
© Dieter Menne
Wie eine Vorbild-Unternehmerin Frauen bei der Gründung hilft
Gründerinnen-Initiative
Die Initiative "Frauen unternehmen" unterstützt junge Frauen beim Eintritt in die Selbstständigkeit. In Dortmund helfen ihnen zwei Vorbild-Unternehmerinnen mit ihren langjährigen Erfahrungen.
Die Büroräume im Erdgeschoss des Labor Phoenix sind hell und weit. Man betritt sie durch meterhohe Glastüren und wähnt sich in einer Mischung aus Universitätsflur und luxuriöser Privatwohnung. Weiße Wände, hier und da ein Kunstdruck, tief lilafarbene Sitzsäcke neben schlichten Schreibtischen und Aktenschränken.
2010 ist Isabell Reinecke mit ihrer PR-Agentur "Presigno" und einer Handvoll Mitarbeitern hier eingezogen. 18 Jahre nach der Gründung wohnte diesem Akt etwas Finales inne, etwas Krönendes. Presigno läuft. Und Isabell Reinecke sieht glücklich aus. Entspannt, vor allem.
In dem kleinen Konferenzraum am Ende des Flurs stehen Wasser und Saft auf dem Tisch, Flyer liegen drapiert in der Mitte. Wenn man sich zur Seite lehnt und aus dem Fenster schaut, sieht man den Hochofen mit seinen rostbraunen Stahlrippen. Als Isabell Reinecke im Jahr 1992, mit dem ersten Kind schwanger, ihren Job bei einer Werbeagentur kündigt, um sich mit einer eigenen kleinen Agentur selbstständig zu machen, bringen hier noch rund 10.000 Stahlarbeiter das Innere des Turms und den Himmel über Hörde Tag und Nacht orangerot zum Glühen.
Die Zeit war eine andere als heute. Wozu sich Isabell Reinecke entschied, war für Frauen Anfang der 90er Jahre ungewöhnlich. „Wäre ich jetzt nochmal so jung wie damals“, sagt Isabell Reinecke, „ich glaube, als Frau ein Unternehmen zu gründen, wäre deutlich leichter.“
Immer mehr Frauen werden Gründerinnen
Es tut sich tatsächlich etwas, das geht aus der Gesamtheit verschiedener Statistiken hervor: Immer mehr Frauen gründen ihr eigenes Unternehmen oder machen sich selbstständig. Vor allem Freiberuflerinnen gibt es laut Unternehmerinnen-Barometer der bundesweiten Gründerinnenagentur (bga) deutlich mehr als noch vor zehn Jahren.
„Heute haben wir zudem anders als damals eine ganze Reihe von Existenzgründungsinitiativen, die speziell Frauen ansprechen“, sagt Reinecke. „Außerdem die digitalen Entwicklungen, die es möglich machen, einen Betrieb online zu führen, im Homeoffice zu arbeiten oder sich ganz anders zu vernetzen.“
Trotzdem waren es im Jahr 2017 mit nur 38 Prozent der Unternehmensgründungen erstens deutlich weniger Frauen als Männer, die in die Selbstständigkeit gingen, und zweitens: genauso wenige wie 16 Jahre zuvor – das zeigt eine Statistik des Online-Portals statista.
Von allen Frauen sind es insgesamt nur rund 3 Prozent, die sich laut Global Entrepreneurship Monitor (GEM, 2017) für eine Gründung entscheiden, und damit nur halb so viele wie Männer. Davon abgesehen wird nur jedes dritte Unternehmen von einer Frau geleitet.
„Vorbild-Unternehmerinnen“ beraten junge Gründerinnen
Die Initiative „Frauen unternehmen“ vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) will das ändern. Seit 2014 bestimmen die Verantwortlichen sogenannte Vorbild-Unternehmerinnen, die in ihren Städten Vorträge halten und Beratung anbieten, um junge Gründerinnen zu ermutigen.
Isabell Reinecke ist eine von ihnen und war lange Dortmunds einzige Vorbild-Unternehmerin. In diesen Wochen beginnt aber auch eine zweite ihre Arbeit: Inez Koestel, Leiterin der WAM. Anders als Isabell Reinecke gründete sie das Unternehmen nicht selbst, sondern arbeitete dort lange als Angestellte und war zudem Teilhaberin. 2007 rückte sie als Geschäftsführerin nach.
