
Anne Soltwisch Geschäftsführerin der westfälischen Wasser und Umweltanalytik GmbH und Magnus Meckelburg Leiter des Halterner Wasserwerks, erklären die schwierige Lage, in der sich Gelsenwasser beim Fischsterben befindet. © Nora Varga
Gelsenwasser zum wiederholten Fischsterben in der Stever: „Wir sind nicht allmächtig“
FAQ zum Fischsterben
1,4 Tonnen tote Fische sind die traurige Bilanz des Fischsterbens in der Stever. Im Fragen und Antworten gibt es alle Erklärungen und einen Ausblick auf die nächsten Jahre.
Fast zwei Wochen nach dem Fischsterben in der Stever stehen noch viele Fragen im Raum. In dieser Übersicht werden die wichtigsten Fragen rund um das Fischsterben und die Maßnahmen von Gelsenwasser beantwortet.
? Was wird aktuell getan, um ein neues Fischsterben in der Zwischenstever zu verhindern?
Momentan gibt es zwei entscheidende Maßnahmen. Zum einen gibt es mehrere Belüftungsanlagen, die im Einsatz sind. An der unteren Stever auf der Höhe des Alten Gartens sind das vier Oberflächenbelüfter. Die Stever ist hier ziemlich flach, deswegen reicht es, das Wasser an der Oberfläche umzuwälzen. Auf Höhe der Siedlung Overrath gibt es dann einen Strahlbelüfter. Der bläst das Wasser kurz über dem Boden in den Fluss. So wird sauerstoffarmes Wasser am Boden angereichert. Ein zweiter Lüfter dieser Sorte ist am Wehr Heimingshof im Einsatz.

Im tieferen Bereich Höhe Siedlung Overrath ist ein Strahlbelüfter in Betrieb, der auf dem Boden der Zwischenstever steht. Der Belüfter saugt Wasser ein und stößt einen mit Sauerstoff angereicherten Wasserstrahl aus. Damit ergibt sich ein „Luftvorhang“ innerhalb des Wassers. So soll der Sauerstoffgehalt in dem Bereich erhöht werden. © Nora Varga
Die zweite Maßnahme sorgt dafür, dass überhaupt genug Wasser in die Stever kommt. Dafür wird vom Hullerner Stausee Wasser am Wehr Heimingshof in die Zwischenstever gepumpt. Das Wasser hierfür kommt in Teilen aus dem Dortmund-Ems-Kanal, rund 50.000 m³ täglich. Dieses Wasser fließt mit der Stever der Talsperre Hullern zu und wird von dort am Wehr Heimingshof in die Zwischenstever gepumpt. Würde das nicht passieren, würde nur halb so viel Wasser durch die Stever fließen.
? Was bewirkt der Dammbalken, der im Frühsommer installiert wurde?
Für die Hullerner Talsperre gilt, was für jedes Gewässer gilt. Das Wasser an der Oberfläche hat mehr Sauerstoff. Hier sitzen schließlich die Algen und Pflanzen, die durch Fotosynthese Sauerstoff ins Wasser abgeben. Die Pumpen, die das Wasser vom Hullerner Stausee in die Stever schicken, ziehen sich das Wasser aber vom Boden des Sees.

Der neue Dammbalken soll bewirken, dass nur sauerstoffreiches Oberflächenwasser aus der Talsperre Hullern in die Zwischenstever hinüber gepumpt wird. Für diese Maßnahme hat Gelsenwasser mehr als 100.000 € investiert. © Nora Varga
Das hat einen guten Grund wie der Leiter des Halterner Wasserwerks Magnus Meckelburg erklärt: „Wir wollen den See ja möglichst weit leerpumpen können, sonst funktioniert das schlicht nicht.“ Der neue Dammbalken ist erstmal nichts anderes als eine Wand im Wasser. Sie sorgt dafür, dass in den Bereich der Pumpen nur das sauerstoffreiche Wasser kommt und das sauerstoffarme Wasser hinter der Absperrung bleibt.
? Warum gibt es überhaupt zu wenig Sauerstoff?
Um verstehen zu können, wieso es überhaupt zum Fischsterben kommen konnte, ist es wichtig, sich ein bisschen mit der Chemie und Biologie in der Stever zu befassen. Wasser kann nicht unendlich viel Sauerstoff aufnehmen. Es kann immer nur eine bestimmte Menge im Wasser gebunden werden. Wie viel das ist, hängt sehr stark von den Temperaturen des Wassers ab.
