Treffen mit Einwanderern

Wie sich eine Roma-Familie in Dortmund ein neues Leben aufbaut

Wie lebt es sich eigentlich als Roma in der Nordstadt? Fabian und Anisoara Lazar-Ion wissen es. Das Roma-Ehepaar aus Rumänien wohnt seit einem Jahr mit seinen zwei Kindern in Dortmund. Zwar hat die junge Familie an manchen Tagen nichts zu essen. Doch Sozialhilfe kommt für sie nicht in Frage. Ein Treffen mit mit einem Paar, das sich in Dortmund ein selbstständiges Leben aufbauen will.

DORTMUND

, 17.08.2014 / Lesedauer: 4 min

Anisoara und Fabian Lazar-Ion führen mit ihren beiden kleinen Kindern ein bescheidenes Leben in der Nordstadt, die sie gerne wieder verlassen möchten. Die Sozialhilfe ist für das Paar aus Rumänien keine Perspektive. Beide wollen arbeiten, einen fairen Lohn erhalten und ein normales Leben führen.

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Fabian und Anisoara Lazar-Ion passen nicht in das Bild der Roma-Eltern, die ihre Kinder zum Klauen schicken. Denn das Paar hat einen Plan. Die beiden wollen ehrlich arbeiten und einen fairen Lohn bekommen. Sozialhilfe? „Für uns keine Perspektive“, sagen sie kurz und knapp. Beide lungern nicht auf der Straße herum und nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand. Was auch ein Verdienst der Arbeiterwohlfahrt (AWO) ist. Im Dezember 2013 blickte Fabian Lazar-Ion aus dem Fenster der kleinen Nordstadt-Wohnung seiner Schwester, als der AWO-Straßensozialarbeiter Mirza Demirovic auf dem Nordmarkt mit Rumänen Gespräche führte. Fabian ging hinunter, beide kamen ins Gespräch und vereinbarten einen Termin im „Interkulturellen Zentrum“ der AWO an der Blücherstraße 27.

Mirza Demirovic‘ Suche nach Rumänen, die dringend Hilfe benötigen, blieb nicht unbeobachtet. Zwei dubiose „Geschäftsmänner“ warnten den Sozialarbeiter: Er solle ihnen nicht weiter Konkurrenz machen. Tatsächlich ist Demirovic ein Konkurrent für die Geschäftsleute. Sie drehen Zugewanderten falsche Stromverträge an und kassieren viel Geld dafür oder verlangen Provisionen, weil sie Behördenformulare ausfüllen. „50 bis 100 Euro für ein Formular sind normal“, berichtet der 37-jährige Sozialarbeiter aus Gesprächen mit seinen über den Tisch gezogenen Klienten. Die AWO-Angebote im „Ikuz“ an der Blücherstraße sind kostenlos.

Angefangen vom Kennenlern-Frühstück am Mittwochvormittag bis zum Deutschkurs verlangt die Arbeiterwohlfahrt kein Geld –  das macht die Sozialarbeiter zu Konkurrenten, weil sie ein lukratives Geschäftsmodell unterwandern. Sie wollen die Integration fördern. Und nicht die Ärmsten unter den Armen aus Osteuropa ausbeuten. Demirovic: „Die Zuwanderer sind es gewohnt, in der Nordstadt für alles zahlen zu müssen.“

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Zurück zu Fabian und Anisoara. „Wir haben einen Plan auch für unsere Kinder. Wir suchen einen Kindergartenplatz und möchten, dass sie die Schule besuchen. Dann sehen wir weiter“, sagt der stolze Vater, der mit seiner Familie ein bescheidenes und doch glückliches Leben führt. Obwohl es Tage gibt, an denen die Familie nichts zu essen hat.

Auf welchem Weg der 39-Jährige sein Ziel erreichen will? „Als Rumäne musst du dich integrieren, hart arbeiten und ruhig bleiben.“ Zurzeit pflückt Fabian Erdbeeren. Nach nur fünf Tagen zahlte der Chef ihm eine Provision. Weil der ruhige Mann aus Rumänien so fleißig ist. Die Erdbeerzeit ist bald vorbei. Fabian Lazar-Ion liest die Zeitung, um einen neuen Job zu finden. Wie gesagt: Sozialhilfe ist für ihn und seine Frau keine Perspektive. In Rumänien verdiente Anisoara als Schneiderin gut 50 Euro. Pro Monat. Beide haben neben einer gesicherten Zukunft einen Herzenswunsch. Fabian ist stolz, ein Roma zu sein. Er selbst nennt sich Zigeuner – und bittet die Dortmunder: „Wir sind nicht alle gleich. Es gibt Eltern, denen mangelt es an Erziehung und Bildung. Wir sind nicht einverstanden damit, dass sie ihre Kinder los schicken, damit sie Straftaten begehen.“

Auch seine Frau sieht eigene Landsleute kritisch: „Sie haben einfach keinen Plan für ihr Leben. Aber es ist ein falscher Eindruck, dass alle Zigeuner kriminell sind.“ Der 39-Jährige musste selbst schon spüren, wie es sich anfühlt, diskriminiert zu werden. In seiner früheren Heimat Rumänien. „Ich hatte mehrere Vorstellungsgespräche. Sobald bekannt war, dass ich ein Zigeuner bin, hatte ich keine Chance mehr.“ Roma-Diskriminierung in Deutschland? Fabian Lazar-Ion zuckt nicht mal mit der Wimper. Es mag an seinen Integrations-Bemühungen liegen. Ricarda Erdmann von den Integrationsfachdiensten der Arbeiterwohlfahrt sagt: „Für mich als Deutsche sind die Bedingungen, unter denen die Rumänen in der Nordstadt leben, extrem schwierig. Was da Standard ist, ist erschreckend. Trotzdem ist Deutschland immer noch besser als Rumänien. Selbst die Diskriminierung ist dort schlimmer als hier.“

Mirza Demirovic, der Sozialarbeiter aus dem interkulturellen Zentrum, war für acht Tage in Rumänien, um sich ein Bild von der Lage der Roma vor Ort zu machen. Abends wollte er mit seinem Kontaktmann, einem Roma, ein Bier trinken. Es blieb beim Versuch – Roma hatten in der Stadt ein Kneipenverbot. Fabian und Anisoara Lazar-Ion konnten es in eben diesem Land nicht mehr aushalten. Die schlechte Regierung und ihre korrupten Politiker, die am Boden liegende Wirtschaft, die miserable Infrastruktur, keine Arbeit – Heimat geht anders. „Wir wollen uns integrieren“, wiederholt Fabian immer wieder, und ergänzt zum Ende des Gesprächs: „Eigentlich könnten das alle. Aber sie wollen es nicht.“ Was sich ändern muss? „Die Politik in Rumänien.“