Dirk Büsing kümmert sich seit Jahren um seine an Demenz erkrankte Mutter. Der Familienvater erzählt, wie die Krankheit schleichend ihren Lauf nahm und wie der Alltag heute aussieht.

Lippramsdorf

, 29.12.2018, 05:00 Uhr / Lesedauer: 6 min

„Es fing mit ganz simplen Sachen an - schleichend“, sagt Dirk Büsing. Wann genau, kann er im Nachhinein gar nicht mehr so genau sagen. „Auf einmal hat meine Mutter ihr Auto nicht mehr wieder gefunden, obwohl sie es wie immer vor dem Haus geparkt hat.“

Ihre Vergesslichkeit hat die Mutter dann oft heruntergespielt. „Du vergisst doch auch mal was“, hat sie dann gesagt. „Am Anfang hab ich mir nichts dabei gedacht, aber irgendwann wird man stutzig und merkt, dass irgendetwas nicht stimmt. Dass man die Person so eigentlich nicht kennt“, sagt Dirk Büsing. Seitdem kümmert sich der 48-Jährige mit seiner Familie um seine an Demenz erkrankte Mutter. Die Krankheit schreitet zum Glück nur langsam voran.

„Die Demenz ist eine Hirnwerkzeugstörung. Der Patient erleidet eine Erinnerungsstörung und zugleich eine Störung bei der Bewältigung des Alltags. Es gibt Medikamente, die den Prozess des Gedächtnisverlusts verlangsamen. Aufhalten kann man ihn leider noch nicht. Demenz ist heute noch nicht heilbar. Es gibt momentan Forschungen in Düsseldorf und Münster, die sich mit der Krankheit auseinandersetzen“, sagt Neurologe Dr. Oliver Merse aus Recklinghausen.

Eiweiße lagern sich in den Gehinzellen ab

Er erklärt, was bei der Krankheit im Körper vor sich geht: „Im Stoffwechsel der Gehirnzellen lagern sich Eiweiße ab, die Plakues bilden. Diese Eiweißablagerung bleibt liegen und löst sich nicht mehr auf. Dadurch werden Synapsen gekappt und Nervenzellen angegriffen. Mit der Zeit gibt es einen vermehrten Abbau von Hirngewebe oder Hirnzellen, die die Hirnleistung stören. Je nachdem in welchem Stadium sich der Patient befindet, fällt es ihm immer schwerer, sich zu erinnern, Wege zu finden oder gar zu sprechen.“

Sigrid Büsing, Dirks Mutter, ist mittlerweile 85 Jahre alt und wohnt im Erdgeschoss des Zwei-Familien-Hauses in Lippramsdorf. Im ersten Stock wohnt Dirk Büsing mit seiner Frau Nicole und den zwei Kindern Finn und Malin (13 und 9 Jahre).

„Vor etwa zwölf Jahren waren wir sowieso gerade auf der Suche nach einem größeren Haus mit unserem ersten Kind Finn. Weil mein Vater da gerade verstorben war und meine Mutter alleine lebte, haben wir uns mit ihr an den Tisch gesetzt und gefragt ‚Oma, was möchtest du denn machen?‘ Sie hätte ja in ihrem Haus bleiben oder auch in eine Senioren-WG ziehen können. Aber sie wollte gerne bei uns einziehen in einer eigenen Wohnung. Die Krankheit gab es zu dem Zeitpunkt noch gar nicht.“

Wir leben zu Hause in einer großen Hausgemeinschaft

Man muss dazu sagen, dass die Familie ein sehr enges freundliches Verhältnis pflegt. „Nicole, meine Frau, versteht und verstand sich immer sehr gut mit meinen Schwiegereltern und andersherum ist es genauso. Das war für uns nie ein Streit-Thema. Wir leben zu Hause in einer großen Hausgemeinschaft. Auch unser Dackel Maja pendelt den ganzen Tag zwischen den zwei Wohnungen umher.“

Zum ersten Mal in Berührung gekommen ist die Familie mit dem Thema Demenz erst nach einem Krankenhaus-Aufenthalt. „Meine Mutter hatte Probleme mit dem Bauch und musste operiert werden. Nach der Operation litt sie an dem sogenannten Durchgangssyndrom.

„Sie war wie weggetreten und nicht mehr klar bei Verstand. Die Ärzte haben erste dementielle Züge festgestellt. Daraufhin hat das Amtsgericht Marl entschieden, dass sie einen gesetzlichen Betreuer braucht. Diese Funktion habe ich dann übernommen. Wir waren zu diesem Zeitpunkt gerade im Urlaub in Dänemark. Da kam der Anruf. Das war natürlich ein Schock für uns.“

„Es ist nicht alles negativ. Wir lachen auch sehr viel zusammen.“

Bei dem Durchgangssyndrom gibt laut Dirk Büsing zwei Alternativen: Entweder der Zustand bleibt unverändert oder er wird wieder besser. „Für uns stellte sich damals eigentlich nur die Frage, schafft sie das oder wird sie ein Pflegefall? Bei meiner Mutter ist es zum Glück wieder besser geworden. Es war aber nie mehr so gut wie vor der OP.“