Hat das Wasser eine Temperatur von 1 Grad kann es 14,2 mg Sauerstoff lösen. Bei 25 Grad sind es nur noch 8,2 mg. Durch die Hitze der vergangenen Wochen hat sich auch die Stever ziemlich erwärmt. So konnte ganz grundsätzlich schon weniger Sauerstoff aufgenommen werden.
Womit wir beim zweiten Sauerstoffproblem sind: den Algen. Erstmal sind Algen wie alle anderen Pflanzen auch Sauerstoffproduzenten. Je mehr Sonne auf die Stever scheint, desto fröhlicher produzieren sie und vermehren sich auch. Problematisch wird es dann, wenn das Licht wegfällt. Das kann an bewölkten Tagen passieren oder schlicht dann, wenn die Stever durch einen schattigen Wald fließt. Die Algen werden genau dann zum Problem, denn ohne Licht produzieren sie keinen Sauerstoff, sondern ziehen ihn aus dem Wasser.
In der Zwischenstever kann also aufgrund der Hitze weniger Sauerstoff gelöst werden. Fällt dann das Licht weg, machen sich die Algen, die sich vorher munter vermehren konnten, über den Sauerstoff her: Für die Fische ist dann nicht mehr genug da. So passiert beim Fischsterben am 21. August.
? Warum passiert es immer wieder in der Stever und vor allem in den vergangenen Jahren?
Der Einzugsbereich der Stever ist sehr geprägt von Landwirtschaft und weniger von Industrie. Das hat zwar den Vorteil, dass kaum Industriewässer in den Fluss kommen, aber dafür Nährstoffe, also Gülle und Dünger aus der Landwirtschaft. Durch die Stoffe wachsen nicht nur die Pflanzen auf den Feldern gut, sondern auch die Algen in der Stever. In den vergangenen Jahren war es dann die Kombination aus viel Sonne, vielen Algen und weniger Wasser, die zum Fischsterben geführt hat.
? Kann es in diesem Jahr nochmal ein Fischsterben geben?
Ja, kann es. Besonders kritisch wird es dann, wenn die Algen verblühen und abgebaut werden. Dabei wird Sauerstoff verbraucht, aber dadurch, dass die Fotosynthese der Algen wegfällt, wird zeitgleich weniger Sauerstoff produziert. Magnus Meckelburg von Gelsenwasser: „Das wird nochmal eine sehr kritische Angelegenheit.“
? Was könnte ein Fischsterben in Zukunft wirksam verhindern?Ein Allheilmittel für das Fischsterben gibt es nicht, gibt auch Magnus Meckelburg zu: „Wir sind nicht allmächtig.“ Mit den Belüftungsgeräten bekämpft Gelsenwasser nur die Symptome, aber die Ursachen für das Fischsterben lassen sich nicht beheben. Magnus Meckelburg: „Den Landwirten das Düngen zu verbieten, ist natürlich auch keine Lösung.“ Mittelfristig würde so ein Verbot auch nichts bringen, denn „bis das alles von den Feldern und aus den Böden ist, würde es mehr als 10 Jahre dauern“.

Die vier Oberflächenbelüfter sollen das Wasser in den obersten Schichten weiter mit Sauerstoff anreichern. © Andre Ziegert
? Warum werden nicht mehr Lüfter installiert?
Dafür gibt es im Kern zwei Gründe. Der erste ist simpel: Es gibt keinen Strom. Nur an den beiden Wehren dank der Stadtwerke in der Mitte der Stever gibt es überhaupt Strom, um solche Lüfter anzutreiben. Jetzt wie wild Stromleitungen an der Stever zu verlegen, würde aber auch nicht wirklich helfen. Magnus Meckelburg: „Die Lüfter wirken nur in einem sehr kleinen Radius, ein paar Meter weiter ist der Effekt schon wieder weg.“ Außerdem zieht es die Fische nicht aktiv zu den belüfteten Bereichen. Eher durch Glück als durch Verstand können sich die Tiere so also retten.
? Warum ergreift Gelsenwasser nicht andere Maßnahmen?
