Halterner Landwirte sind entsetzt und wütend. „In der letzten 3nach9 Talkshow (25. 11.) von Radio Bremen haben die Schauspieler Hannes Jaenicke und Sky du Mont Behauptungen über die Milchviehhaltung aufgestellt, die man so nicht stehen lassen kann, weil sie einfach nicht den Tatsachen entsprechen“, sagt Landwirt Tobias Beermann. Zusammen mit Tobias Schlüter, der einen großen Milchviehhof in Holtwick-Lünzum betreibt, möchte er deshalb die realen Produktionsbedingungen von Kuhmilch darstellen.
Besonders fassungslos haben die beiden Landwirte die Äußerungen von Sky du Mont gemacht, der behauptet, dass alle Kälber, die den Kühen weggenommen werden, in große Container geworfen würden und die untersten dann zuerst ersticken.
„Woher er diese angeblichen Informationen nimmt, ist mir schleierhaft“, sagt Tobias Beermann. „Wir werfen doch keine Tiere weg, mit denen wir noch Geld verdienen können, ganz zu schweigen davon, dass das unter Tierschutzaspekten nicht möglich ist. Ein Betrieb, der das machen würde, hätte schnell die Ermittlungsbehörden auf dem Hof.“
Größter Milchproduzent Halterns
Tobias Beermann ist in der Sauenhaltung tätig, Tobias Schlüter hält 380 Milchkühe auf seinem Hof. Damit gehört er zu den größeren Milchproduzenten in der Region, in Haltern ist er der größte. Er beschreibt, was mit den Kälbern auf seinem Hof geschieht: „Sie werden nach der Geburt von der Mutter getrennt, erhalten in den ersten zwei Stunden zunächst Muttermilch.“
„Nur direkt nach der Geburt nehmen Magen und Darm der Kälber genug Antiköper auf, die in der Muttermilch vorhanden sind“, sagt Tobias Schlüter. Danach wird die Fütterung 70 Tage lang auf Milch, Wasser und nach 10 Tagen auch auf Heu und Stroh umgestellt. Die Kälber stehen auf seinem Hof in Boxen mit Wärmelampe, die jeweils gereinigt und desinfiziert werden, bevor ein neues Kalb dort steht.
Kälber selbst aufziehen
Die männlichen Kälber werden danach meist in Mastbetriebe nach Holland verkauft. Sie kommen entweder in die Bullenmast oder auch in die Schlachtung. Die weiblichen Kälber zieht er in einem eigenen Betrieb selbst groß. Nach 15 Monaten werden sie besamt und kalben selbst zum ersten Mal, wenn sie zwei Jahre alt sind. Danach werden sie für die Milchproduktion genutzt.
In der Talkshow hatte Hannes Jaenicke Milchkühe als das „gequälteste Produkt unseres Hungers“ bezeichnet. Milchkühe nennt er „stehende Milchtanks auf vier dünnen Beinen, meistens krank und ständig medikamentös behandelt“.

Dem widerspricht Tobias Schlüter massiv. „Sie können mir glauben, wenn nur eine meiner Kühe krank ist, schlafe ich schlecht. Kühe, die krank sind, geben weniger oder keine Milch. Wenn sie mit Antibiotika behandelt werden müssen, kann ich ihre Milch nicht verkaufen, die nimmt mir keine Molkerei mehr ab. Für unseren Betrieb ist es das A und O, dass unsere Kühe gesund sind.“
Über einen Chip im Ohr werden die Werte einer Kuh ständig kontrolliert und gespeichert. „Ich weiß im Prinzip schneller als die Kuh selbst, wenn sie krank wird“, sagt Tobias Schlüter.
Milchkühe müssen Mutter sein
Damit eine Kuh Milch gibt, muss sie zuvor ein Kalb bekommen haben. „Danach produziert sie etwa 13 Monate lang Milch, zunächst steigt die Kurve an, dann flacht sie langsam wieder ab“, sagt Tobias Schlüter. Nach vier Monaten wird sie deshalb in der Regel wieder besamt. „Im Durchschnitt ist eine Milchkuh daher in sieben Jahren fünf Mal schwanger oder trächtig“, sagt Tobias Schlüter.
Auf seinem Hof werden die Kühe in offenen Stallungen gehalten, erhalten zwischen den Nutzphasen jeweils sechswöchige Ruhephasen. „Geschlossene Ställe gehören bei größeren Produzenten der Vergangenheit an, denn die Sauerstoffzufuhr steigert auch die Gesundheit der Tiere. In den letzten fünf Jahren konnte die Antibiotika-Gabe in der Milchwirtschaft halbiert werden“, sagt Tobias Schlüter.

Soja verfüttert er an seine Kühe überhaupt nicht. „Da wir nicht wissen, inwieweit es genmanipuliert ist, kommt es in 90 Prozent der Betriebe in Nordrhein-Westfalen nicht mehr zum Einsatz“, so Schlüter.
Die Lebenserwartung von Milchkühen ist geringer als die von freilaufenden Rindern. Auch das kritisierten die Schauspieler in „3nach9“. Tobias Schlüter widerspricht aber dem Vorwurf, dass Mütter und Kälber bei ihrer Trennung nach der Geburt einen starken Trennungsschmerz verspüren. „Der Mutterinstinkt setzt bei einer Kuh erst nach 12 bis 24 Stunden ein. Wegen der Nachgeburt entfernt sie sich normalerweise zunächst von ihrem Kalb.“
Erklärung von Radio Bremen
Der Sender Radio Bremen hat inzwischen mit einer Stellungnahme auf die von zahlreichen Landwirten erhobene Kritik an den Äußerungen der Schauspieler reagiert. „Der Talk mit Hannes Jaenicke und die Statements von Schauspieler Sky du Mont haben die Gefühle vieler Landwirtinnen und Landwirte in Deutschland verletzt“, so Radio Bremen in einer redaktionellen Erklärung. „Es lag nicht im Interesse der Redaktion, die persönliche Integrität deutscher Nutztierhalterinnen und Nutztierhalter per se infrage zu stellen.“
Man werde das Thema deshalb erneut journalistisch aufgreifen, um die Hintergründe noch einmal aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten, so der Sender.
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