Heimatforscher klärt angeblichen Nazi-Mord in Sythen auf 40 Jahre nach Originalakte gesucht

Heimatforscher klärt angeblichen Nazi-Mord in Sythen auf
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Die Geschichte seiner Heimat lässt Ortwin Bickhove-Swiderski nicht los. Der Dülmener Forscher und Buchautor will an die dunkle NS-Vergangenheit in der Region erinnern. „Und die Menschen aufrütteln, nicht alles, was gesagt und geschrieben wird, einfach so hinzunehmen, sondern stattdessen zu hinterfragen“, sagt er.

In Haltern ist Bickhove-Swiderski bei seinen Nachforschungen erneut auf einen Nationalsozialisten gestoßen, der von der NSDAP lange Zeit zu Unrecht als „Blutzeuge“ hochstilisiert wurde. Kommunisten sollten den Sythener Nazi Bernard Gerwert angeblich erschlagen haben.

In der Unterlagen des Reichsjustizministeriums ist der Dülmener Buchautor nach über 40-jähriger Archivsuche aber endlich der Wahrheit auf die Spur gekommen.

„Blutzeuge der Bewegung“

Nach damaliger Darstellung der NSDAP soll der Arbeiter und SA-Mann Bernard Gerwert (geboren am 20. November 1901) am 25. März 1928 beim Besuch eines Wirtshauses von Kommunisten mit Werkzeugen geschlagen und zu Tode getreten worden sein. Dies hatte die Deutsche Zeitung kurz zuvor berichtet. „Die NSDAP hatte die These aufgegriffen und Gerwert daraufhin in ihren Festschriften zum ,Blutzeugen der Bewegung‘ erklärt“, sagt Ortwin Bickhove-Swiderski.

Nazis aus ganz Westfalen waren bei der Beerdigung des vermeintlichen Märtyrers, der am 19. April 1928 im Halterner Krankenhaus starb und vier Tage später begraben wurde, anwesend. Und auch danach wurde die Grabstelle auf dem Sythener Friedhof von politischen Führern der NSDAP besucht.

Eine Abordnung der SA auf dem Friedhof in Sythen versammelte sich vor dem Grabkreuz von Bernard Gerwert. SA-Brigadeführer Otto Voß aus Bochum hatte die Beerdigung organisiert.
Eine Abordnung der SA auf dem Friedhof in Sythen versammelte sich vor dem Grabkreuz von Bernard Gerwert. SA-Brigadeführer Otto Voß aus Bochum hatte die Beerdigung organisiert. © privat

In München wurde für das Opfer ein Denkmal errichtet, ein weiteres war in Dülmen geplant.

Sogar eine Straße in Haltern wurde nach Bernard Gerwert benannt. Mit Ratsbeschluss vom 9. November 1936 hieß die Sixtus-Straße ab sofort nur noch - in falscher Schreibweise - Bernhard-Gerwert-Straße.

Die wahre Todesursache

„In Archiven habe ich über 40 Jahre nach Gerwerts Originalakte gesucht“, sagt der Heimatforscher. Im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz wurde der Dülmener schließlich fündig. Aus der Akte des Reichsjustizministeriums geht hervor, dass Bernard Gerwert nach einer Operation am entzündeten Blinddarm an den Folgen einer beginnenden Bauchfellentzündung starb.

Der Oberstaatsanwalt hatte dem Ministerium demnach bereits am 2. August 1928 zur Einstellung der Verfahren gegen die beiden Kommunisten Johann Dransmann und Franz Breuer, die den Sythener angeblich ermordet haben sollten, geraten. „Es liegt eine gewöhnliche Wirtshausschlägerei vor“, hatte der Oberstaatsanwalt schon wenige Monate nach dem Vorfall in dem Gasthaus festgestellt.

Festhalten an der Lüge

Doch die Nazis hielten an der Märtyrer-Lüge fest. Gerwerts Vater erhielt sogar noch eine monatliche Zuwendung in Höhe von 70 Reichsmark aus der Unterstützungskasse der NSDAP.

„Archivarbeit und Lokalgeschichte ist spannend“, sagt Ortwin Bickhove-Swiderski. Die Propaganda der NSDAP habe damals eine große Wirkungskraft entwickelt. „Die Klischees, dass die Kommunisten an allem Schuld haben, verfehlten ihre Wirkung nicht.“

Der NSDAP sei die Wahrheit im Fall Gerwert durch Aktenlage bekannt gewesen. „Die Ermittlungsergebnisse wurden aber unter Verschluss gehalten und der Mythos vom Blutzeugen aufrecht erhalten.“

Ein Erklärung, die der Vater von Bernard Gerwert in der Zeitung veröffentlichen ließ.
Der Mordfall Gerwert war keiner. Gerwerts Vater widerrief nach dem Krieg in der Halterner Zeitung die Behauptungen der Nazis. © Ingrid Wielens

Bickhove-Swiderski mahnt zur Vorsicht: „Leute, seid wachsam“, sagt er. Die Nationalsozialisten hätten mit ihrer Geheimniskrämerei weitergemacht, ist er sicher. Der Heimatforscher warnt zugleich: In einer Zeit, in der die AfD nicht nur in Thüringen zulege und „Faschisten wie Björn Höcke“ Politik machten, müsse die Bevölkerung aufmerksam sein.

Die Jugend mitnehmen

Auch die Jugend will der Dülmener für die Politik begeistern. Unter anderem bietet er Vorträge in Schulen und anderen Einrichtungen an. „Es geht darum, kritisch zu sein, zu hinterfragen, ob das, was gesagt wird, auch tatsächlich immer stimmt.“

Ortwin Bickhove-Swiderski ist stets auf der Suche nach „dunklen Gestalten der Geschichte“. Wer ihm dazu historische Dokumente, Fotos oder anderes Material zukommen lassen kann oder möchte, kann dies per Mail an ortwin.swiderski@gmx.de tun.

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