Jetzt könnte man natürlich fragen: Könnte Gelsenwasser noch mehr tun? Die Antwort ist: Jein. Werden mehr Lüfter installiert, könnte man sicherlich noch den einen oder anderen Fisch mehr retten, aber an den Ursachen für das Fischsterben kann Gelsenwasser kaum etwas ändern. Den Fischen mit einer Fischtreppe den Weg in die Stauseen zu erleichtern, scheitert am Instinkt der Tiere. Die benutzen solche Treppen nämlich nur aufwärts und nicht abwärts. Aber genau den Weg müssten sie in die Stauseen nehmen.
Zwar wäre es rein theoretisch möglich, alle Algen und Nährstoffe aus dem Wasser zu filtern, aber auch das wäre der falsche Weg, wie Anne Soltwisch, Geschäftsführerin der westfälischen Wasser und Umweltanalytik GmbH, erklärt: „Das geht zwar im Labor, aber eigentlich möchten wir die Nährstoffe und Algen ja im Ökosystem haben.“ Es sei eben die Menge, die Probleme macht.
? Könnten die Stauseen irgendwann auch mal kippen?
Grundsätzlich ist das sehr unwahrscheinlich. Weil der Hullerner Stausee im Sommer zuerst abgelassen wird und allgemein flacher und kleiner ist, gibt es ein höheres Risiko als im Halterner Stausee. Aber da die beiden Stauseen deutlich mehr Volumen und ein ganz anderes Ökosystem als die Zwischenstever haben, ist mit einem Kippen der Seen nicht zu rechnen.
? Landen die Algen und toten Fische am Ende im Trinkwasser?
Darauf hat Magnus Meckelburg eine eindeutige Antwort: „Die eigentliche Trinkwassererzeugung und -gewinnung ist von den ökologischen Problemen überhaupt nicht betroffen.“ Das Wasser aus dem Hahn kann also bedenkenlos getrunken werden, nach der Aufbereitung sind die Werte völlig in Ordnung.
? Was hat das alles mit den Bauarbeiten am Hullerner Stausee zu tun?
Aktuell wird das Schlauchwehr an der Hullerner Talsperre bei der B58 repariert. Um an dem Wehr zu arbeiten, muss der Hullerner Stausee möglichst weit abgelassen werden, auf 25 Prozent seiner Wassermenge. Nur dann können die Bauarbeiten durchgeführt werden. Dafür braucht es einen heißen Sommer. Eigentlich sollten die Reparaturen an dem Wehr schon im vergangenen Jahr durchgeführt werden, aber dann gab es zu viel Regen. Die Bauarbeiten haben also nichts mit dem Fischsterben zu tun.

Am Schlauchwehr in Hullern finden aktuell Bauarbeiten statt. Über die Jahre wurde das Wehr von Wasser und Treibgut nach und nach beschädigt. © Nora Varga
? Leben da eigentlich noch Fische?
Ob gerade noch Fische in der Stever leben, ist schwer zu sagen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Fische in bestimmten Bereichen mit mehr Sauerstoff überlebt haben.
? Kommen die Fische wieder?
Durch ihre geschützte und flache Lage ist die Zwischenstever bei Fischen eine sehr beliebte Kinderstube. Gelsenwasser geht davon aus, dass sich in den nächsten Jahren wieder Fische in der Zwischenstever ansiedeln.
? Was wird in den nächsten Jahren anders gemacht?
Wie ausgeführt hat Gelsenwasser nicht viel mehr Möglichkeiten, um Fischsterben in den kommenden Jahren zu verhindern. Magnus Meckelburg geht davon aus, dass es „leider nicht das letzte gewesen sein wird“. Trotzdem will man durch neue Online-Messanlagen erstmal die Datenlage verbessern, um so einen genaueren Eindruck davon zu bekommen, was überhaupt in der Zwischenstever passiert.
Die Zwischenstever „leidet“ gerade vor allem unter den Auswirkungen der Landwirtschaft und des Klimawandels. Magnus Meckelburg: „Das sind Dinge, die müssen von allen angegangen werden.“
Jahrgang 2000. Ist freiwillig nach Castrop-Rauxel gezogen und verteidigt ihre Wahlheimat gegen jeden, der Witze über den Stadtnamen macht. Überzeugte Europäerin mit einem Faible für Barockmusik, Politik und spannende Geschichten.
