Zu Hause bei Tobias Heitmann „Hinten im Garten stand früher eine Kuh“

Zu Hause bei Tobias Heitmann: „Hinten im Garten stand früher eine Kuh“
Lesezeit

Es gibt kein Klingelschild. Nur der Sticker auf dem Briefkasten rechts neben der Haustür gibt einen Hinweis darauf, wer hier lebt. „Nicht mehr Marlene Bar“ steht darauf. Und tatsächlich: Wenn man die Klappe der graphitgrauen Box öffnet, heißt es dort „Heitmann“.

Bis Tobias Heitmann, der die Marlene Bar im Unionviertel einst betrieb, die Tür öffnet, bleiben die Menschen vor der Schwelle also im Ungewissen über die Bewohner des Hauses, mit Ausnahme vielleicht des Postboten und eingeweihter Besucher. Anders der Hausbesitzer: Über der Eingangstür ist eine Überwachungskamera angebracht, verbunden mit einem Tablet in der Garderobe. Jedes Mal, wenn es klingelt, erscheint auf dem Display eine Aufnahme, die zeigt, wer vor dem Haus steht.

Er habe kein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis, erklärt der Dortmunder. Allerdings sei in der Nachbarschaft bereits des Öfteren eingebrochen worden. Wir befinden uns in einer Seitenstraße im Dortmunder Süden. Einfamilienhäuser auf großen Grundstücken reihen sich aneinander, die meisten entstanden in den 1930er Jahren. Helle Fassaden, spitze Giebeldächer. Im Frühling zwitschern Vögel in Kirschbäumen und Rhododendren, die vor Jahrzehnten in den Vorgärten gepflanzt wurden. Jetzt im Winter ist es still. Das Rauschen von der entfernten Hauptstraße ist kaum zu hören. Es ist ein Idyll, der Traum der deutschen Mittelschicht.

Hier lebt Tobias Heitmann mit Ehefrau Miriam, seiner Tochter, deren Namen wir nicht nennen, und Labradoodle Oskar. Der Öffentlichkeit in Dortmund ist Heitmann bekannt als Vorsitzender des Cityrings, der Interessenvertretung der Dortmunder Kaufleute. Seit fünf Jahren hat er das Amt inne. Außerdem ist er Geschäftsführer der Galerie Zimmermann und Heitmann in der Wißstraße. Wie tickt er privat? Um das herauszufinden, besuchen wir ihn zu Hause.

Tobias Heitmann bei sich zu Hause
Tobias Heitmann handelt mit zeitgenössischer Kunst. Die findet man auch bei ihm zu Hause: Zwischen Sofa und Esstisch steht ein Kaktus, 1,70 Meter hoch, eine Garderobe des italienischen Möbeldesigners Gufram. Gleich daneben: eine Kuckucksuhr von Stefan Strumbel. © Schütze

Dass Heitmann mit zeitgenössischer Kunst handelt, erkennt man sofort, denn im Erdgeschoss, wo wir das Interview führen, hängt sie überall. Drucke in Farbe, Fotografien in Schwarzweiß, kleine quadratische Leinwände, mannshohe Plastiken. Aus der Wand über der Garderobe lugt Bambis Kopf hervor, mit Fangzähnen und Schwesternhäubchen. Zwischen Sofa und Esstisch steht ein Kaktus, 1,70 Meter hoch, eine Garderobe des italienischen Möbeldesigners Gufram aus den 70er Jahren. Gerade hängt sie leer. Genauso knallig wie der Kaktus ist die Kuckucksuhr gleich daneben – eine Arbeit von Stefan Strumbel. Zwei davon gibt es auf der Welt, die andere hing seinerzeit bei Karl Lagerfeld zu Hause an der Wand.

Die Uhr funktioniert, aber die Heitmanns haben sie abgestellt. „Irgendwann zerrt der Kuckuck dann doch an den Nerven.“ Trotzdem sei die Uhr eines seiner Lieblingsstücke. „Das ist ein echter Hingucker.“ Er sei kein Sammler, denn in der Galerie sei er immerzu von Bildern und Plastiken umgeben. „Zu Hause hängen deshalb nur vereinzelt Stücke und andere als in der Firma.“

Wir führen das Interview im Essbereich der offenen Küche. Bis zu zwölf Personen finden an der langen Tafel aus schwarz gestrichenem Holz Platz. Wer will, kann sich auch an den Tresen setzen. Weinflaschen, Serviettenhalter, Vasen mit Schnittblumen stehen darauf in wohnlichem Chaos beisammen. Hier wird gelebt.

Tobias Heitmann bei sich zu Hause
Tobias Heitmann kocht nicht gerne. „Ich mache nur den Espresso. Der Rest gehört meiner Frau", erzählt er im Gespräch mit unserer Reporterin. © Schütze

Zuhause trägt Heitmann Jeans, Pullover, Socken und seine große Brille mit dunklem Rahmen, die immer ein bisschen schief sitzt. Es gibt Mineralwasser und Espresso, zubereitet in der Siebträger-Maschine. Ob er in der Küche auch koche. „Ich mache nur den Espresso. Der Rest gehört meiner Frau“, antwortet der 50-Jährige, grinst und rückt die Brille zurecht. „Eigentlich bräuchten wir zwei Spülmaschinen. Dann könnte ich das saubere Geschirr aus der einen herausnehmen und das dreckige direkt in die andere räumen. Dazu konnte ich meine Frau aber bisher nicht überreden.“

Miriam Heitmann trifft in diesen Fragen die Entscheidungen. Sie war es auch, die das Haus mit den drei Etagen eingerichtet hat. Die Wände im Erdgeschoss sind hell gestrichen, die Möbel in gedeckten Farben gehalten. Grau, Schwarz, Weiß und Creme. Nichts soll die Kunst überlagern, auch nicht das graphitfarbene Bettchen von Hund Oskar.

