
© Oliver Schaper
Mit Video: Wie Sport das Leben verändern kann – auch von zuhause aus
Fitness im Lockdown
Konsequentes Fitness-Training verändert nicht nur den Körper. Es kann auch den Lebensweg enorm beeinflussen. Ein 22-Jähriger erzählt, warum und wie er im Lockdown weiter trainiert.
In den letzten fünf Jahren hat Zemman ein Mammut-Programm absolviert. Auch in sportlicher Hinsicht, aber nicht nur in dieser. Mit 17 Jahren kam er aus Syrien nach Deutschland.
Als erstes hat er die Sprache gelernt, fast akzentfrei. Dann einen Schulabschluss gemacht, ein Praktikum als Friseur begonnen, das nahtlos in eine Ausbildung überging.
Nach der Ausbildung arbeitete er sieben Monate als Angestellter - und hat dann 2020 einen eigenen Salon eröffnet. In Geschäftspartnerschaft mit einer Meisterin aus seinem Ausbildungsbetrieb. Ende Januar wird er ebenfalls die Meisterschule starten, natürlich berufsbegleitend.
Nicht schlecht für jemanden, der als Jugendlicher ganz allein in dieser Stadt ankam. „Der Sport hat mir unheimlich geholfen, meinen Weg zu gehen. Er ist auch heute noch ein wichtiger Motor für mein Selbstvertrauen“, erzählt Zemman. „Natürlich neben all den Menschen, die mich motiviert haben. Mein Chef in meinem Ausbildungsbetrieb gehört dazu. Er ist nach wie vor ein Vorbild für mich.“
Du siehst genau, wie du dich steigerst
Selbstvertrauen durch Sport? Wie das? „Ich konnte anfangs oft nicht schlafen, hatte Alpträume und ich war klapperdünn. Ich wollte aber stark sein. Ich hab dann angefangen, meine Freizeit im Sportstudio zu zu verbringen. Das hat mich abgelenkt“, sagt er.

„Der Sport hat mir unheimlich geholfen, meinen Weg zu gehen. Er ist auch heute noch ein wichtiger Motor für mein Selbstvertrauen“, sagt Zemman. © Schaper
„Beim ersten Training konnte ich 5 Kilo heben, beim zehnten Training schon 8 Kilo und einen Monat später waren es 15 Kilo. Das ist das Schöne an den Gewichten: Sie zeigen dir genau, wie du dich steigern kannst, wenn du mit Ehrgeiz und Disziplin an die Sache rangehst. Ich konnte mir quasi selbst beweisen: Wenn ich etwas will, dann schaffe ich es auch. Das überträgt sich auch auf dein Leben außerhalb des Sportstudios. Du traust dir einfach mehr zu.“
Zemman trainierte fünfmal in der Woche. Aus dem klapperdünnen Jungen wurde ein sichtlich fitter Sportler. Als im ersten Lockdown im März die Sportstudios schließen mussten, konnte er im Frühling und Sommer noch nach draußen ausweichen und viel laufen. Aber im Herbst und Winter ist es sowohl vor als auch nach der Arbeit ziemlich finster.

Im Lockdown trainiert der 22-Jährige zwischen Bett und Kleiderschrank. © Schaper
„Ich hab dann überlegt, wie ich vernünftig mit Gewichten zuhause trainieren kann.“ Aus dem ersten Lockdown hatte er schon mal Hanteln. Aber für die Langhantel braucht man eine stabile Ablage. Und Klimmzüge müssen einfach auch sein, sie sind die Königsdisziplin für viele Muskeln.
Was also tun, wenn man in einer Single-Wohnung zu wenig Platz hat für eines der gängigen Multi-Funktions-Geräte? Von den Kosten ganz zu schweigen. „Ich hab im Internet bei einem Sportgeräte-Hersteller eine Art Schrank gefunden, den man aufklappen kann und dann hat man ein Rack mit Klimmzugstange und verstellbaren Halterungen für die Langhantel. Nimmt ganz wenig Platz ein, war mir aber auch viel zu teuer.“
Fitness-Studio aus dem Baumarkt
Also hat er es selbst gebaut. „Nicht ganz allein. Ich brauchte ja jemanden, der schweißen kann und der weiß, wie man das Ding bombensicher an die Wand bringt.“ Aber als Friseur und Sportler lernt man eine Menge Leute kennen. Am Ende kostete ihn die Konstruktion nicht mehr als 200 Euro.
„Fertig gekauft müsste man das Zehnfache bezahlen. Aber den Schrank drum herum habe ich mir gespart.“ Die Einzelteile stammen aus dem Baumarkt: Vierkant-Metallstangen, Halterungen zum Einhängen, starke Dübel und Schrauben. „Kann man jetzt sicher auch online bestellen. Sowas hält aber nur an einer tragenden Wand“, warnt der Sportler.

