Prof. Dr. Tamara Appel war erst seit wenigen Wochen als Rektorin der Fachhochschule (FH) Dortmund im Amt, als sie einen schweren Rückschlag verkraften musste. Die Pläne für einen zentralen FH-Campus auf dem früheren HSP-Gelände in der westlichen Innenstadt sind geplatzt. Jetzt ist ein neuer Standort im Blick. Wir sprachen mit der neuen FH-Rektorin über die Zukunftspläne für die Hochschule.
Man kann noch gratulieren. Seit Juli sind Sie ganz offiziell im Amt als Rektorin.
Ich bin sehr, sehr stolz, dass man mich gewählt hat. Seit 2019 war ich ja Prorektorin für Lehre und Studium und bin dann voll in die Coronaphase reingerutscht. Da war ich auch mitverantwortlich dafür, dass die Hochschule den Studienbetrieb weiter aufrechterhalten konnte.
Sie sind also krisenerprobt.
Ja. Das war damals nicht einfach, wegen der ständig wechselnden Vorgaben durch Gesetze und Verordnungen in der Corona-Zeit. Wir mussten gucken, dass wir für alle einen passenden Rahmen finden. Ich glaube, das ist ganz gut gelungen.

Damit wären wir bei einem Thema, das uns dann fast schon zum Thema FH-Standort-Planung und Hafen führt. Was hat sich denn durch Corona vor allem für die Lehre – Stichwort hybrides Lernen – dauerhaft verändert?
Man hat ja immer gesagt, die Lehre muss digitaler werden. Aber man wusste nicht so richtig, wie und warum. In der Corona-Zeit waren wir dann voll digital und haben schnell gemerkt, dass das für unsere Studierenden durchaus Schwierigkeiten mitbringt. Netzwerke bilden, Lerngruppen bilden, hier ankommen – das war plötzlich viel aufwändiger.
Digitale Lehre kann kein vollwertiger Ersatz sein. Wir setzen weiter auf Präsenz. Das ist uns sehr wichtig. Wir wissen aber auch, dass viele unserer Studierenden nicht aus einem sehr finanzstarken Haushalt kommen. Viele Studierende sind von Armut bedroht und müssen in Nebentätigkeit arbeiten. Da hilft natürlich digitale Lehre. Aber sie ersetzt nicht den persönlichen Kontakt.
Wenn wir über hybrides Lernen sprechen, über Online-Lehre – wie wirkt sich das auf den künftigen Raumbedarf aus?
Zu denken, wir haben hybrides Lernen in einem virtuellen Raum und können dann einen Seminarraum streichen, ist zu einfach. In Bezug auf den Flächenbedarf sind andere Faktoren viel wichtiger. Zum Beispiel die Synergien: Bei uns ist die Lehre auf drei Standorte verteilt – an der Emil-Figge-Straße, den Max-Ophüls-Platz und die Sonnenstraße. Sie müssen an jedem Standort eine Mensa und einen Hörsaal anbieten und vieles mehr. Wenn Sie das an einem Standort zusammenlegen, reduzieren Sie dadurch den Flächenbedarf deutlich. Wir haben außerdem noch weitere Standorte, etwa für die Verwaltung und die Forschung.
Wir haben deshalb den klaren Willen, die Lehre an einem zentralen Standort zusammenzufassen. Und das nicht nur, um Raumbedarfe zu verringern, sondern auch, um Interdisziplinarität zu ermöglichen. Das Thema Klimawandel etwa lösen Sie nicht mit einer Fachdisziplin. Es geht darum, interdisziplinäre Teams mit verschiedenen Studiengänge zu bilden. Die BWLerin muss mit dem Designer zusammenarbeiten, mit der Informatikerin und so weiter. Die verschiedenen Fachkulturen müssen an einem Standort auch die Möglichkeit dazu haben.

