Dringender Appell der Halterner Kita-Leiterinnen „Erzieherinnenberuf muss aufgewertet werden“

Kitas fordern Politik auf: „Erzieherinnenberuf muss aufgewertet werden“
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Unbefriedigende Arbeitsbedingungen, Stress, unterbezahlt und wenig Ansehen in der Gesellschaft - der Erzieher/-innen-Beruf hat viel an Attraktivität eingebüßt. Die Kitas bekommen das hautnah zu spüren.

Bewarben sich vor einigen Jahren noch sechs bis sieben Interessenten auf eine Stelle in einer Halterner Kindertagesstätte, so liegt heutzutage im besten Fall eine Bewerbung vor. „Wenn die Kitas nicht aussterben sollen, muss sich gehörig etwas ändern“, sagt Alina Moors.

Die Leiterin der Martin-Luther-Kita klagt über Probleme bei der Besetzung neuer Stellen. Jutta Schulz von der städtischen Kita Sythen kann eine zum 1. Februar frei gewordene Stelle erst wieder zum 1. August besetzen. „Es ist sehr schwer, neues Personal zu finden.“

Gut 9.000 angehende Erzieherinnen und Erzieher gibt es aktuell in NRW, Tendenz steigend. Die neuen Fachkräfte reichen aber längst nicht aus. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung bräuchte NRW in diesem Jahr 25.000 neue Kräfte, um den Rechtsanspruch für alle Kinder, deren Eltern einen Betreuungsbedarf haben, erfüllen zu können.

Hinzu kommt: Die Babyboomer aus den 60er-Jahren gehen bald in Rente. Sie hinterlassen in den Kitas eine klaffende Personal-Lücke. „Rund 160 Fachkräfte werden in den nächsten Jahren allein in den katholischen Einrichtungen in Haltern fehlen“, sagt Daniela Grothusmann. Die Leiterin des Familienzentrums St. Laurentius 1 macht sich große Sorgen, wie die Arbeit in den Kindergärten künftig bewältigt werden kann.

Sofortprogramm Kita

Das Land NRW reagiert mit dem „Sofortprogramm Kita“. Darüber sollen junge Menschen (freiwilliges soziales Jahr), Kinderpfleger-/innen (praxisintegrierte Ausbildung PiA-K), Quereinsteiger sowie Frauen und Männer mit Einwanderungsgeschichte als Kita-Mitarbeiter gewonnen werden. Nach Ansicht der Halterner Kita-Leiterinnen ist das aber der falsche Ansatz.

Kinder schützen

Die Gefahr, auch ungelerntes Personal und damit eben keine echte Entlastung der Fachkräfte zu erreichen, sei groß, meinen Christina Diekenbrock (städtische Kita Holtwick) und Jutta Schulz. Alina Moors betont: „Wir haben die Verantwortung, die Kinder zu schützen. Ich halte nicht viel davon, jeden in die Kita zu lassen.“

Daniela Grothusmann sieht noch ein weiteres Problem: „Wenn wir zusätzlich anfangen, ungelernte Kräfte einzustellen, schwächen wir die ausgelernten Fachkräfte, die sich jahrelang dafür qualifiziert haben.“

Ein Kleinkind spielt auf dem Boden. Die Erzieherin im Hintergrund schaut zu.
Die Bezahlung entspricht nicht mehr den Rahmenbedingungen, die Erzieherinnen erfüllen müssen. Im Krankheitsfall bleibt der Bildungsauftrag auf der Strecke. © picture alliance/dpa

Aber wie lässt sich die herausfordernde Personal-Lage in den Kitas, die Bildung, Erziehung und Betreuung sicherstellen sollen, lösen?

„Der Beruf der Erzieherin muss attraktiver gestaltet werden“, heißt es unisono. „Die Rahmenbedingungen müssen sich ändern.“

Zuallererst geht es um die Anpassung des Personalschlüssels. Wie berichtet, kritisieren die Leiterinnen der Halterner Kitas die schlechte personelle Ausstattung (im Schnitt kommen 20 Kinder auf zwei Erzieherinnen).

Bei regelmäßig auftretenden Engpässen (Urlaub, Krankheit, Fortbildung, etc.) müssen Angebote und Öffnungszeiten gekürzt werden. Kolleginnen springen häufig ein, machen Überstunden. Selbst der Urlaub wird zum Teil verschoben, „um den Laden am Laufen zu halten - das ist unhaltbar“, bilanziert Alina Moors.

Auch gebe es nicht genügend Kita-Plätze in Haltern. „Wir belegen die Gruppen bis zu 10 Prozent über“, so Moors. „Dem Anspruch des Bildungsauftrags werden wir dabei nicht gerecht.“ Eine Überbelegung gehe immer auf Kosten der Kinder und des Personals, meint auch Daniela Grothusmann.

Pfarrerin Merle Vokkert weiß die Arbeit der Erzieherinnen zu schätzen.
Pfarrerin Merle Vokkert weiß die Arbeit der Erzieherinnen zu schätzen. © Jürgen Wolter

„Die Anforderungen an den Beruf sind hoch“, betont Merle Vokkert, Pfarrerin der evangelischen Kirchengemeinde, die Träger des Familienzentrums Anne-Frank-Kindergarten und des Martin-Luther-Kindergartens ist. „Und sie wachsen stetig.“

Beobachtungsbögen und Dokumentationen müssten erstellt, Erfahrungslernräume ermöglicht werden.

Grundsätzlich gehe es um die Beobachtung jedes einzelnen Kindes und eine passgenaue Förderung. Die Belastbarkeit einer Erzieherin müsse wegen des Lärms und der Gleichzeitigkeit von Anforderungen hoch sein. „Auch die Elternarbeit wird nicht einfacher“, sagt Vokkert.

Eine Aufbesserung des Gehalt sei zwar nötig, könne aber nicht allein die Anforderungen ausgleichen. Eine Erzieherin verdient in den ersten Berufsjahren rund 2000 Euro netto.

Aufwertung dringend nötig

„Der Beruf der Erzieherin muss vor allen Dingen vom Image her aufgewertet werden“, fordern Vokkert und die Kita-Leiterinnen. Eine Höherqualifizierung der Ausbildung, beispielsweise durch Gleichstellung mit einem Bachelorstudium, sei dringend erforderlich. „In anderen Ländern ist es längst ein Studium“, weiß die Pfarrerin.

„Auch die drei Ausbildungsjahre müssen bezahlt werden“, sagt Alina Moors. Bei der Ausbildung zur Erzieherin handelt es sich um eine schulische Ausbildung, die an speziellen Berufsfachschulen stattfindet. Es besteht kein rechtlicher Anspruch auf Ausbildungsvergütung. Erst das dritte Jahr, das Praxisjahr, wird bezahlt.

Bei der vom Land seit 2021 geförderten praxisintegrierten Ausbildung (PiA) verdienen die angehenden Erzieherinnen dagegen in allen drei Ausbildungsjahren.

„Kita ist kein Ort, an dem vermeintlich nur gespielt wird. Kita ist ein Ort der frühkindlichen Bildung und Erziehung und das muss wertgeschätzt werden“, erklärt der Verband Bildung und Erziehung. Und stellt fest: „Es ist schon fünf nach zwölf, wenn es um die Gewinnung von Fachkräften geht.“

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