Großer Streit über Denkmalschutz So verschwand das Elternhaus von Alexander Lebenstein

Heftiger Streit: So verschwand das Elternhaus von Alexander Lebenstein
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Alexander Lebenstein wurde 1927 in Haltern als viertes Kind und einziger Sohn des Metzgers Nathan Lebenstein und seiner Frau Lotte geboren. Bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahre 1933 lebte die Familie unbehelligt in ihrem Haus Disselhof 36.

Alexander Lebenstein war der einzige Überlebende der Shoa aus Haltern. Nach der Befreiung aus dem Konzentrationslager Stutthof folgte er - weil er in Haltern nicht willkommen war - seinen Schwestern, die unter dem Druck des Antisemitismus rechtzeitig nach Amerika ausgewandert waren. Seine Eltern waren in Riga erschossen und verscharrt worden.

1995 konnten Schüler ihn dazu bewegen, die alte Heimat wieder zu besuchen. Sein Elternhaus stand zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Es war nach heftigem öffentlichen Streit abgerissen worden.

Das Haus am Disselhof gehörte seit 1951 einer Halterner Familie, sie hatte die Immobilie von der Stadtsparkasse erworben. Die Eigentümer beantragten im Dezember 1985 bei der Stadt eine Abriss-Genehmigung, um auf dem Grundstück ein Mehrfamilienhaus mit Gewerbeeinheit zu bauen. Auch das Haus auf der Rückseite an der Wehrstraße 29 sollte dafür weichen.

Widerstand gab es zunächst nicht: Die Parteien und auch das Bauordnungsamt betrachteten beide Häuser als baufällig und erhoben keine Einwände. Nach einer mündlichen Zusage begann ein Architekt mit den Planungen für Abriss und Neubau. Doch Georg Nockemann, damals zuständig für Denkmalfragen bei der Stadt, grätschte dazwischen. Er wollte ein Stück Zeitgeschichte retten.

Der Streit zog sich über Jahre hin und füllte viele Aktenordner. Das Amt für Denkmalpflege Münster erkannte in dem Ackerbürgerhaus von Familie Lebenstein einen „erheblichen Denkmalwert“, das NRW-Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr sah das genauso. Minister Christoph Zöpel ordnete die Eintragung in die Denkmalliste an. Das war im Juni 1986.

Das Haus Lebenstein rottet vor sich hin.
Das Elternhaus von Alexander Lebenstein am Disselhof wurde dem Verfall preisgegeben. Heute wäre es angesichts der Erinnerungskultur undenkbar, einen solchen Geschichtsort zu zerstören. Aus diesem Haus wurde Familie Lebenstein in der Pogromnacht vertrieben. © Bruno Lücke

Georg Nockemann musste erkennen, dass die Bausubstanz des Lebenstein-Hauses im Laufe der Zeit immer schlechter wurde, auch Müll, Gerümpel und Schutt verstellten den Blick auf wertvolle Geschichte. „Es darf aber nicht einreißen, dass man alte Häuser herunterkommen lässt. Es ist schlimm für Haltern, wenn das Schule macht“, empörte sich Anette Fleuster (Die Grünen) im Rathaus. So wurde das Haus schließlich doch in das Schnellinventar des Denkmalamtes aufgenommen. „Die gesamte Anlage ist erhaltenswürdig“, stellte auch Architekt Bernd Kruth (für die CDU im Kulturausschuss) fest.

Stadt plante Moog-Museum

Wenn man das Lebenstein-Haus allerdings sanieren wolle, dann müsste es als museales Stück der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. „Eine Nutzung als Wohnhaus können wir dem Eigentümer niemals zumuten“, betonte er. So entstand auch die Idee, mit dem Haus als Museum und einem Neubau an den Heimatmaler Hermann Moog zu erinnern und darin ebenfalls eine Kindermalschule einzurichten. Errechnet wurden Kosten von gut 1,4 Millionen DM.

Haus aus dem 16. Jahrhundert

Bei einer Ortsbesichtigung stellten Fachleute des Denkmalamtes Münster fest, dass das Fachwerkgiebelhaus am Disselhof auf das 16. Jahrhundert zurückging. Es gehörte, so die Experten, zu der ältesten Bauschicht der Profanbauten in Haltern. Im frühen 19. Jahrhundert war es völlig umgebaut worden: Anstatt der hohen Diele entstand im vorderen Bereich ein zweigeschossiges Flurhaus. „Es handelt sich um ein ackerbürgerliches Gebäude, dem man versuchte, einen städtischen Eindruck zu verleihen und das die Landwirtschaft aus dem Blickfeld verdrängen sollte“, hieß es in dem Gutachten.

Alexander Lebenstein am Stolperstein.
Stolpersteine vor dem neuen Haus am Disselhof 36 erinnern an Familie Lebenstein. Alexander Lebenstein (1927-2010) besuchte 2006 den Ort seiner Kindheit. © Elisabeth Schrief

Das Haus am Disselhof verdeutliche als einziges mit seiner Front noch im Detail die alte Bauweise dieser Straße, schrieben die Denkmalpfleger aus Münster. Gleichwohl sei es in hohem Maße instandsetzungsbedürftig.

Das Haus an der Wehrstraße wiederum sei ein einprägsames Dokument der Sozialgeschichte Halterns. Einzig dieser Bau verkörpere in Haltern noch die Lebensweise nicht unerheblicher Bevölkerungskreise: „Jene kleinen Buden brachten Mieteinnahmen oder dienten Altenteilern und Haushaltsvorstand dazu, Zwistigkeiten aus dem Weg zu gehen.“

Abriss an der Wehrstraße

Noch bevor eine Entscheidung über den Denkmalschutz des Hauses an der Wehrstraße getroffen wurde, schuf der Eigentümer Ende Januar 1986 vollendete Tatsachen. Verordnungsrechtlich war gegen diesen Abriss nichts einzuwenden. Das Häuschen hatte weniger als 300 Kubikmeter umbauten Raum. Aus diesem Grund benötigte der Eigentümer für den Abriss keine Genehmigung.

Der Streit um das Ackerbürgerhaus Disselhof 36 aber ging weiter. Der Eigentümer schlug der Stadt 1988 die Übernahme des Grundstücks vor und verlangte im Gegenzug eine ebenbürtige Fläche. Alternativ sollte die Stadt das Haus renovieren und anmieten. Darauf ließ sich die Stadt nicht ein.

Stadtgeschichte ignoriert

Stadt und Politik hätten viel früher hellhörig werden können. Zumal in der Verwaltung zu jener Zeit eine Liste mit denkmal-verdächtigen Häusern kreiste, darauf stand auch das Ensemble Disselhof/Wehrstraße.

Am Ende bestand auch für das Lebenstein-Haus keine Überlebenschance, die politischen Verhältnisse hatten sich geändert, die Pläne eines Moog-Projektes verflüchtigten sich. Die Immobilie war ungeschützt Wind und Wetter ausgesetzt und verrottete, die Obere Denkmalbehörde sprach ihr den Denkmalschutz ab. 1993 wurde sie abgerissen. Bewilligte Fördermittel von 800.000 DM flossen in den Neubau des Jugend- und Kulturzentrums Trigon. Ein neuer Grundstückseigentümer baute schließlich am Disselhof Geschäfts- und Wohnhaus.

Dass an dieser Stelle jüdischer Geschichte in Haltern ein Denkmal hätte gesetzt werden können, davon sprach damals niemand.

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Hinweis der Redaktion: Dieser Beitrag ist ursprünglich am 10. Feburar 2024 erschienen.