Klimmzügen sind Zemman ganz wichtig - mit Teilen aus dem Baumarkt hat er sich das Trainingsgerät mit Hilfe von Bekannten selbst gebaut. © Schaper
Zwischen Bett und Kleiderschrank trainiert Zemman jetzt fünfmal in der Woche sein 5-Punkte-Programm: 1. Bauch und Brust, 2. Rücken, 3. Bauch, Beine, Waden, 4. Schulter, 5. Bizeps/Trizeps. Jeden Tag eine andere Muskelgruppe.
Beinpresse, Beinstrecker, Wadengerät und Butterfly, die Klassiker im Studio für Beine und Brust, muss er ersetzen, ebenso wie den Kabelzug für den Trizeps.
„Das Geräte-Beintraining ersetze ich durch verschiedene Kniebeugen mit und ohne Ausfallschritt. Für die Waden gehe ich in den Zehenspitzenstand, alles jeweils mit Kurzhanteln in den Händen. Butterfly ersetze ich mit Kurzhantel-Übungen. Für den Trizeps stütze ich mich nach hinten mit den Händen auf meiner Hantel-Bank ab, lege die Fersen auf die Bettkante, lasse mich absinken und drücke mich mit den Armen wieder hoch. Das haut ordentlich rein.“
Fünfmal Training pro Woche
Gut 60 Minuten dauert das Trainingsprogramm, mit Aufwärmen und Dehnen. Beides ganz wichtig. Als der Friseursalon noch geöffnet war, hat er es morgens durchgezogen. Allerdings erst ab 8 Uhr, wenn die Nachbarn unter seiner Wohnung aus dem Haus waren.
„Das Seilchenspringen zum Aufwärmen hätte sie sonst genervt.“ Jede Übung umfasst 4 Sätze mit 8 bis 10 Wiederholungen. Hier sind einige Beispiele:
Bauch und Brust:
An der Klimmzugstange hängend, Beine gestreckt auf 90 Grad hochziehen, einmal gerade und jeweils rechts und links mit gedrehter Hüfte schräg seitlich für die seitlichen Bauchmuskeln.
Auf der flachen Bank liegend Bankdrücken mit der Langhantel und ebenfalls auf der flachen Bank Kurzhanteln nach außen und zur Brust führen.
Rücken:
Therabänder unterschiedlicher Stärke über das Reck schlingen und stehend vor dem Körper zum Bauch ziehen.
Klimmzüge, einmal breit gefasst mit den Händen oben auf der Stange, einmal enger gefasst und mit den Händen von unten auf der Stange.
Und schließlich Klimmzüge mit hochgeklappten Beinen, die gleichzeitig auch wieder den Bauch beanspruchen.
Bauch, Beine, Waden:
Kreuzheben mit der Langhantel mit geradem Rücken, Brust raus, Schulter nach hinten. In dieser Position Langhantel vom Boden auf Hüfthöhe ziehen.
Verschiedene Kniebeugen (siehe oben) mit Kurzhanteln, mit der Langhantel sowie Zehenspitzenstand.
Schulter:
Auf der Bank sitzend Kurzhanteln seitlich nach oben führen, im Stehen einmal seitlich ausgestreckt auf Schulterhöhe führen, einmal mit vorgestreckten Armen auf Schulterhöhe führen.
Bizeps, Trizeps:
Kurzhanteln wechselnd rechts und links mit Hand-Innenseite nach oben vor dem Körper von Hüfthöhe auf fast Schulterhöhe führen. Dann Kurzhanteln seitlich neben dem Körper nach oben führen (Hammer-Curls). Für den Trizeps die oben beschriebene Übung mit den Händen nach hinten auf der Bank und den Fersen auf der Bettkante.
Eminems Rap ist der Treibstoff
Aber wie motiviert man sich für fünf Trainingstage pro Woche? „Ich muss mich nicht motivieren. Ich freu mich drauf. Vor allem, wenn ich morgens trainiere, dann geht der Tag so richtig los. Ich bin wach, aktiv und arbeite mein Programm Schritt für Schritt ab. Ich liebe diese klare Struktur“, sagt Zemman.
Zum Training hört er, wie fast alle Sportler, Musik. „Gerne Eminem, englischsprachigen Rap. Da ist Energie drin, wie ein Treibstoff.“ Englisch ist übrigens auch das nächste, was neben dem Meisterstudium auf seinem Lernprogramm steht.
„Wenn ich dann in den Salon fahre, bin ich voller Freude. Ich freu mich auf meine Kunden, auf die Wohlfühlatmosphäre im Salon und es ist einfach ein großartiges Gefühl, im eigenen Laden zu arbeiten. Jetzt haut uns der Lockdown natürlich ordentlich dazwischen. Aber die anderen Salons sind schon im zweiten Lockdown. Wir erst im ersten. Also schaffen wir das schon.“
Natürlich ist der Sport auch ein super Ausgleich für die körperliche Belastung in seinem Beruf. Gerade für Rücken und Nacken. Aber auch weiterhin für die Seele. „Sport kann dein Leben verändern“, sagt Zemman. „Er hilft dir, dich äußerlich aber auch innerlich zu entwickeln. Du kannst es sehen. Im Spiegel und auf Fotos. Wenn ich mir die Bilder anschaue, wie ich hier ankam, dann weiß ich: Diese ganze intensive Zeit – sie hat sich gelohnt! Nicht nur für die Muskeln.“