zuständig. © Elisabeth Schrief

Chin und Sek-Heang Tou geben sich damit zufrieden. Ihre Freundlichkeit übertüncht alles. Sie möchten so lange weiterarbeiten, wie die Gesundheit es ihnen erlaubt. Sie sind keine Menschen, die klagen. Selbst in der schweren Corona-Zeit haben sie es nicht getan. „Aber diese Zeit war schon heftig“, blickt Sek-Heang Tou zurück. Persönlich haben sie schon weitaus schwierigere Phasen erlebt.

Aus Kambodscha geflohen

Beide flüchteten 1979 aus ihrer Heimat Kambodscha. Nach einem Krieg und unter der Herrschaft der Roten Khmer verloren damals mehr als 1,7 Mio. Menschen der Acht-Millionen-Bevölkerung durch Mord, Folter, Zwangsarbeit und Hunger ihr Leben. Über Thailand flohen Sek-Heang Tou und Chin nach Deutschland. Sek-Heang Tou wurde vom Aufnahmelager Unna nach Marl geschickt, Chin nach Brühl. Über Kontakte innerhalb der kambodschanischen Flüchtlinge lernten sich die beiden kennen.

Sek-Heang Tou arbeitete zunächst in der Fleischwarenfabrik Barfuß, dann absolvierte er eine Kochlehre und machte sich selbstständig. Das Ehepaar führte unter anderem das Deutsche Haus in Haltern, bevor das Restaurant für ein Wohnprojekt abgerissen wurde.

Garten und Außenterrasse der Waldschenke Hohe Mark
Zur Waldschenke Hohe Mark gehört auch ein Garten mit einer großen Außenterrasse. © Elisabeth Schrief

Die Willkommenskultur damals sei groß gewesen, erzählen beide. Sie haben heute das Gefühl, eine gute neue Heimat gefunden zu haben. Vor drei Jahren waren sie noch einmal in Kambodscha, sie spürten Wehmut, aber kein Verlangen mehr, zurück in ihr Geburtsland zu gehen.

Das Ehepaar Tou vor dem Restaurant Waldschenke
Die Waldschenke schreibt sich bewusst mit "e" statt mit "ä". Denn die frühere Wirtin, Tante Klara, wies niemanden ab, wenn er Hunger oder Durst hatte. Milch oder Brot gab es auch mal geschenkt. © Elisabeth Schrief

An den Wänden in der Waldschenke hängen Danksagungen für die große Gastfreundschaft, aber auch noch ganz viele Erinnerungen an die alten Zeiten, als Klara Vierhaus mit dem Verkauf von Flaschenbier an die Arbeiter im Steinbruch das Einkommen der Familie aufbesserte. Waldbeeren- und Pilzsammler bekamen auf Wunsch auch Milch. Als die Bäuerin Witwe wurde und sieben Kinder durchzubringen hatte, wurde aus dem Nebenerwerb eine Vollzeitbeschäftigung. 1954 bekam sie die Schankkonzession für die Waldschenke.

1973 trat Sohn Heinrich in ihre Fußstapfen, der dann den gastronomischen Betrieb mit seiner Ehefrau Maria weiterführte. Damals zählten Bratkartoffeln und hausgemachte Bratwurst zu den beliebtesten Speisen.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 29. August 2023.

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