Das hat es bisher noch nie gegeben: Zum ersten Mal haben sich bundesweit fast alle Apotheker und Apothekerinnen entschlossen, an einem Protesttag (14. Juni) nicht zu öffnen. Auch in Haltern bleiben dann fast alle Apotheken zu. Mit der Aktion wollen die Apotheker auf ihre Lage aufmerksam machen. Die ist dramatisch, viele fürchten um ihre Existenz.
„Coronakrise, Lieferengpässe, Personalmangel und überbordende Bürokratie: Das sind die Herausforderungen, die Apotheker bewältigen mussten und müssen“, sagt Dr. Philipp Schulte-Mecklenbeck, Apotheker der Bären- und der Römer-Apotheke in Haltern und Vorstandsmitglied der Apothekerkammer Westfalen-Lippe.
Das Honorar der Apotheken besteht zu einem wesentlichen Anteil aus einem Festbetrag, der die laufenden Kosten abdecken soll. Dieser Festbetrag wurde seit zehn Jahren nicht mehr angepasst, kritisieren die Apotheker, trotz der zwischenzeitlich immens gestiegenen Kosten. Die Apotheken seien so von der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung abgekoppelt.
Inflation schlägt durch
„Ob Kosten für IT oder für Personal: Die Inflation schlägt unvermindert durch, ohne finanziellen Ausgleich. Gleichzeitig hafte ich als Apotheker aber als eingetragener Kaufmann mit meinem Privatvermögen“, sagt Jörn Graé, Apotheker der Lambertus-Apotheke in Lippramsdorf. „Für mich bleibt also im Extremfall nur eine Konsequenz: Wenn es soweit kommen sollte, dass ich Verluste mache, dann mache ich zu.“
„Wir protestieren, weil die Politik der Bundesregierung unsere Arbeit – die ordnungsgemäße Versorgung der Bürgerinnen und Bürger – massiv gefährdet. Wegen der vielen Lieferengpässe brauchen die Apothekenteams bei ihrer Arbeit möglichst viel Flexibilität, um die Patientinnen und Patienten schnell versorgen zu können. Das Versorgungssystem ist aber voller Bürokratie und drohender Strafzahlungen an die Krankenkassen“, begründet Dr. Philipp Schulte-Mecklenbeck die Protestaktion.

Die Arbeit in der Apotheke sei herausfordernd und brauche viel Fachwissen und Verständnis für die Probleme der Menschen, die Hilfe benötigen, so der Halterner Apotheker. „Arzneimittel-Lieferengpässe haben unsere Arbeit noch komplizierter gemacht und kosten Kraft und Zeit. Eine finanzielle Anerkennung für diese Mehrarbeit wird den Apotheken jedoch versagt. Auch hier fordern wir von der Politik eine gerechte Lösung.“
Jeden Tag schließt eine Apotheke in Deutschland. Heute ist die Zahl der selbstständigen Apotheken auf dem Niveau von 1965, stellen die Haltener Apotheker fest.
30 weitere Schließungen
Bei der Sitzung des Westfälisch Lippischen Apothekerparlaments Ende Mai hatte Gabriele Overwiening, Präsidentin der Apothekerkammer, referiert, dass in den Regierungsbezirken Arnsberg, Detmold und Münster aktuell nur noch 1270 selbstständige Apotheken gezählt werden. Bis zum Jahresende rechnet die Apothekerkammer Westfalen-Lippe mit 30 weiteren Schließungen.

„Das ist das Spannungsfeld, in dem wir uns zurzeit bewegen“, sagt Jörn Graé. „Immer mehr junge Pharmaziestudenten fragen sich deshalb, ob sie diesen Beruf überhaupt noch ergreifen sollen. Auch das ist eine gefährliche Entwicklung, denn sie gefährdet zukünftig die Medikamentenversorgung grundsätzlich. In den Westfälisch-Lippischen Apotheken sind schon jetzt etwa 1000 Stellen unbesetzt.“
Nach wie vor ein Traumberuf
„Apotheker oder PTA (Pharmazeutisch Technische(r) Assistent(in)) ist nach wie vor ein Traumberuf“, sagt Philipp Schulte-Mecklenbeck. „Aber eine unserer wichtigsten Aufgaben, die Beratung der Kunden, kommt immer mehr zu kurz.“
Apotheken kaputtzusparen bedeute, die flächendeckende, niedrigschwellige und wohnortnahe Arzneimittelversorgung und Beratung kaputtzusparen. Schulte-Mecklenbeck: „Wir wissen, das kann nicht im Sinn unserer Patientinnen und Patienten sein – und deshalb protestieren wir.“
Investor übernimmt Pro Büro und Kopier GmbH in Haltern: So geht es mit der Filiale weiter
Bäcker aus Haltern verteilen Eis im Knast: „Das hat Spaß gemacht“
Apotheken in Haltern schließen aus Protest: So kommen Sie im Notfall an Medikamente