Keine Zukunft auf Campingplatz Hoher Niemen „Uns hat keiner über Bebauungsplan informiert“

Etlichen Campern steht Abriss im Ferienpark Hoher Niemen bevor
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Es brodelt bei den Dauercampern auf dem Ferienpark Hoher Niemen in Haltern am See. Eine kleine Gruppe hat sich zusammengetan, ihnen allen blüht das gleiche Schicksal: Sie wollen jetzt auspacken, denn eine Zukunft auf dem Campingplatz gibt es für sie nicht mehr. In ein paar Jahren verlieren sie ihr Zuhause. „Mir reicht’s! Die lügen das Blaue vom Himmel!“ Mit „die“ meinen sie die Betreiber des Campingplatzes.

Wie die Dauercamper namentlich heißen, das weiß die Redaktion. Doch ihre Namen veröffentlichen wollen sie nicht. Das hat mehrere Gründe. Aus Angst vor Konsequenzen. Ein bisschen Angst auch vor den anderen Campern auf dem Platz. Aber vor allem: „Wir sind in laufenden gerichtlichen Verfahren gegen die Betreiber“, sagt eine von ihnen.

Doch wie kam es dazu? 2018 hat eine von ihnen ihr altes Haus verkauft. Vier Stockwerke hatte das Haus, im Garten stand ein großer Pool mit Bar. Mit ihrem schwerbehinderten Mann hat sich die 62-Jährige dazu entschieden, ein Haus auf dem Campingplatz in Haltern zu kaufen. Hier wollten sie gemeinsam ihren Lebensabend verbringen, einen Ruhepol finden.

Bebauungsplan gilt seit 2015

Das Ehepaar hat viel Geld in den Umbau des kleinen Häuschens gesteckt. Ein Stück Garten grenzt daran. Das Badezimmer haben sie behindertengerecht umgebaut. Das Haus ist zwar nicht groß, aber es reicht für die beiden. Als sie das Haus gekauft haben, hat sie keiner über den Bebauungsplan informiert, sagt die 62-Jährige. „Das haben wir erst vor drei Wochen rausbekommen“, sagt sie empört. „Dabei gilt der seit 2015!“

Menschen, die oft am Existenzminimum leben, haben ein Zuhause auf dem Campingplatz Hoher Niemen in Haltern gefunden. Doch bald müssen sie ihr Haus abreißen.
Menschen, die oft am Existenzminimum leben, haben ein Zuhause auf dem Campingplatz Hoher Niemen in Haltern gefunden. Doch bald müssen sie ihr Haus abreißen. © Anne Schiebener

Das Haus der 62-Jährigen steht auf einem Bereich, wo seit 2015 eigentlich keine festen Heime mehr stehen dürfen. Sie holt ein großes Plakat aus dem Regal und rollt es auf dem Küchentisch aus: Bebauungsplan Nummer 114. „Hier müssen alle runter“, sagt sie und zeigt auf den oberen Bereich. Dort, wo „SO Camping“ steht, sind auf Dauer nur noch Camping- und Zeltplätze erlaubt.

Zulässig sind Wohnwagen, Zelte, Wohnmobile. Nicht zulässig: Bauliche Anlagen wie Mobilheime, Ferienhäuser, Campinghäuser sowie „die Nutzung der zulässigen Anlagen zum Zweck des Dauerwohnens“. So steht es im ersten Absatz des Bebauungsplanes. Der 62-Jährigen bleibt nur noch der Rückbau - und den muss sie selbst zahlen.

Der Bebauungsplan hat einen bereits seit vielen Jahrzehnten existierenden Campingplatz überplant. Etliche Teilbereiche sind anders bebaut, als es der geltende Bebauungsplan vorsieht. „Der Campingplatz muss daher sukzessive so umgestaltet werden, dass er dem Bebauungsplan entspricht“, erklärt Baudezernent Siegfried Schweigmann. „Das bedeutet, dass auch feste Heime nicht auf Dauer dort stehen bleiben können, wo sie derzeit stehen.“

Dazu zählt das Haus der 62-Jährigen. Sie ist aber nicht die einzige, der in ein paar Jahren der Abriss ihres Zuhauses bevorsteht. Sie sind zu viert an diesem Morgen. Und es gebe noch weitaus mehr, die runtermüssen.