Die Umzugspläne auf das frühere HSP-Gelände unter dem Titel Smart Rhino haben sich ja erledigt. Jetzt ist die Speicherstraße im Gespräch. Die Flächenansprüche an das HSP-Gelände waren ja laut Machbarkeitsstudie relativ hoch. Ist das vom Tisch?
Wir sind dabei, die aktuellen Zahlen zu ermitteln. Die Flächenberechnung, die wir jetzt durchführen, ist ein ergebnisoffenes Verfahren zur Hochschulentwicklungs-Planung. Da geht es gar nicht so sehr um den Standort an sich, sondern generell um die Bedarfserhebung – losgelöst von einem Standort.
Aber Sie haben einen Wunschstandort?
Ja. Wir wollen zum Hafen. Das ist ein ganz, ganz klares Bekenntnis. Ich glaube, das Smart-Rhino-Gelände war gut. Aber ich denke, dass der Hafen ein mindestens genauso guter Standort ist.
Warum? Was reizt Sie denn am Standort Hafen?
Wir haben als Hochschule für angewandte Wissenschaften nicht nur den Zugang für Menschen mit Abitur. Wir haben auch viele, die als erste in ihrer Familie studieren, und viele, die sich nach einer abgeschlossenen Ausbildung noch für ein Studium entscheiden.
Oft entscheidet sich in den ersten paar Semestern Scheitern oder Erfolg ihres Studiums. Uns geht es darum, dass wir auch diese Studierende zum Erfolg führen. Da ist es gut, einen zentralen Ort zu haben, wo sie ihre Bezugspersonen haben. Für mich ist es ein besonderes Anliegen, dass wir das Thema Bildungsgerechtigkeit mit gewährleisten.
Warum geht das am Hafen besser?
An der Emil-Figge-Straße haben wir die Situation, dass wir da nach 16 Uhr meist kein Leben mehr haben. Da ist kein Publikumsverkehr. Man muss gezielt dorthin fahren und ist nicht mittendrin. Das wäre beim HSP-Gelände anders gewesen. Deswegen hat uns das damals auch überzeugt. Da stand aber auch noch keine andere Fläche zur Disposition.
Ich bin überzeugt: Der Hafen kann ein Ort der Begegnung sein, wo nicht nur die Hochschule stattfindet, sondern auch das gesellschaftliche Leben. Der Campus [an der Emil-Figge-Straße, Anmerkung der Redaktion] ist einfach zu isoliert, da funktioniert das nicht.
Uns ist wichtig, dass wir wirklich mittendrin sind. Wir können am Hafen Schaufensterflächen schaffen, wo man in die Hochschule reingucken kann, wo Sie keine Barrieren haben. Da können wir auch Vereinen Möglichkeiten zu Versammlung bieten, Poetry Slams und Ähnlichem Raum geben. Das ist mir ein ganz wichtiges Anliegen.

Die Frage ist ja, ob die Fläche an der Speicherstraße ausreicht und ob es noch Entwicklungsmöglichkeiten gibt?
Wir sind dabei, mit den Partnern den Bedarf zu prüfen. Es geht jetzt erst einmal darum, das formelle Verfahren zur Hochschulentwicklung abzuwickeln. Wenn Sie einen Investitionsbeschluss vom Land bekommen wollen, müssen Sie ausgehend von der Ist-Situation Ihre Bedürfnisse und Ihre Projektionen in die Zukunft darlegen.
Gehen Sie denn von Wachstum aus?
Allein mit Blick auf den demografischen Wandel kann man sicherlich nicht mehr von großem Wachstum ausgehen. Aber wir werden versuchen, internationaler zu werden. Da können wir auch einen Beitrag gegen den Fachkräftemangel leisten. Aber wir werden sicherlich nicht noch größer werden.
Also ein Wachstum der Studierendenzahlen, wie es ja in den Jahren vor Corona war, wird es so dann nicht mehr geben?
Ich gehe davon aus, dass wir stabil bleiben. Das ist mein Ziel.
Wie weit sind Sie denn mit der Bedarfserhebung?