Eine kleine Agentur, die sie nach ihrem Studium selbst gegründet hatte, gab sie ab, nachdem sie die Leitung eines anderen Unternehmens übernommen hatte. Dann kam die WAM. „Ich hatte aber auch Glück“, sagt Koestel. „Ich habe die Chancen, die sich mir boten, ohne Zögern angenommen und bin die damit verbundenen Risiken eingegangen.“
Sicherlich, sagt sie, gebe es Frauen, die „zu vorsichtig“ seien und deshalb nicht in die Selbstständigkeit gingen. Das Argument begegnet einem in der Auseinandersetzung mit dieser Thematik immer wieder: Frauen trauten sich nicht, hätten nicht so viel Mut wie Männer, verschuldeten sich nicht so gern. Was klingt wie ein Klischee, scheint aber einen wahren Kern zu haben: Die gesellschaftliche Sozialisation einerseits und ein noch immer männerdominierter Arbeitsmarkt andererseits hinterlassen ihre Spuren.
D-Mark, Windows 95 und Angela Merkel
Frauen, die heute in dem Alter sind, in dem Isabell Reinecke und Inez Koestel waren, als sie gründeten, wuchsen in den 80er- und 90er-Jahren auf. Mit Hochofenleuchten und dem Mauerfall als vage Kindheitserinnerung, mit mehrheitlich Teilzeit- oder gar nicht arbeitender Mutter und dem Vater als Ernährer der Familie, mit der D-Mark, Windows 95 und der ersten weiblichen Kanzlerin. Eine Generation, die von einer gar nicht so hyperfortschrittlichen Welt geprägt ist, wie man immer glaubt.
„Wir wissen, dass in vielen Frauen eine Gründerin schlummert“, sagt Jutta Beyrow von der Initiative "Frauen unternehmen". „In vielen Fällen muss man einfach nur den letzten Anstoß geben.“ Viele wüssten beispielsweise nichts von den Angeboten, die es gebe, wie dem Startercenter NRW: „Dort kann man einfach mit einer Idee hingehen. Man braucht noch nichtmals ein ausgearbeitetes Konzept. Alles wird dann im Anschluss abgewogen und ausgefeilt, wie aus dem Einfall eine Selbstständigkeit entstehen könnte.“
Es gebe „viele großartige Beispiele von Frauen, die vom Wohnzimmer aus gegründet und tolle Unternehmen draus gemacht haben.“ Man müsse nur darauf hinweisen, dass es möglich ist. Selbst mit Familie.
Vereinbarkeit mit der Familie auch für Männer immer wichtiger
Inez Koestel und Isabell Reinecke sind beide Mütter. Auf den ersten Blick ist das ein Faktor, der wie ein Hindernis für eine Unternehmensgründung klingt. Bei Männern, die Kinder haben, springt diese Assoziation nicht an. Noch so ein Überbleibsel einer patriarchalen Arbeitswelt.WiSogar die Initiative "Frauen unternehmen" warb vor einem Monat mit der Argumentation, gerade für Frauen sei die Nachfolge der Unternehmensführung besonders attraktiv, da gut vereinbar mit der Familie. „Tatsächlich ist es immer noch so, dass Männer selten für die Familie im Beruf kürzer treten“, sagt Beyrow. Und zwar nicht, weil sie nicht wollten, „sondern weil es vonseiten der Arbeitgeber ungern gesehen ist.“ Den Faktor müsse man mitdenken.
Jungen Müttern werde mit größerer Selbstverständlichkeit der Nachmittag freigegeben, damit sie ihre Kinder von der Kita abholen können, Väter stießen dagegen häufig auf Unverständnis. Auch das ist Realität – eine, mit der sich aber auch immer weniger Männer abfinden wollen: Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sprach in dem Dossier „Väter und Familie“ (2015) gar von einer „neuen Dynamik“. Fast 80 Prozent der Väter wünschten sich demnach „mehr Zeit für die Familie“.
Leben, um zu arbeiten
Die Selbstständigkeit, so die Berichte aus dem Umfeld der Initiative "Frauen unternehmen", sei oftmals grundsätzlich familienfreundlicher als ein Angestelltenverhältnis. Frauen wie Männer hätten als Freiberufler größere Freiräume, könnten von zu Hause arbeiten und seien auch zeitlich deutlich flexibler.