Die Demenz-Erkrankung verlaufe in Wellenbewegungen, sagt Büsing. Mal geht es der Betroffenen wieder besser, mal schlechter. Damit muss man irgendwie zurechtkommen. Auf lange Sicht habe sie eine Negativrichtung. „Traurig sind immer die Momente, in denen meine Mutter selbst merkt, dass sie immer mehr Dinge vergisst. Dann ist sie traurig und weint.“

„Es ist aber nicht alles negativ“, betont der Diplom-Geograf immer wieder. „Wir lachen auch sehr viel zusammen. Natürlich mit meiner Mutter und nicht auf ihre Kosten!“ Einmal hat Tochter Malin Mensch-ärger-dich-nicht mit der Oma gespielt. Bei einem kurzen unaufmerksamen Moment der Oma hat die Enkelin das Spielbrett einfach umgedreht und mit den Püppchen der Oma weitergespielt. Die Oma konnte sich nicht mehr an ihre Farbe erinnern, hat einfach mitgespielt und am Ende leider verloren. Spiele spielen, das macht Oma Sigrid heute noch gern. Sonst bastelt sie, strickt oder löst einfache Kreuzworträtsel.

Ruhe überträgt sich auf die Oma und die Kinder

Schön sind auch die Momente, in denen die Familie gemeinsam auf der Terrasse sitzt und den freilaufenden Hühnern beim Picken zuschaut. In diesen Augenblicken entstehe eine gewisse Ruhe, die sich auf die Oma und besonders auch auf die Kinder übertrage.

Auch wenn es sehr schleichend ist, baut Dirks Mutter mit der Zeit immer mehr ab. „Es gibt Nächte, da schläft meine Mutter sehr schlecht. Es hat den Anschein, als ob der Kopf was verarbeitet. Am nächsten Morgen ist dann eine ganz seltsame Atmosphäre in ihrem Schlafzimmer. Oft riecht es dann auch komisch. Das kann man ganz schlecht beschreiben. Nach so einer Nacht weiß ich immer, dass sie wieder abgebaut hat. Das es wieder schlechter wird.“

Dass es der Oma immer schlechter geht, bekommen auch die Kinder Malin und Finn mit. „Wir wollen die Krankheit nicht vor ihnen verstecken, sondern sie sie bewusst miterleben lassen. Das Leben ist nicht nur pittoresk“, sagt der Familienvater.

Mit Hinbluten ins Krankenhaus

Einmal stand seine Mutter nachts um 2 Uhr auf, packte ihre Sachen und wollte losfahren. Wohin, wusste sie selbst nicht. „In solchen Momenten ist es oftmals hilfreich, wenn die Angehörigen einfach mitspielen“, empfiehlt Dr. Merse. Es hilft dem Kranken mehr, wenn man sagt ‚Es ist Sonntag, du musst heute nicht arbeiten. Du kannst noch ein bisschen schlafen‘, als konfrontativ zu sein und zu sagen ‚Du bist dement. Du arbeitest schon seit 20 Jahren nicht mehr.“

Vor drei Jahren machte die Demenz einen starken Schub. Sigrid Büsing kam mit Hirnbluten ins Krankenhaus. „Da waren wir zufällig wieder gerade im Urlaub. Diesmal auf Korsika. Wir waren kurz davor, den Urlaub abzubrechen und nach Hause zu fliegen. Dann kümmerte sich aber mein Bruder und meine Schwägerin um unsere Mutter.“

Umbauten in der Wohnung

Nach dem Krankenhausaufenthalt machte Sigrid Büsing eine Reha in Haltern und kam danach für einen Monat in eine Kurzzeitpflege nach Dorsten. In dieser kurzen Zeit baute die Familie das Erdgeschoss seniorengerechter um. Denn nun stand fest, dass die Mutter eine noch intensivere Betreuung benötigen würde. Alles wurde ebenerdig gemacht. Die Familie richtete zusätzlich ein Zimmer ein, in dem man bei Bedarf auch mal übernachten kann.

„Mit dem Umbau beeilten wir uns, denn die Kurzzeitpflege war für mich ein schreckliches Erlebnis. In dem Pflegeheim kümmerte sich ein wirklich liebes und bemühtes Personal von zwei bis drei Kräften um die 25 Bewohner. Das war gar nicht zu schaffen. Die Pfleger waren völlig überfordert. Viele der Bewohner vegetierten nur vor sich hin“, erinnert sich Dirk Büsing.

Übergang ins Pflegeheim so lang wie möglich herauszögern

Aus diesem Grund möchte er den Übergang ins Pflegeheim für seine Mutter so lang wie möglich herauszögern. „Genauso wichtig ist es aber auch, einen gewissen Selbstschutz zu wahren. Das kann ich nur allen pflegenden Angehörigen mitgeben“, betont der 48-Jährige. „Es ist niemandem geholfen, wenn man sich für den anderen völlig aufopfert und sein eigenes Leben nicht mehr lebt. Die Zeit muss man sich nehmen.“ Dirk Büsing macht gerne Sport und geht mit seiner Frau zwei bis drei Mal die Woche laufen.

Die Krankheit frisst schon Zeit genug. „Anfangs will man sie oft nicht wahrhaben. Sie passt einfach nicht in den Alltag.“ Dirk Büsings Terminplan ist strikt durchgetaktet. Besonders nerven- und zeitaufreibend sei der Papierkram.

„Der Aufwand an Büroarbeit, den ich regelmäßig tätige, um meiner Mutter zu helfen, ärgert mich maßlos. Man ist oft unterwegs, um Unterlagen und Nachweise abzuholen und sie woanders wieder einzureichen. All das macht man dann so nebenbei. Für uns war anfangs auch unklar, welche Mittel uns zur Verfügung stehen. Das ist alles noch viel zu unübersichtlich.“

Angebote für Demenzbetroffene

Hier können Demenzerkrankte und
ihre ANgehörigen in haltern hilfe bekommen

  • Die Caritasverband Datteln und Haltern am See bietet jeden 3. Mittwoch im Monat von 15 Uhr bis 17.30 Uhr das Demenz-Café mit Gesprächskreis für die Angehörigen an im Pfarrheim St. Laurentius, Augustusstraße 18, unter der Leitung von Gerhild Krüger. Anmeldungen sind vorab notwendig bei Jeannette Norden unter der Tel. 02364/10 90 56.
  • Jeden Montag von 10.30 Uhr bis 13 Uhr gibt es ein Mittagessen für Demenzkranke im Josefshaus, Richthof 18. Anmeldungen ebenfalls bei Jeannette Norden.
  • Seit 2014 gibt es das Tanzcafé mit der ATV offen für alle Senioren. Es findet viermal im Jahr statt. Im kommmenden Jahr liegen die Termine am 17. März, 16. Juni, 15. September und 8. Dezember.
  • Des Weiteren gibt es kostenlose Kursreihen für Demenz-Angehörige mit der Firma Wörheide unter dem Titel „Begleitung im Andersland“.
  • Seit sieben Jahren gibt es das Gedächtnistraining mit der Alzheimergesellschaft für Demenzerkrankte im Frühstadium. Pro Halbjahr gibt es zwei Blöcke à acht Einheiten immer dienstags von 15 bis 16.30 Uhr im Franziskus-Haus, Sixtusstraße 39.
  • Der Caritasverband Datteln und Haltern am See e.V. bietet bei Bedarf auch Einzelbegleitungen an.
  • Alle Angebote bis auf das Tanz-Café sind über die Pflegekasse abrechenbar. Ab Pflegegrad 1 können alle Angehörigen auf einen Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro im Monat zurückgreifen.
  • Neben der Caritas bietet auch das St. Sixtus-Hospital Angebote für pflegende Angehörige, auch für Demenzbetroffe, an. Im Hospital in Haltern gibt es mehrtägige Pflegetrainings, Pflegekurse und Schulungen zum Umgang mit demenzkranken Angehörigen. Im Demenz- und Pflegecafé treffen sich einmal monatlich pflegende Angehörige zum Erfahrungsaustausch. Informationen gibt es per Mail unter ueberleitungspflege.haltern@kkrn.de oder unter der Tel. 02364/10 42 01 25.

Er und seine Frau arbeiten beide in Vollzeit als Geografen. Dazu kommen die vielen Arztbesuche der Mutter, der Papierkram, die Kinder, der Haushalt und auch die Freizeitgestaltung der Mutter. Einmal wöchentlich geht sie zum Demenz-Café und zum Mittagessen bei der Caritas. „Alle helfen mit: Meine Frau, mein Bruder mit seiner Familie, unsere Haushaltshilfe und eine gute Bekannte. Wir ziehen alle an einem Strang. Sonst wäre die Betreuung in der eigenen Wohnung nicht möglich.“

Dirk Büsing ist ein rationaler Mensch, der rationale Entscheidungen trifft und auch in stressigen Situationen einen kühlen Kopf bewahrt. Es gibt aber auch Situationen, die ihn nachdenklich machen: „Seit meine Mutter nicht weiß, dass sie so vergesslich geworden ist, geht es ihr wieder besser. Das ist irgendwo traurig, aber auch irgendwo gut.“

Auf dem Level, auf dem sich die Demenz seiner Mutter momentan befindet, sei alles noch machbar. Der Alltag sei zu bewältigen, sagt der Sohn. Wenn es mal zu einer noch intensiveren Betreuung rund um die Uhr kommen sollte, wüsste er momentan auch nicht, wie er reagieren würde.

„Für mich ist aber eine Grenze erreicht, wenn meine Kinder auf der Strecke bleiben würden. Das geht nicht. Dann müssen wir eine Entscheidung treffen. Wenn es plötzlich doch rapide abwärts gehen sollte, muss man irgendwann loslassen. Das ist schwer.“

Sigrid und Malin Büsing

Sigrid und Malin Büsing © Alina Meyer

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