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Halterner Journalist zur Lage in Syrien: „Wer stirbt, der stirbt eben“
Krieg und Corona
Mit verstörenden Eindrücken und Bildern kehrte Siruan Hadsch Hossein jetzt aus Syrien zurück nach Haltern. Der deutsch-syrische Journalist hat sie auf seinem Handy, um das Elend dort zu dokumentieren.
Siruan Hadsch Hossein hat die Bilder aus seinem ehemaligen Heimatland Syrien unauslöschlich in seinem Kopf. Er weiß, es steht noch viel Arbeit an, bis seine Landsleute wieder in Frieden leben können. Als Manager des einzigen freien, demokratischen Radiosenders in Syrien, ARTA FM, setzt er sich ein für Aufklärung und Sensibilisierung über die Zustände des kriegsgebeutelten Landes und generiert Hilfsgelder.
Der 44-jährige Journalist ist Mitte Februar nach 14-monatiger Corona-Pause erstmals wieder in die Region Rojava im Nordosten Syriens gereist, von wo er selbst als Kind mit seiner Familie vor Krieg und Terror geflohen ist. Er hat viel Elend gesehen. Die Not in Syrien ist ihm nicht fremd. Seine letzte Reise hat ihn jedoch psychisch mehr belastet als jede Reise zuvor, berichtet er.
„Freunde und Bekannte sind erschreckend gealtert“
„Freunde, Bekannte, Familienmitglieder, die ich zuletzt im Dezember 2019 besucht hatte, sind so erschreckend gealtert, als hätte ich sie Jahrzehnte nicht gesehen.“ Schuld seien die unerträglichen Lebensumstände, die Zukunftsängste und die Perspektivlosigkeit, die jede Hoffnung auf ein besseres Leben in der Region zunichte machten.
„Der Krieg ist offiziell zu Ende, bekämpft wird derzeit das IS-Regime. Von Frieden, oder auch nur einer annähernden Rückkehr zur Normalität kann man noch lange nicht sprechen.“ Zwar setze sich auch die internationale Gemeinschaft für Hilfsleistungen ein, allerdings sei dies nicht genug. „Es reicht nicht, die Menschen mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Es mangelt an langfristigen Perspektiven, an Arbeitsplätzen und einer funktionierenden medizinischen Infrastruktur“, sagt Siruan Hadsch Hossein.
Letzteres macht sich gerade auch in der Corona-Pandemie bemerkbar. Es fehle an allem, erzählt Hadsch Hossein. Bis auf eine Notversorgung mit Sauerstoff können Erkrankte überhaupt nicht behandelt werden. Wie viele Infizierte und in Verbindung mit dem Virus Verstorbene es gibt, ist nicht bekannt. Es gibt keine Statistiken dazu.
Räumliche Trennung in Corona-Zeiten kaum möglich
Die Bevölkerung nimmt zumindest das Virus mit einer Gelassenheit hin, die an Fatalismus grenzt. Besondere Vorsichtsmaßnahmen werden nicht getroffen. Eine räumliche Trennung oder Quarantäne wären sowieso kaum möglich. „Corona ist in Anbetracht der humanitären Katastrophe vor Ort das geringste Problem. Wer stirbt, der stirbt eben. Da ist es egal, ob der Krieg, die Verzweiflung, Hunger, Kälte oder das Virus daran schuld sind.“
Als sein Flieger wieder in Deutschland landet, hat Siruan Hadsch Hossein zum ersten Mal seit Wochen das Gefühl, wieder frei durchatmen zu können. Ihm ist bewusst, in welchem Luxus man hierzulande lebt. In Syrien sind Bars, Geschäfte und Märkte nicht nur vorübergehend im Lockdown. Es gibt sie schlichtweg nicht mehr. Selbst die Grundversorgung mit dem Lebensnotwendigsten ist nicht mehr gewährleistet. Ohne Strom, ohne Öl oder Gas kann weder geheizt noch gekocht werden. „Dagegen erscheinen einem die Pandemiesorgen in Deutschland wie Lappalien.“
„Flucht kann keine dauerhafte Lösung sein“
Er hat sich zum Ziel gesetzt, auch weiter Aufklärungsarbeit zu leisten. Man solle die Region nicht allein als IS-Krisengebiet ansehen, sondern ein tiefergehendes Verständnis entwickeln für die Nöte der dort lebenden Menschen. „Flucht kann keine dauerhafte Lösung sein. Das Land benötigt wieder eine stabile Basis, dazu brauchen wir die Menschen vor Ort. Hilfe von der syrischen Regierung kann man nicht erwarten.“
Den Radiosender betreibt er zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen seit dem 6. Juli 2013. In diesem Sommer feiert der Sender seinen achten Jahrestag. Spätestens dann will er die Region wieder besuchen und das Ereignis dort mit einer Party begehen. Dass dies nicht der einzige Grund zum Feiern sein wird, bleibt zu hoffen.
Journalistin und Fotografin wollte ich schon während der Schulzeit werden. Trotzdem bin ich erst nach vielen Umwegen zur Zeitung gekommen. Die Berichterstattung über die Ereignisse in der großen weiten Welt haben meinen Horizont erweitert, der Lokaljournalismus meinen Blick auf die wesentlichen Dinge vor der eigenen Haustür.
