Wie die Reinoldikirche zu ihrem ungewöhnlichen Turmhelm kam

© Menne

Wie die Reinoldikirche zu ihrem ungewöhnlichen Turmhelm kam

rnBaukunst-Archiv

Das Baukunst-Archiv NRW, das am 4. November am Ostwall eröffnet wird, birgt viele Schätze. Zum Beispiel die Pläne des Architekten Herwarth Schulte zum Wiederaufbau der Reinoldikirche.

Dortmund

, 08.10.2018, 04:21 Uhr / Lesedauer: 3 min

Der Eröffnungsgottesdienst in St. Reinoldi am 3. Juni 1956 markiert eines der bedeutendsten Ereignisse in der Geschichte des Wiederaufbaus in Dortmund. Bei mehreren Bombenangriffen der Alliierten im Laufe des Zweiten Weltkriegs war das historische Gotteshaus bis auf die Grundmauern zerstört worden. Der Wiederaufbau nahm mehr als zehn Jahre in Anspruch und zeigte, wie sehr sich die Dortmunder ihrer Stadtkirche verbunden fühlen.

Dass sie wiederaufgebaut werden sollte, daran gab es trotz der gewaltigen Trümmermassen in der Innenstadt keinen Zweifel. Schon 1946 wurde der Dortmunder Architekt Herwarth Schulte mit der Planung des Wiederaufbaus beauftragt. Ein Jahr später machte man sich daran, zunächst die Sakristei wiederherzurichten, in der Heiligabend 1948 der erste Gottesdienst gefeiert werden konnte. 1949 startete dann die Schutträumung im zerstörten Kirchenschiff.

So sah die Reinoldikirche mit dem barocken Turmhelm bis zum Zweiten Weltkrieg aus.

So sah die Reinoldikirche mit dem barocken Turmhelm bis zum Zweiten Weltkrieg aus. © Archiv

Am 7. Januar 1950, dem St. Reinoldustag, gründete sich der St. Reinoldi-Kirchbauverein. Und unter der Regie von Herwarth Schulte begann die eigentliche Wiederaufbau-Arbeit. Schulte, 1902 in Dortmund geboren, hatte schon ab 1923 in verschiedenen Dortmunder Architekturbüros gearbeitet. 1946, gleich nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft, machte er sich in seiner Heimatstadt als Architekt selbstständig.

Kirchenbau wurde zum Schwerpunkt seiner Arbeit – und der Wiederaufbau der Stadtkirche St. Reinoldi zu seinem Hauptwerk. Die Unterlagen dazu nehmen denn auch einen großen Teil des Nachlasses des Architekten ein, der kurz nach Schultes Tod im März 1996 an das Archiv für Architektur und Ingenieurbaukunst übergeben wurde.

Wie der Großteil der Innenstadt wurde St. Reinoldi (hinten links) im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört.

Wie der Großteil der Innenstadt wurde St. Reinoldi (hinten links) im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört. © Archiv

Allein die Unterlagen zum Wiederaufbau der Reinoldikirche umfassen 182 Planzeichnungen, 22 Bild- oder Fototafeln, 83 Dians sowie 20 Mappen mit Schriftstücken und Fotos. Dazu kommen Unterlagen von anderen am Bau Beteiligten und Entwürfe Schultes zu einem städtebauliche Wettbewerb für das Umfeld von St. Reinoldi. „Das Material ermöglicht einzigartige Einblicke in die einzelnen Schritte des Wiederaufbaus der Stadtkirche“, stellt Archivleiterin Regina Wittmann fest.

Für Forschung und Lehre an der Uni bietet das Archiv wertvolles Material. Der Schulte-Nachlass war 2013/ 2014 Stoff für das Projekt „Planvoll“, bei dem Studierende des Masterstudiengangs „Kulturanalyse und Kulturvermittlung“ gemeinsam mit Architektur-Studierenden der TU Dortmund der Wiederaufbau-Geschichte von St. Reinoldi nachspürten und am Ende in einer Ausstellung in dem Gotteshaus dokumentierten.