Aber: Sie arbeiten auch deutlich mehr. Laut Arbeitszeitreport (2016) bringen es zwei Drittel von ihnen mit mindestens 48 Wochenarbeitsstunden auf so genannte „überlange Vollzeit“. Klingt weniger nach dem Leitsatz „Arbeiten, um zu leben“ – sondern eher nach „Leben, um zu arbeiten“.
„Ja, leider ist es das wirklich oft“, sagt Inez Koestel. „Das Unternehmen hat einen extrem hohen Stellenwert.“ Sie und ihr Mann sind beide selbstständig, „und natürlich haben sich unsere Kinder hin und wieder mehr Präsenz von uns gewünscht“, sagt Koestel. „Aber ich versuche genau das auch auf die Unternehmensführung zu übertragen: Genauso wie ich meinen Kindern Aufmerksamkeit und Zuspruch schenke, tu ich das auch bei meinen Mitarbeitern.“
Eigentlich, sagt sie, sei ein Unternehmen im Grunde sogar selbst wie eine Familie. „Ich merke, wie sehr es die Mitarbeiter motiviert und stärkt, wenn sie als Menschen wahrgenommen werden und für ihre Arbeit Anerkennung und Lob bekommen.“
Trotzdem seien Eltern deshalb nicht automatisch die besseren Unternehmer: „Das will ich nicht sagen. Es gibt so viele verschiedene Gründe, warum Menschen keine Kinder bekommen. Vor allem als Unternehmerin schiebt man es oft auf – und dann ist es unter Umständen auch irgendwann zu spät.“
Vision, Geduld, Selbstbewusstsein
Bei Isabell Reinecke war die Motivation umgekehrt: „Ich war schwanger aber wollte nicht auf den Beruf verzichten“, sagt sie. Viele Frauen landeten zu dieser Zeit nach dem Mutterschutz häufig in Teilzeitpositionen oder in Hilfsberufen, für die sie überqualifiziert waren, weil es oft vom Arbeitgeber keine Wiedereinstiegsgarantie gab. „Außerdem habe ich immer davon geträumt, einmal eine kleine Agentur zu haben“, sagt Reinecke. "Presigno" wuchs „langsam und gesund“, während parallel Isabell Reineckes Kinder erwachsen wurden und auszogen, und nach einigen Jahren ihr Mann als zweiter Geschäftsführer mit einstieg.
Mit aktuell neun Mitarbeitern ist eine Größe erreicht, mit der Reinecke zufrieden ist, nicht zu groß, nicht zu klein – genau, wie sie es vorhatte.
Eine Vision zu haben, sagt die 56-Jährige, das sei wohl einer der wichtigsten Faktoren, um erfolgreich zu gründen.„Und Geduld. Einen langen Atem haben. Zuversichtlich sein.“
Was auch Inez Koestel betont, ist: Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein. „In dem Sinne sich seiner Selbst, seiner Stärken und Schwächen bewusst zu sein, Hilfe annehmen und sich zugestehen können, dass man nicht perfekt ist.“ Letzteres habe sie selbst lange lernen müssen. Bei Isabell Reinecke war es dagegen die Pflicht, sich selbst verkaufen zu müssen, mit der sie haderte: „Sich für andere Leute stark zu machen und darüber zu schreiben, wie toll sie und ihr Projekt sind, das ist mein Job“, sagt sie. „Aber das für sich selbst zu tun fiel mir schwer.“
Generationenfrage
Mehr weibliche Selbstständige und Start-Ups, davon ist die Initiative "Frauen unternehmen" überzeugt, würden nicht nur die Unternehmenslandschaft inhaltlich bereichern, sondern auch den Arbeitsmarkt nachhaltig verändern. Vielleicht gibt es ihn wirklich so häufig, wie Jutta Beyrow vermutet, den „Typ Unternehmerin“: risikofreudig, visionär, selbstbewusst und in der Lage, auch mal schwierige Phasen durchzustehen. Als Generation Phoenix-West haben die heutigen Gründerinnen vielleicht noch ein paar Startschwierigkeiten. Vielleicht sieht es bei der Generation Phoenix-See schon bald ganz anders aus.
Im Dortmunder Süden groß geworden, mittlerweile Innenstadtbewohnerin. Hat an der TU Dortmund Musik mit Hauptfach Orgel, Germanistik und Bildungswissenschaften studiert, studiert jetzt zusätzlich Musikjournalismus. Seit 2010 bei den Ruhr Nachrichten. Schreibt am liebsten über Kultur und erzählt Geschichten von Menschen.