Es war eine lange, weite Flucht von Mykolajiw im Süden der Ukraine nach Haltern am See. Die Kardiologin Kataryna Korinna wollte ihre Töchter Angelina (7) und Anastasiia (23) vor dem Krieg in Sicherheit bringen. Ihr Haus war in die Luft gesprengt, die Schule und auch das Krankenhaus in ihrem Heimatort waren durch die russischen Angreifer zerstört worden.
In Haltern fanden die drei Ukrainerinnen Schutz. Und doch wurden sie ausgerechnet hier zurück katapultiert in brutale Erinnerungen, die sie noch gar nicht verarbeitet haben. Am 8. Juni sprengten Unbekannte den Geldautomaten der Deutschen Bank-Filiale, in einer der beiden Wohnungen darüber lebt Kataryna mit ihren Töchtern. „Mir kam sofort wieder die Tragik in der Heimat in den Sinn. Das Ereignis hat viel Stress in mir ausgelöst. Ich habe immer noch Angst vor lauten Geräuschen“, erzählt die 51-Jährige.
„Zuerst hörte ich den Knall, dann stieg der Geruch von Rauch auf“, schildert sie die ersten Minuten nach der Explosion in der Lippstraße. „Ich habe versucht, meine Töchter und meine Nachbarin so schnell wie möglich nach draußen zu bringen.“ Es fühlte sich für sie wie Krieg an. „Leider wissen wir, was der bedeutet. Es ist sehr beängstigend, wenn man denkt, man hat keine Zeit mehr oder ist nicht in der Lage, seine Liebsten zu retten.“
In der Ukraine wachen täglich hunderte Menschen durch Explosionen auf und verstecken sich vor den russischen Soldaten, sagt Anastasiia. Dass sie in Haltern so aufgeschreckt würden, war für die kleine Familie unvorstellbar. „Die demolierte Fassade, die jetzt mit Spanplatten zugesperrt ist, sieht wie eine vertraute Kulisse in der Ukraine aus.“ Die junge Studentin (Kommunikation und Internationale Beziehungen) dankt allen Rettern, Polizeibeamten, Ärzten, der Stadt und dem Vermieter für die schnelle Hilfe. „Sie alle haben sich sehr um uns gekümmert.“
Aufnahme im Seehof
Die beiden Wohnungen waren zunächst unbewohnbar, die Mieterinnen mussten evakuiert werden. Die ukrainische Mieterin in der Wohnung direkt über der Bankfiliale ist nach dem Banküberfall zunächst zurück in ihr Heimatland gefahren. Die 40-Jährige will aber wiederkommen.
Kataryna sollte mit ihren Töchtern vorübergehend in die Erich-Kästner-Schule ziehen. Die Zustände dort sind grenzwertig, Rettung kam vom Hotel Seehof. Elke Kandaouroff bot der Familie ein Hotelzimmer an. „Elke hat uns Ruhe und Trost geschenkt. Wir sind ihr außerordentlich dankbar“, sagt Kataryna.

Inzwischen durfte die Ärztin mit ihren Töchtern in die Wohnung zurückkehren. Es gibt viel zu putzen, alles in der gut 60 Quadratmeter großen Wohnung ist verstaubt, Wände haben Risse. Ein Gutachter hat aber festgestellt, dass das Haus nicht einsturzgefährdet ist, obwohl die Schäden immens sind. Strom und Wasser sind inzwischen wieder angestellt, die kleine Familie versucht, wieder Alltag zu leben. „Allmählich klingt die Aufregung ab“, hat Kataryna ein besseres Gefühl.
Der Vermieter, ein Geschäftsmann aus Dorsten, habe schnell geholfen. Schon am Montag nach der Explosion (am Fronleichnams-Feiertag) kam der Installateur, am Mittwoch der Elektriker, am Donnerstag der Versicherungsagent.
Anja Wideburg betreut die Korinnas. Sie hatte die Mutter mit ihren Töchtern zunächst Anfang 2022 bei sich aufgenommen, bevor ihr die Wohnung an der Lippstraße angeboten wurde. Tochter Angelina besucht die Marienschule und nimmt zusätzlich online am Unterricht in der Ukraine teil. Sie spricht bereits perfektes Deutsch.
Sehnsucht nach der Heimat
Anastasiia bekennt, dass sie, ihre Mutter und Schwester die Heimat und die Freunde dort vermissen. „Wir möchten in Ruhe und Frieden leben und haben die Hoffnung, dass am Ende doch alles gut wird“, sagt Mutter Kataryna. „Der Glaube an das Beste gibt uns den Sinn des Lebens und die Gesundheit, um trotz allem weiterzumachen.“ Aktuell ein gutes Zuhause in Haltern zu haben, ist für die kleine Familie ein großer Luxus.
Eine Bitte haben Kataryna, Anastasiia und Angelina: Dass Europa nicht müde wird, ihrem Heimatland, der Ukraine, in der jetzigen Not zu helfen.
Ein Dankeschön aus der Ukraine: Gespendete Betten und Matratzen helfen in der Not
Sprengung des Geldautomaten: Täter flüchteten nicht mit leeren Händen aus Haltern
Geldautomaten-Sprengung in Haltern: Anwohner filmt Bankräuber kurz nach der Tat