Petra Hagemann (1953-2020) war „wild und ließ sich nicht einordnen“ Nachruf auf eine besondere Tanzlehrerin

Von Dirk Berger
Petra Hagemann war „wild und ließ sich nicht einordnen“: Nachruf auf eine besondere Tanzlehrerin
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Lieblingsaltfreund von jemandem zu sein, ist eine Auszeichnung. Ein Lieblingsaltfreund hat mal mit einem das Kissen geteilt, ein paar Jahre des Lebens auch. Als es mit der Liebe vorbei war, sind beide geblieben. Wenn man sich der Tatsache, ohne sich großartig verletzt zu haben, ergibt, rettet sich das Gefühl füreinander auf eine andere, ebenso feste Stufe.

Harald Hein spürt diese Nähe zu Petra Hagemann heute noch, sie hat ihm diesen Titel verliehen. „Petra ist in meinem Alltag immer noch präsent“, sagt er. Die Lehrerin für Sensomotorik und Psychomotorik an der Dortmunder Fachschule für Motopädie starb 2020 im Alter von 66 Jahren.

Wenn man gerade mal nicht so war wie sie, fiel es einem besonders auf – sie war immer in Bewegung. Petra Hagemann hatte eine tanztherapeutische Ausbildung am New York Medical College absolviert, der Tanz schien Teil ihrer natürlichen Fortbewegung zu sein. Sensibilität und Energie – ohne gab es sie nicht.

Nun ist Harald Hein selbst ein kreativer Mensch. „Aber ich komme eher vom Material, sie kam eindeutig von der Bewegung. Und das hat sich wunderbar ergänzt. Ihre Selbstverständlichkeit und Neugier haben mich in Bereiche geführt, von denen ich vorher keine Ahnung hatte – sie hat mich vor 40 Jahren schon mit zu Pina Bausch genommen.“

Die Wuppertaler Kultfigur der Tanzszene war ihr eine Göttin. Und er besuchte mit einem Mal Workshops für afrikanische und lateinamerikanische Tänze.

„Da war sie mir ein Vorbild“

Aufgewachsen in der Dortmunder Gartenstadt, zeigte sich früh Hagemanns Energie. Susanne Meyer erinnert sich an die etwas ältere Freundin aus Kindertagen: „Sie war wild und ließ sich nicht einordnen. Sie hat sich über Verbote hinweggesetzt.“ Solche Menschen sind oft bestimmend, und das habe sie gespürt.

Aber Susanne Meyer fühlte nebenbei etwas, was man selbst zum Großwerden nutzen konnte. „Petra hat Ungerechtigkeiten nicht haben können, sie war kritisch gegenüber Obrigkeiten und immer ehrlich. Und sie hat dazu gestanden, wenn sie Mist gebaut hat. Da war sie mir ein Vorbild.“

Ihre Wildheit setzte sie später zielgerichtet um und ein. Nach ihrer Ausbildung zur Tanztherapeutin besuchte sie in Dortmund die Fachschule für Motopädie. Es war die Schule, in der sie später als Lehrerin für Sensomotorik und Psychomotorik arbeiten sollte. Manfred Bechstein, der dort seit 1982 als Lehrer mit den Schwerpunkten Diagnostik, Psychomotorik und Soziomotorik beschäftigt war, erinnert sich an die Kollegin als einen Paradiesvogel.

„Wir waren Gegenpole“

„Eine unglaubliche Erfrischung in ihrer Buntheit. Ihre Herangehensweise an Themen war völlig anders, das hat mich manchmal gewundert. Ich selber bin eher sachbezogen“, sagt er. Nüchtern und analytisch zu sein, das hat viele Vorteile – allerdings gehörte beides nicht zu Petra Hagemanns Kernkompetenzen.

„In Konferenzen konnte sie einen zur Weißglut bringen“, erinnert er sich. Sie schwirrte darüber hinweg. „Wir waren Gegenpole“, fasst Bechstein zusammen, „aber es war fantastisch. Wir konnten uns beide gegenseitig an unserer Arbeit erfreuen.“

Simone Lang hatte Petra Hagemann als Klassenlehrerin während ihrer Zeit der Fortbildung zur Motopädin. Eine Szene hat sie noch vor Augen, es war am Kennenlerntag. „Wir mussten uns in der Gruppe über Töne und Bewegung vorstellen“, erinnert sie sich.

Petra Hagemann mit einem Gymnastikball
Dem Tanzen und der Tanzpädagogik hatte sich Petra Hagemann voll und ganz verschrieben. © Privat

Das, was man später humoristisch als „Namen tanzen“ verarbeitete. Natürlich war das anfangs etwas befremdlich, wenn man vom Händedruck kam. Aber Petra war ja dabei. „Sie hat einen nie damit alleine gelassen und der ganzen Situation das Peinliche genommen.“

Sie steckte sich Pinsel zwischen die Zehen und malte Bilder mit dem Fuß, führte ihre Schülerinnen und Schüler auf vielen verschiedenen Wegen durch Sinnerfahrungen. Sie beobachtete hyperaktive Kinder, stellte Bewegungsmuster fest, brachte erwachsene Seminarteilnehmer dazu, es ihnen gleichzutun um nachzufühlen, wie es Kindern geht, die unter ADHS leiden.

„Durchdrehen mit Ansage“

„Das war Durchdrehen mit Ansage“, erzählt Bechstein, „aber alle haben gemerkt, es hatte Hand und Fuß.“ Wildes Rumspringen, um Sensibilität zu wecken. Der Lehrkörper sollte sich mal anders bewegen, die Perspektive wechseln. Sie steckte Leute in Tanztüten, damit der Körper in der Umhüllung seine Grenzen erfahre, setzte ihnen Masken auf, damit sie sich trauen, unerkannt anders zu sein als sonst.

Es war – bunt. Und ganz wichtig: „Jeder sollte mit einem warmen Gefühl nach Hause gehen“, sagt Simone Lang, „ihr Tod hat uns Ehemalige erschreckt. Wir hätten keine bessere Lehrerin haben können.“

Eine Frau an einem Tisch
„Wir hätten keine bessere Lehrerin haben können“, sagt eine Wegbegleiterin über Petra Hagemann. © Privat

Wenig später verließ die Tanztherapeutin Dortmund. Sie hatte jemanden aus der Wiesbadener Kulturszene kennengelernt und war in die Nähe von Bad Schwalbach gezogen. Sie pendelte jahrelang, reiste am Wochenanfang für den Job aus dem Taunus an, gegen Wochenende ging es retour. Selbst ihre Freizeit hatte Rhythmus.

Petra Hagemann spielte einige Jahre beim Verein Pankultur Steeldrum. Martin Buschmann, einer der musikalischen Leiter, erinnert sich noch gut an sie: „Sie hatte keine rhythmischen Probleme – und das ist beim Steeldrumspielen die Hauptsache. Sie war locker.“ Es schien, dass Petra Hagemanns Körperlichkeit jede Situation beherrschte.

Nachdem sie in Rente gegangen war, reduzierten sich die Kontakte nach Dortmund. Aber Harald Hein und seiner Familie blieb sie verbunden. Dann passierte, was alle überraschte. Es dauerte ziemlich lange, bis die Ärzte den Befund Bauchspeicheldrüsenkrebs stellten. Sie habe die Diagnose erstmal angenommen, was sollte sie auch anders machen.

„Es ändert sich nur die kosmische Adresse“

„Wir haben uns in den Arm genommen“, erinnert er sich ruhig, „aber ihre Alpträume kannte ich nicht.“ Es habe dann noch ein halbes Jahr gedauert. Am 7. Februar 2020 ist Petra Hagemann gestorben. Über 100 Trauergäste waren bei ihrer Beerdigung, Manfred Bechstein und Harald Hein ebenfalls.

Der Lieblingsaltfreund baute in der Zeit danach eine Friedhofsbank, die er nach Absprache mit der Bürgermeisterin des Dorfes in der Nähe ihres Grabes aufstellen durfte. Eine Ruhebank, komisch.

Farbe, Form, Bewegung. „Es ändert sich nur die kosmische Adresse“, hatte sie zuletzt gesagt. Platz zum Tanzen ist auch reichlich da.

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