Historischer Mordfall Heinz Wener schrieb es auf: Wilderer erschoss Graf Otto von Westerholt

Historischer Mordfall: Wilderer erschoss Graf Otto von Westerholt
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Man könnte die Geschichte auch ganz kurz erzählen: Es war einmal ein Graf, der war Reichsgraf von und zu Westerholt und Gysenberg. Er hatte fünf Kinder. Sein ältester Zögling hieß Otto. Das Schicksal meinte es nicht gut mit ihm, denn er starb keines natürlichen Todes. Er wurde am 2. Mai 1920 im Wald ermordet.

Aufgeschrieben hat die Geschichte kein geringerer als der alteingesessene Westerholter Heinz Wener, ehemaliger Vorsitzender des Heimatvereins.

Fünf Seiten widmete er der Ermordung des Grafen Otto in seinem Westerholter Lesebuch.

Die Ermordung des Grafen Otto

Zunächst sah es so aus, als würde der Fall nicht aufgeklärt werden und für immer als „Cold Case“ in der Mottenkiste verschwinden. Denn bis auf ein paar Fußspuren auf einem Sandweg und die Tatsache, dass Graf Otto durch einen Schuss in den Kopf getötet worden war, wies nichts auf die Täter hin. Man vermutete, dass es die Rotgardisten waren, die beim Bolschewistenaufstand 1920 zwischen Rhein, Ruhr und Lippe und eben auch in Sythen bei Haltern ihr Unwesen trieben.

Am 24. März plünderte eine „wilde Horde“ auch sein Schloss Sythen. Da war der Graf persönlich aber nicht anwesend, lediglich seine Gemahlin. Die Rotgardisten wurden aus dem Raum Ende März 1920 von der Reichswehr vertrieben. „Innerhalb kürzester Zeit wurde mit eiserner Faust das ganze Gebiet von diesen Räubern und Plünderern befreit“, schreibt der Autor im Buch.

Zweigeteiltes Bild, links ein Portrait vom jungen Grafen Otto mit Hut, er trägt einen Schnauzbart. Auf dem Totenbrief steht unter anderem "Er starb durch Mörderhand."
"Er starb durch Mörderhand": Portrait von Graf Otto von und zu Westerholt und Gysenberg, der als ältester Sohn als nachfolgender Schlossherr in Westerholt vorgesehen war. Er wohnte, wie üblich für Nachfolger, auf Schloss Sythen. © Quellen: Hans Wener

Der spektakulärste Fall in der Geschichte der Grafen

Es ist der spektakulärste Fall in der Geschichte der Grafen, den Wener in seinem Buch notiert hat. „Graf Otto war vorgesehen als Nachfolger, als Schlossherr in Westerholt“, erzählt der Heimatforscher. „Und die Nachfolger haben immer auf Schloss Sythen gewohnt. Klar, dass dieser Fall auch bei Weners heimatkundlichen Führungen für Aufsehen sorgte, die er bis 2002 anbot.

Wener zeigte dabei den Bürgern regelmäßig die gräfliche Gruft. „Zwischen Kirche und Turm führt eine Treppe in die Kammer“, erzählt der 86-Jährige. Da er damals, als er noch Vorsitzender des Heimatvereins war, mit dem Grafen gut bekannt war, hatte er einen Schlüssel. „Heute kommt man nur noch mit Genehmigung des Grafen in die Krypta.“

In dieser befinden sich zehn Grabkammern, jede Kammer versehen mit einer Grabplatte. Auf jener von Graf Otto stehen die Daten: „geb. Sythen 22. Juni 1875 gest. Sythen 2. Mai 1920“. Graf Otto wurde folglich mit 45 Jahren aus dem Leben gerissen.

Und wer war der Mörder?

Die Frage nach den Tätern stellte sich lange Zeit. In Unwissenheit darüber verstarb sogar Graf Ottos Vater Franz Egon von Westerholt am 9. April 1923. Ziemlich genau fünf Jahre dauerte es, bis die Mordgeschichte eine neue Wendung nahm. Ein Kriminalkommissar kam wohl per Zufall dem Haupttäter auf die Spur, weil er sich nämlich bei einer Vernehmung in einem anderen Fall verdächtig machte. Es war ein Soldat der Reichswehr namens Rehme, der schließlich gestand: „Danach will Rehme sich in Begleitung eines Knechtes aus Hullern namens Hunfeld bewaffnet im Walde bei Sythen aufgehalten haben, angeblich um zu wildern. Hier sei ihnen der Graf begegnet und habe sie aufgefordert, die Waffen abzugeben“, schreibt Wener im Lesebuch. Dieser Aufforderung sei Rehme aber nicht nachgekommen.

Buchseite zeigt die Grabplatte von Graf Otto „geb. Sythen 22. Juni 1875 gest. Sythen 2. Mai 1920“.
Abbildung der Grabplatte des ermordeten Grafen Otto. © Harald Landgraf

Der Graf habe auch die Personalien aufnehmen wollen, wozu er berechtigt gewesen sei, berichtet Wener. Doch auch das habe Rehme verweigert. Als dann Hunfeld plötzlich fortgelaufen sei, kam es zur Eskalation: Der Graf hielt Rehme fest, es kommt zum Handgemenge, Rehme schlägt den Grafen mit dem Gewehr vor den Kopf, danach schießt er aus einiger Entfernung auf ihn.

Die Mörder wurden schließlich am 11. Dezember 1925 zum Tode verurteilt. Das Gericht vertrat die Ansicht, dass die Tötung mit Überlegung erfolgt sei, unter Vorsatz und um einer Anzeige des Grafen zu umgehen.

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