Das „Prösterken“ von Bahnhofs Willi ist unvergessen Erinnerungen an ein Sythener Original

Das „Prösterken“ von Bahnhofs Willi bleibt unvergessen
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Bis heute ist sein „Prösterken“, mit dem er jedes Bier vor einem Gast absetzte, unvergessen. Vor 25 Jahren, genauer im Juni 1998, ist Willi Middendorf gestorben. Im Dorfgedächtnis von Sythen aber ist er weiter als „Bahnhofs Willi“ präsent. Mit ihm wurde nicht nur ein beliebter Kneipenwirt begraben, sondern es ging auch eine Ära in der Sythener Gastronomiegeschichte zu Ende.

Nach seinem Tod sei der Schützenverein Sythen schweigend und salutierend an der Gaststätte und dem daneben liegenden Wohnhaus an der Thiestraße vorbei marschiert, blickt Willis Enkelin Diana Middendorf zurück. Es war ein Ausdruck der Trauer und Verbundenheit, der bei ihr die Tränen fließen ließ.

Willis Bahnhof war Kompanielokal und Treffpunkt für Jung und Alt in Sythen. Die Sythener verabschiedeten sich von einem Original und einem lieben Menschen. „Es war eine riesige Beerdigung“, erinnert sich Diana Middendorf.

Wie Paul Schrör haben viele Gäste noch heute ein Bild vor Augen, wenn sie an die Zeit in der Sythener Bahnhofsgaststätte zurückdenken: „Willi thronte auf einem Barhocker hinter dem Tresen und strahlte eine absolute Ruhe und Herzenswärme aus.“ Jeder Gast habe sich hier zu Hause und willkommen gefühlt. „Die Kneipe war sein Leben“, weiß Diana Middendorf (53), die heute in Gütersloh lebt. Ob er als junger Mensch tatsächlich davon geträumt hat, als Gastwirt hinter der Theke zu wirken, bleibt offen.

Willi Middendorf und zwei weitere Personen hinter der Theke in der Bahnhofsgaststätte
Das Bild zeigt den jungen Willi Middendorf (links) sowie seine damalige Frau Irmgard und deren Vater Engelbert Lehmacher in der Sythener Bahnhofskneipe. Lehmacher war bei der Bahn beschäftigt und gab den Tipp für die Sythener Bahnhofskneipe. © privat

Das Metier war ihm aber nicht unbekannt, als er der Liebe wegen aus seinem Heimatort Nortrup im Osnabrücker Land nach Haltern kam. Schon Willis Eltern hatten eine Kneipe in Verbindung mit einem Lebensmittelladen und Landwirtschaft betrieben. Hier hatte er oft aushelfen müssen.

Um die Bahnhofsgaststätte in Sythen zu übernehmen, absolvierte Willi ein Praktikum im Bahnhofsschalter in Haltern. Der Fahrkartenverkauf gehörte nämlich in den ersten Jahren mit zu den Aufgaben der neuen Pächter in Sythen.

Willi Middendorf mit einem Tablett voller Biergläser
Immer ausgeglichen, freundlich und ruhig, so ist Willi Middendorf (1921-1998) - Bahnhofs Willi - in Erinnerung geblieben. © privat

44 Jahre lang, bis kurz vor seinem Tod schenkte Willi Middendorf am Bahnhof in Sythen Kaltgetränke aus und lebte die Tugenden eines guten Gastwirts. Enkelin Diana, aber auch die Sythener Gäste Beate Mertmann und Paul Schrör benennen diese wie mit einer Stimme: „Willi war absolut verschwiegen. Auch die privatesten Dinge, die ihm am Tresen erzählt wurden, behielt er für sich.“ Er sei fast ein Beichtvater gewesen. Seine Gelassenheit bewahrte er sich auch beim größten Trubel in der Kneipe, denn „ein gepflegtes Bier braucht Zeit“.

„Voluminöser Vorbau“

Allerdings habe er sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen, berichtet Beate Mertmann. Wenn jemand über die Stränge schlug, habe sich Willi vor ihm aufgebaut und den Gast mithilfe seines „voluminösen Vorbaus“ aus dem Lokal gedrängt, beschreibt Paul Schrör die Durchsetzungsfähigkeit des Wirtes. Prinzipien hatte er auch, zeigt eine Anekdote aus dem Kneipenalltag.

Wenn der Frühschoppen etwas länger gedauert hatte, brachte der junge Paul Schrör seiner Frau Gertrud gerne eine Familienpackung Eis aus der Bahnhofsgaststätte mit. Die kleine Wiedergutmachung wurde von Willi in der „Bild am Sonntag“ kühl gehalten. Vorher wurden allerdings die Seiten von ihm geprüft. Die mit den barbusigen Damen kamen nicht infrage. Noch heute schmunzelt das Ehepaar Schrör darüber. „Hat Willi wieder die richtigen Seiten mitgegeben?“, hat Gertrud oft beim Auspacken zu Hause ihren Paul gefragt.

Porträt von Diana Middendorf
Diana Middendorf erinnert sich gern an ihren Opa Willi. "Ich habe ihn sehr lieb gehabt", sagt sie. © privat

So lange es ging, bis etwa ein halbes Jahr vor seinem Tod, schenkte er in seiner Kneipe den Gästen Kaltgetränke aus. Oft standen diese in Willis Bahnhof dicht gedrängt vor der Theke. Diese Zeiten sind nun schon lange und für immer vorbei. Es gab noch eine Nachfolge, die Gaststätte wurde in „Gleis III“ umbenannt. Heute wird das Gebäude als städtische Asylbewerberunterkunft genutzt.

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