Wir wollen zum Ende des ersten Quartals 2024, also im nächsten Frühjahr, fertig werden. Dann geht das ans Land. Bei der Entscheidung, was danach passiert, wirken letztlich natürlich verschiedene Akteure mit.
- Prof. Dr. Tamara Appel ist seit 1. Juli 2023 offiziell Rektorin der FH Dortmund. Sie war bereits seit 2019 Prorektorin für Lehre und Studium und hat die Fachhochschule seit dem Abschied von Prof. Dr. Wilhelm Schwick in den Ruhestand im Februar als stellvertretende Rektorin geführt.
- Tamara Appel war nach dem Studium der Chemie und anschließender Promotion zunächst bei der Thyssen Krupp Steel AG und der mittelständischen Zapp AG tätig.
- Seit 2012 ist sie als Professorin im Fachbereich Maschinenbau für das Fach Chemie, Oberflächentechnik und Korrosion berufen, ein Grundlagenfach für Maschinenbau und Fahrzeugentwickler.
Können Sie mal aufzählen, was alles dazu gehört?
Das Verfahren ist sicherlich kompliziert. Es geht ja auch darum, eine sehr, sehr große Menge Geld zu investieren. Deswegen muss es gut geprüft sein. Und man müsste es abwägen gegenüber dem, was hier reingesteckt werden müsste. Dazu gehört auch eine Einschätzung der bestehenden Gebäude und Gebäudestrukturen.
Die Gebäude an der Sonnenstraße sind zum Teil so alt, dass ihr Betrieb von Jahr zu Jahr immer kostenintensiver und aufwändiger wird. Oder denken Sie an die Lernsituation im Fachbereich Design am Max-Ophüls-Platz. Das ist ein denkmalgeschütztes Gebäude, wunderschön. Ich mag das sehr gerne. Aber stellen Sie sich vor, Sie müssten dort an der Südseite zur B1 im Sommer Lehre machen. Das ist nicht ideal.
Aber die alten Standorte werden trotzdem als Alternative zum Hafen mitgeprüft?
Die Alternative wäre, an den Standorten zu bleiben und zu sanieren, was ja hier dringend nötig ist. Diese Prüfung ist Teil des Verfahrens. Es geht auch darum, für uns einen Überblick zu kriegen.
Was schätzen Sie in aller Vorsicht, wann der Prozess, den Sie eben in Kurzform beschrieben haben, beendet sein wird?
Das erste Quartal 2024 ist für uns eine große sportliche Herausforderung. Wir schmeißen echt den Turbo an. Es ist ja nicht so, dass wir irgendwie eine Excel-Tabelle füllen und dann fallen da Zahlen raus. Es gibt da ganz viele Fachbereich-Spezifika. Das sind ja nicht nur Seminarräume und Hörsäle, sondern es ist auch viel technische Infrastruktur, die eine Rolle spielt. Labore und ähnliches spielen natürlich auch eine Rolle.
Und es geht um ein wirklich partizipatives Miteinander. Wie stellen wir uns denn die Zukunft einer Hochschule vor? Was zeichnet Digitalität aus? Wie sieht die Zukunft der Arbeit aus?
Unabhängig vom Standort, welche Wünsche haben Sie noch für die Entwicklung der Fachhochschule?
Wir haben jetzt ein komplett neues Team. Nicht nur ich, auch die Prorektorin und die Prorektoren sind neu, die Kanzlerin ist neu. Wir stehen ganz bestimmt für die Themen Bildungsgerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Klimawandel. Als Hochschule für angewandte Wissenschaften geht es auch um Wissenstransfer. Der Fokus liegt auf der Lehre.
Aber mittlerweile schöpfen wir ein Drittel unseres Budgets aus Drittmitteln. Forschung ist für mich nicht ein Nice-to-have, sondern absolut notwendig, gerade in der heutigen Zeit. Wir wollen noch anwendungsorientierter arbeiten und wir wollen gerade mit der lokalen und regionalen Wirtschaft noch intensiver kooperieren.
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