„Ganzes Geld hier reingesteckt“

Um die Ecke steht ein Holzhaus. Auch das darf hier nicht mehr lange stehen. Die 52-Jährige wohnt seit acht Jahren auf dem Campingplatz. „Seit acht Jahren habe ich mein ganzes Geld hier reingesteckt“, sagt sie.

Vor kurzem sogar 16.000 Euro. Sie hatte einen Wasserschaden in ihrem Haus. „Die haben mir sogar noch Firmen empfohlen, damit es schneller geht“, sagt sie. Mit „die“ meint sie wieder die Betreiber des Campingplatzes. Darüber informiert, dass ihr Haus in ein paar Jahren abgerissen werden muss, haben „die“ sie allerdings nicht. „Das macht mich krank.“ Sie zieht die Ärmel ihres Pullovers hoch. Durch den Stress hat sie Schuppenflechte an den Ellenbogen bekommen.

Eine weitere Dauercamperin, 57 Jahre alt, hat 2020 ein Haus auf dem Platz gekauft. „Hätte ich das mit dem Bebauungsplan gewusst, hätte ich es nicht gekauft. Ich hätte hier kein Geld reingesteckt.“ Verkaufen können sie ihre Häuser nicht mehr. „Da bekommt man nichts mehr für.“

Dass viele Leute hier ihre Existenz haben, das ist der Stadt bewusst. „Schon diese Tatsache verdeutlicht aber, dass man die Umgestaltung des Campingplatzes nicht in kürzerer Zeit erzwingen kann, weil damit auch der Verlust von Werten für einzelne Bewohner einhergeht“, sagt Siegfried Schweigmann. Stadt und Campingplatz seien in engem Kontakt. „Diese Bemühungen haben auch schon zu etlichen Erfolgen geführt. Der Verwaltung ist aber klar, dass es noch einige Jahre dauern dürfte, bis der Bebauungsplan vollumfänglich umgesetzt wird.“

Betreiber hätten Camper informiert

Wohl fühlen sich die Dauercamper hier schon lange nicht mehr. „Das Thema ‚Hoher Niemen’ ist für uns gegessen. Es wird nichts getan für uns Dauercamper.“ Die Straßen zeigen tiefe Schlaglöcher, das Wasser sei verschmutzt und Gasleitungen porös. „Das ist Vergraulungstaktik. Die wollen uns loswerden. Wo gehen denn sonst unsere Gelder hin?“

Eigentlich wollten die Dauercamper hier ihren Lebensabend verbringen.
Eigentlich wollten die Dauercamper hier ihren Lebensabend verbringen. © Anne Schiebener

Was sagen die Campingplatzbetreiber zu den Vorwürfen der Dauercamper? „Die Campingplatznutzer wurden in Einzelgesprächen über den bestehenden Bebauungsplan informiert“, heißt es auf Anfrage aus der Verwaltung. „Darüber hinaus wurde vom Betreiber deutlich gemacht, dass bei anstehenden Verkäufen, die Parzellen entsprechend zurückzubauen sind und die Dauernutzung nicht mehr möglich ist.“

Wie die Betreiber des Ferienparks angeben, habe es in der Vergangenheit „umfangreiche Modernisierungen“ gegeben. „So wurde das Dach und die Therme des Sanitärgebäudes modernisiert sowie in die Müllentsorgung und Gasversorgung investiert.“ Eine neue Schrankanlage wurde installiert - „für mehr Ruhe auf dem Platz“.

So sehen die Straßen auf dem Campingplatz teilweise aus.
So sehen die Straßen auf dem Campingplatz teilweise aus. © privat

Und die sichtbar tiefen Schlaglöcher in den Straßen? Dazu heißt es: „Selbstverständlich wird im Zuge der Verkehrssicherungspflicht darauf geachtet, dass die Straßen und Wege sicher genutzt werden können.“

Die Campingplatzbetreiber seien bemüht, „die Festsetzungen des Bebauungsplans so schnell wie möglich umzusetzen, aber darüber hinaus diese Anpassungen einvernehmlich mit den Nutzern zu regeln“. Es steht, wie so oft in Streitereien, Aussage gegen Aussage.

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