1953/54 wurde der Turm neu gestaltet.

1953/54 wurde der Turm neu gestaltet. © Archiv

Im Mittelpunkt standen dabei Rettung und Neugestaltung des Kirchturms. Das Problem: Der beschädigte Turm galt als einsturzgefährdet. Doch Herwarth Schulte hatte die rettende Idee: Er schlug vor, ein Betonfundament zu legen und eine Betonstütze in das Innere des alten Turms einzuziehen. Auch dies ist in den im Archiv erhaltenen Plänen dokumentiert.

Zwölf Turm-Entwürfe standen zur Abstimmung

Die längsten Diskussionen gab es um die Gestaltung des Turmes, die schon 1948 begonnen hatte. Eine Zeitung stellte die Entwürfe von zwölf Architekten zur Diskussion und zur Abstimmung. Eine breite Mehrheit sprach sich dabei für die frühere barocke Form des Turmhelms von 1701 aus. Doch 1952 fiel dann die Entscheidung für den Entwurf von Herwarth Schulte.

Er orientierte sich zwar an der barocken Haube, streckte diese aber ordentlich in die Länge. Statt 79,30 Meter wurde der Turm nun 104,65 Meter hoch und schlug damit den Bogen zur Form des 15. Jahrhunderts, als der Reinoldi-Turm mit 111 Metern Höhe als das „Wunder Westfalens“ galt.

So sah (und sieht) die Reinoldikirche nach dem Wiederaufbau aus.

So sah (und sieht) die Reinoldikirche nach dem Wiederaufbau aus. © Archiv

Ein Kompromiss, der bis heute gut ankommt – bei den Dortmundern, wie in der Fachwelt. Das größte Lob spendet der wohl bekannteste aktuelle Vertreter der Dortmunder Architektenschaft, Prof. Eckhard Gerber. Er sieht den Turmhelm von Herwarth Schulte als „schöne Verbindung von gotischer, barocker und neuzeitlicher Architektur“. „Mir ist kein Turmhelm aus dem Nachkriegsjahrhundert bekannt, der von dieser Schönheit, den wunderbar ausbalancierten und abgewogenen Proportionen und dieser starken Ausdrucksform geprägt ist und in seiner Modernität gleichsam die Geschichte interpretiert“, stellt Gerber fest.

Lotterie brachte das nötige Geld zusammen

Es dauerte aber noch, bis der Turm sein neues Aussehen bekam. Denn erst musste die Finanzierung des Wiederaufbaus gesichert werden. Hier zeigte sich das Engagement der Dortmunder. Mit einer Reinoldi-Lotterie unter dem Motto „Rettet Reinoldi“ wurde in vier Jahren – von 1952 bis 1955 – Geld gesammelt. Schließlich stellte auf Initiative von Oberstadtdirektor Wilhelm Hansmann auch die Stadt eine ausreichende Summe für die Wiederherstellung des Turmes zur Verfügung. Dazu kamen Spenden der Dortmunder Wirtschaft und die Unterstützung des Landeskonservators.

In den Jahren 1953 und 1954 nahm der Turm dann endlich Formen an. Am 1. September 1954 war mit dem Aufsetzen der kunstvoll gestalteten Wetterfahne der Turmbau vollendet, Heiligabend 1954 konnten die in Bochum gegossenen neuen Glocken von St. Reinoldi geweiht werden und erstmals erklingen.

Der Innenausbau der Kirche dauerte noch bis ins Frühjahr 1956. Die geretteten Kunstwerke wie das Chorgestühl, die Altarbilder und ein Teil der mittelalterlichen Glasfenster wurden sorgsam eingebaut. Am 3. Juni fand dann die offizielle Wiedereinweihung von St. Reinoldi statt. Die Stadt hatte ihr Wahrzeichen zurück und Herwarth Schulte ein Großes vollbracht. Er selbst stellte fest: „Reinoldi ist mein Lebenswerk.“

Schlagworte: