Die Einführung des Deutschland-Tickets, das ab 1. Mai für 49 Euro bundesweit Fahrten in Bussen und Bahnen ermöglicht, stellt das gesamte Tarifsystem des Verkehrsverbunds Rhein Ruhr (VRR) in Frage - das stellte Hubert Jung, der als DSW21-Verkehrsvorstand Ende 2022 in den Ruhestand gegangen ist, im Dezember 2022 fest. Und sein Nachfolger auf dem Chefsessel der DSW-Verkehrssparte sieht das genauso.
„Mit dem Deutschland-Ticket hat jemand einen Veränderungsprozess gestartet, der alles umkrempeln kann“, sagt Ulrich Jaeger. „Das Deutschland-Ticket müssen wir jetzt wie einen Katalysator für alle anderen Tarife nutzen.“
Er sieht die Stellschraube dabei weniger bei den Preisen, sondern bei den Zeiten und Tarifgrenzen. Wenn das Deutschland-Ticket ohne Tarifgrenzen deutschlandweit gelte, werde es zunehmend schwer, zu erklären, warum man in Dortmund mit anderen Tickets in Richtung Westen fahren kann, aber nicht so leicht in Richtung Osten, weil da das VRR-Gebiet ende.

„Wir müssen die Tariflogik komplett umstellen“, fordert Jaeger. Er plädiert für einen reinen Zeitbezug ohne Tarifgrenzen. „Wir brauchen einen einfachen Tarif, der keine Grenzen mehr kennt. Die Welt ist jetzt eine andere. Den Verkehrsverbund, so wie ich ihn heute habe, brauche ich für den Tarif nicht mehr.“
Landespolitik in der Pflicht
Bei der nötigen Neuregelung sieht der neue DSW-Verkehrsvorstand das Land in der Verantwortung. „Das muss die Landesregierung über das Verkehrsministerium politisch vorantreiben“, fordert Jaeger.
Preise und Tarifsystem seien politisch festgelegt. „Ich würde mich für unsere Kunden freuen, wenn wir auch da Komplexität aus dem System rauskriegen und es kundenfreundlicher machen“, so Jaeger.
Das gilt für ihn vor allem auch für die bisherigen Schülertarife mit dem Schokoticket. „Wir brauchen für die Schülerinnen und Schüler ein komplett anderes System“, sagt Jaeger. Das aktuelle Ticket passe nicht mehr. „Der Preis ist im Verhältnis zum Deutschland-Ticket schwierig darstellbar“, erklärt er.
Zum Hintergrund: Schülerinnen und Schüler, die die nächstgelegene Schule besuchen und dabei einen längeren Schulweg von in der Regel mehr als 3,5 Kilometern haben, zahlen aktuell 14 Euro, wer komplett selbst zahlen muss, weil nicht die nächstgelegene Schule besucht wird, 39,40 Euro.
Auch diese Einteilung in Selbstzahler und Anspruchsberechtigte für die Fahrkosten-Förderung sei nicht mehr passend, findet Jaeger. Das sei – trotz Rabatt ab dem dritten Kind – für viele Familien preislich „schwierig darstellbar“.

Sein Wunsch: „Wir müssen dieses Ticket grundsätzlich reformieren.“ Die Entfernungsprüfung müsse wegfallen und die „Fahrkostenverordnung“ als Grundlage drastisch vereinfacht werden. „Das jetzige System frustriert alle Beteiligten, weil es ein unheimlicher Aufwand ist“, stellt Jaeger fest.
Sein Vorschlag: „Wir müssen mit weniger Bürokratie jedem Kind ab der fünften Klasse die Möglichkeit eröffnen, ein deutlich günstigeres Ticket zu beziehen.“ Es müsse eine Pauschale her, die alle auf Basis des Deutschland-Tickets bezahlen.
Auch hier sieht er das Land in der Pflicht. Für eine solche Vereinfachung müssten sich NRW-Verkehrs- und Schulministerium politisch verständigen. „Die sind da auch dran“, verrät Jaeger. „Das muss landesweit einheitlich funktionieren. Das wird nicht ohne weiteres diesen Sommer gehen, aber es ist jetzt ein guter Moment, im Rahmen des Deutschland-Tickets neu nachzudenken.“
Der entscheidende Punkt für die Verkehrsunternehmen bei allen Veränderungen sei, dass die Angebote finanziert werden. „Wir müssen einen Ausgleich zu dem haben, was für bisher hatten“, betont Jaeger. „Wenn wir keinen Rückbau des Systems wollen, dann muss zumindest die heutige Einnahmesituation gesichert werden. Alle politischen Beschlüsse zu einer weiteren Absenkung von Tarifen müssen immer durch ein Finanzierungskonzept begleitet werden.“
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