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Professorin aus Haltern forscht zum Impf-Egoismus der Briten
Corona-Pandemie
Die Briten wollen zuerst selbst gegen Corona geimpft werden, bevor sie Impfstoff mit anderen teilen. Mehr Solidarität ist nötig, sagt Professorin Hanna Zagefka aus Haltern. Sie forscht dazu.
Hanna Zagefka, in Haltern groß geworden, ist Professorin und Psychologin an der Universität von London. 1996 legte sie am Joseph-König-Gymnasium das Abitur ab, studierte in Münster Psychologie und ging 1999 für ihre Promotion nach England. Sie blieb. Seit 2004 lehrt und forscht sie an der University of London.
Aktuell forscht sie zum Thema Corona-Pandemie. Und zwar sucht sie Faktoren, die Menschen dazu bewegen können, Impfnationalismus, wie er jetzt in Großbritannien gelebt wird, abzulehnen.
Erst die Probleme zu Hause lösen, dann anderen helfen
„In von mir durchgeführten Meinungsumfragen zeichnet sich ein starker Wunsch der britischen Bevölkerung ab, zuerst einmal die von der Pandemie ausgelösten Probleme zu Hause zu lösen, bevor man anderen Ländern zu Hilfe kommt“, erzählt Hanna Zagefka. Zuerst wolle die eigene Bevölkerung geimpft werden, bevor sie Impfstoff mit anderen Ländern teile. Epidemiologen betonen aber, so Hanna Zagefka, dass das nicht sinnvoll ist: Wenn das Coronavirus in einigen Ländern ungehemmt zu resistenten neuen Varianten mutieren kann, hilft es gut entwickelten Ländern wenig, die gesamte Bevölkerung gegen alte Virenstämme zu impfen. Globale Probleme erfordern globale Lösungsansätze.
Hier setzt nun die Forschung von Prof. Hanna Zagefka und ihrer Gruppe an. In England sind mittlerweile in vielen Gegenden über die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung geimpft. „Dieser Instinkt entspricht einem grundlegenden psychologischen Mechanismus, nach dem auf Bedrohung oft mit mehr Vorurteilen und Abgrenzen von anderen Gruppen reagiert wird“, erklärt die Professorin.
„Das Virus unterscheidet nicht nach Nationen“
Die Gruppe um Prof. Zagefka wird jetzt der Frage nachgehen, welche Maßnahmen eine bessere öffentliche Unterstützung von Impfsolidarität erzielen können.
„Das Virus unterscheidet nicht zwischen Deutschen und Engländern, und nicht zwischen Europäern und Asiaten. Für das Virus gehören wir alle zur selben Gruppe.“
Hanna Zagefka erklärt, was sie zu dieser Arbeit veranlasst hat. „Meine Forschung beschäftigt sich mit den Beziehungen zwischen verschiedenen ethnischen und nationalen Gruppen. Ich untersuche die psychologischen Prozesse, die zu Vorurteilen oder eben auch grenzübergreifender intergruppaler Solidarität führen.“ Diese Faktoren bestimmten auch die Reaktionen auf die Pandemie: Einige Menschen wollten nur sich selbst oder ihre eigenen Gruppenmitglieder beschützen, und andere Menschen fühlten sich auch grenzübergreifend für Andere verantwortlich.
Mit einem Schalke-Schal eine „Ingroup“ sein
Die Ergebnisse des Projektes zur Pandemie stützen sich hauptsächlich auf Meinungsumfragen, die online durchgeführt wurden und Tausende von Teilnehmern haben. Sozialpsychologen benutzen aber alternativ auch experimentelle Methoden, in denen zum Beispiel während Fußballspielen wissenschaftliche Hilfskräfte in der Innenstadt vermeintlich in Not geraten. Diese Hilfskräfte werden entweder durch das Tragen eines Schalke-Schals als der „Ingroup“ zugehörig dargestellt, oder sie tragen einen „Manchester United“-Schal und gehören damit zur „Outgroup“. Untersucht wird dann, wer wem unter die Arme greift und warum.
Solidarität findet Hanna Zagefka gerade jetzt sehr wichtig. „Die Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinaus ist der beste Ansatz, um das globale Problem zu meistern. Ich erhoffe mir, dass das Projekt deutlich macht, wie eine größere Akzeptanz für internationale Kooperation gefördert werden kann.“ Der effektivste Lösungsansatz sei, zuerst die klinisch am meisten Gefährdeten zu impfen, egal, in welchem Land sie wohnen.
Hanna Zagefka forscht zeitgleich für ein Projekt auf den Philippinen. Hier geht es um das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber Impfstoffen aus China. Viele Filipinos trauen China nicht, und chinesischen Impfprodukten schon gar nicht. „Unsere Arbeit soll zeigen, wie ein Umdenken erreicht werden kann. Corona wird uns so lange tyrannisieren, bis ein weltweites Impfprogramm umgesetzt wird. Dafür braucht es Zweierlei: Man braucht wirksame Impfstoffe. Die haben wir jetzt. Aber man braucht auch Bereitschaft unter der Bevölkerung, diese zu nutzen. Und daran hapert es oft sehr.“
Hanna Zagefka würde gern mal wieder nach Haltern reisen
Hanna Zagefka selbst hat wie viele Andere die Corona-bedingten Einschränkungen gründlich satt. Sie würde gerne mal wieder um den Halterner Stausee laufen und Freunde in der Heimat besuchen. „Meine Kinder finden den Ketteler Hof großartig und fragen mich, wann wir mal wieder dahin fahren können. Seit Monaten muss ich sie auf einen unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft vertrösten, und das bin ich leid.“ Und diesen Sommer will sich ihr Jahrgang zum 25-jährigen Abi-Jubiläum in der Kajüte in der Strandallee treffen. Ob das dann erlaubt und möglich sein wird, ist bekanntlich noch ungewiss.
Was Hanna Zagefka allerdings auch traurig macht, ist, dass die mangelnde internationale Kooperation des Impfprogrammes bewirken wird, dass sie selbst noch vor ihren Eltern geimpft wird. Der englische Impfplan sieht einen Termin im April vor. „Wann dagegen meine Eltern in Haltern zur Impfung eingeladen werden, steht noch in den Sternen. Das finde ich falsch.“
Haltern am See ist für mich Heimat. Hier lebe ich gern und hier arbeite ich gern: Als Redakteurin interessieren mich die Menschen mit ihren spannenden Lebensgeschichten sowie ebenso das gesellschaftliche und politische Geschehen, das nicht nur um Haltern kreist, sondern vielfach auch weltwärts gerichtet ist.
