In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 rückten die Rollkommandos der Nazis aus, holten hunderte jüdische Menschen aus dem Schlaf und gingen mit offener Gewalt gegen sie vor. Mindestens 1400 Synagogen wurden zerstört und mehr als 1300 Menschen getötet. Auch in Haltern kam es zu Auseinandersetzungen.
Um an diese Schreckensszenarien zu erinnern, hat das Forum für Demokratie, Respekt und Vielfalt zu einer gemeinsamen Gedenkfeier am Donnerstagabend, 9. November 2022, am Marktplatz in Haltern eingeladen. Mehr als hundert Menschen haben gemeinsam erinnert.
Der Halterner Bürgermeister Andreas Stegemann (CDU) hat die Feier mit einem Redebeitrag eröffnet. „Der 9. November war eine Station auf dem Weg in die Hölle. Auch in Haltern spielten sich furchtbare Szenarien ab.“ Im Kleinen seien hier Geschäfte, die von jüdischen Inhabern geführt worden waren, von Nazi-Anhängern geplündert und zerstört worden.
„Es gab damals schon Menschen, die Taten missbilligten, aber noch mehr Menschen haben geschwiegen und das darf heute nicht mehr passieren“, fordert Stegemann. Faschismus, Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit seien international auf Vormarsch und deshalb dürfe der Kopf nicht schweigend gesenkt werden.
Jüdisches Leben mehr als Gedenken
„Jüdisches Leben ist bunt und facettenreich und sollte nicht auf Erinnerungskultur beschränkt werden“, hieß es in den abschließenden Worten des Bürgermeisters. Aber dennoch ist das jüdische Leben in Deutschland nicht sicher und ist es seit 1945 nie gewesen.
Diese Tatsache spiegelt sich vor allem in der hohen Anzahl an antisemitischen Strafdelikten wider. „Wenn wir es besser machen wollen, dann müssen wir uns mit der Geschichte auseinandersetzen, auch wenn es schmerzt und es einen sprachlos zurücklässt“, so der Halterner Bürgermeister.
Das fordert auch David Tourgman von der jüdischen Kultusgemeinde Recklinghausen. „Antisemitismus, dieser widerliche Hass erfährt Aufwind und findet inmitten der Politik statt.“ Er nimmt Bezug auf die Worte des AfD-Politikers Alexander Gauland, der „Hitler und die Nazi-Zeit als Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutschen Geschichte“ bezeichnete.
Der jüdische Deutsch-Israeli erinnert an den antisemitischen Anschlag in Halle an Jom Kippur 2019 und machte mit seinen Worten deutlich, dass Antisemitismus eine reale Gefahr für Jüdinnen und Juden in Deutschland ist.

„Die Synagoge war für mich als Kind früher ein Rückzugsort, an dem gefeiert, gebetet und gespeist wurde“, so David Tourgman. „Wenn ich heute daran denke, dass es keinen Feiertag ohne Polizeipräsenz gibt, dann mache ich mir Sorgen um die Zukunft meiner zwei Söhne.“ Es schmerze zu sehen, wie Judenhass online, aber auch in der realen Welt offen zur Schau gestellt werde.
Der Schatten der Vergangenheit soll kein Dämon der Gegenwart sein. Denn, „es ist nicht unsere Schuld, dass die Welt so ist, wie sie ist. Es ist nur unsere Schuld, wenn sie so bleibt“, heißt es in dem Redebeitrag von David Tourgman. Deshalb sei es wichtig, auf Antisemitismus aufmerksam zu machen und diesen scharf zu verurteilen.
Bildung gegen Antisemitismus
Dass Bildung und die Auseinandersetzung mit der Geschichte Deutschlands ein wichtiger Faktor im Kampf gegen Antisemitismus ist, wissen auch die Schülerinnen und Schüler in Haltern. Mit ihren Redebeiträgen machen sie auf eigene menschenverachtende Erfahrungen aufgrund von Rassismus und Sexismus aufmerksam

„Ich wurde aufgrund meines Kopftuches angespuckt“, heißt es in der Rede von Shahd Alsaleh, die auf die Hauptschule in Haltern geht. „Ich hätte mir so sehr gewünscht, dass der Mann neben mir die Situation entschärft und Zivilcourage zeigt.“
Zwei Schüler der Realschule in Haltern haben sich mit der Biografie von Alexander Lebenstein beschäftigt und seinen Worten Raum gegeben. Auch Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums haben emotionale Worte bei der Kundgebung gesprochen.
„Für die, die nicht mehr erzählen können, müssen wir Zweitzeugen sein!“
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