Ferien auf Langeoog

Vor fünf Jahren sind die Heitmanns hier eingezogen, nachdem das Haus – gebaut 1933 – kernsaniert wurde. Die Zeit während des ersten Lockdowns nutzte die Familie, um zu renovieren. Den Garten sparten sie zunächst aus. „So ist das bei Häuslebauern: Für den Garten ist am Ende kaum noch etwas übrig.“ Gärten auf Grundstücken wie diesem sind manchmal größer als das Haus selbst, weil sie vor und nach dem Krieg der Selbstversorgung ihrer Bewohner dienten. „Hinten in der Ecke stand hier früher eine Kuh“, erzählt Heitmann.

Gemüse anbauen oder gar Vieh halten wollte die Familie aber nicht. Im Gegenteil: Die Tochter wollte gerne ein kleines Schwimmbad haben. „Ich habe mich breitschlagen lassen, aber im Nachhinein war das die beste Entscheidung. Es ist super, im Sommer dort zu liegen.“

Tobias Heitmann und Labradoodle Oskar bei sich zu Hause
Labradoodle Oskar gehört seit 14 Jahren zur Familie Heitmann. © Schütze

Im Garten sind die Heitmanns für sich. Auch um den Rasen, die Büsche und die Blumen kümmern sie sich selbst. „Das meiste, das hier wächst, ist ohnehin pflegeleicht.“ Dass Heitmann die Ruhe seines Gartens sucht, scheint die logische Konsequenz seines Lebensstils. Der Dortmunder ist ständig auf Reisen. Am Kühlschrank hängen Erinnerungen daran, kitschige Magnete aus Touri-Shops. Hongkong, Marokko, Kopenhagen, Singapur, Peru.

Woher diese Umtriebigkeit? „Vermutlich, weil ich die Ferien früher immer auf Langeoog verbracht habe“, sagt der Dortmunder. Er lacht dabei, loslassen von der Insel kann er aber noch immer nicht. Ein bis zwei Mal im Jahr fährt er mit der Familie dorthin. „Dann, wenn es leer ist.“ Auch von der Nordsee hängt ein Magnet am Kühlschrank: „Sommer, Sonne, Meer“, steht darauf.

Tobias Heitmann vor dem Machu Picchu
Tobias Heitmann ist viel auf Reisen: Auf diesem Bild sitzt er in den peruanischen Anden, hinter sich den Machu Picchu. © privat

Heitmann reist jedoch nicht nur privat, auch sein Beruf verlangt es. Er sei unter anderem für „Start-up Teens“ so viel unterwegs. Die Organisation vermittelt jungen Menschen und Unternehmen Fähigkeiten, die ihnen helfen, in der freien Wirtschaft zu bestehen, Coding beispielsweise oder die Entwicklung eines Prototyps.

Sein Handwerk lernte Heitmann in Hamburg und an der University of California in LA. Nach dem Abitur am Goethe-Gymnasium und dem Wehrdienst in Unna studierte er dort Volks- und Betriebswirtschaftslehre. Sein erster Job führte ihn dann nach Stuttgart zu Daimler. Dort arbeitete er in der Sportkommunikation für die Fußball-Nationalmannschaft. „Ich habe schon nach ein paar Monaten gemerkt, dass das nichts für mich ist. Ich würde mich nicht als Freigeist bezeichnen, aber ich war für die Mentalität im Konzern zu anders drauf.“

Anders sein konnte Heitmann in Dortmund: Acht Jahre betrieb er die Marlene Bar im Unionviertel, stieg ins elterliche Geschäft ein. Bei Zimmermann und Heitmann kauft man zeitgenössische Kunst – Baumgärtel, Lindenberg und Rizzi, um nur drei der vielen Namen zu nennen. Eine zweite Filiale der Galerie eröffnete die Familie 2009 in Düsseldorf. „Es ist eine andere Welt. In Düsseldorf ist alles noch heiler, selbst als hier im Süden“, sagt Heitmann. „Viele unserer Kunden dort kommen sogar aus Dortmund. Die fahren zum Shopping nach Düsseldorf. Aber das war schon immer so.“

Wer mit Heitmann spricht, erkennt, dass er falsch liegt mit seiner Selbsteinschätzung: Er ist ein Freigeist. Jemand, der Ideen fördern will, der raus muss und sein Zuhause braucht. Im Flur vor der Gästetoilette hängt ein Gemälde. „What the fuck is heimat?“ (auf Deutsch: „Was zur Hölle ist Heimat?“), steht darauf in fetten Lettern geschrieben. Für Heitmann ist die Antwort eindeutig: „Dortmund. Ich bin hier aufgewachsen, habe meine prägendsten Jahre hier verbracht - und ich bin immer wieder zurückgekommen.“

Dieser Artikel erschien ursprünglich am 27. Januar 2025.