Die Westfalenhallen feiern im Jahr 2025 ihr 100-jähriges Bestehen. Für unvergessliche Konzerte und große Messen ist der Veranstaltungsort bekannt. Fast in Vergessenheit geraten ist hingegen ein dunkles Kapitel der Westfalenhalle. Denn zur Zeit des Nationalsozialismus waren dort, wo heute Megastars auftreten, Tausende Kriegsgefangene untergebracht.
Die Historikerin Regina Mentner hat zu diesem wenig beachteten Kapitel der Dortmunder Stadtgeschichte geforscht.

Nach der Beschlagnahmung 1939 war der Ort kurzerhand von den Nazis zu einem riesigen Lager umfunktioniert worden.
„Ich hatte vorher nie von dem Lager gehört“
„Das hier alles war Lagergelände“, weiß Historikerin Regina Mentner (61) und zieht dabei einen großen Kreis mit ihrem Arm bei einem Ortsbesuch zwischen B1 und Eingang zur Westfalenhalle im Januar 2021. 18 Jahre lang hat sich die gebürtige Dortmunderin in ihrer Freizeit bis dahin intensiv mit dem Lager beschäftigt, nachdem sie zufällig in einer Fußnote von der unrühmlichen Vergangenheit der Halle erfahren hatte.
„Ich hatte vorher nie von dem Lager gehört.“ Und offenbar war sie damit nicht allein: Als sie 2003 im Zuge des Begleitprogramms der Wehrmachtsausstellung einen Vortrag zu dem Thema hielt, wurde Regina Mentner klar, dass dieser Teil der Dortmunder Stadtgeschichte kaum bekannt ist. „Ich musste diese Lücke im Gedächtnis der Stadt einfach füllen.“
Die Veranstaltungshalle war einst Internierungslager von Kriegsgefangenen aus Polen, Belgien, Italien, Frankreich und der Sowjetunion. Das Stalag VI D (Kriegsgefangenen-Mannschaftsstammlager) bestand von September 1939 bis August 1941 in der Westfalenhalle.
Ab September 1941 wurde eine Baracken-Anlage auf dem angrenzenden Gelände des damaligen Volksparkes errichtet. Im Mai 1944 wurde die Halle bei einem Luftangriff komplett zerstört. Die heutige Halle wurde 1952 eingeweiht.
Die Kriegsgefangenen waren Teil des Stadtbildes
Mentner sichtete in mehr als zwei Dutzend Archiven in Deutschland und Frankreich die Aufzeichnungen von Gefangenen, Dokumente der Lagerbetreiber und führte Interviews mit Zeitzeugen.
Nach und nach ergab sich für die Historikerin ein Bild. Insgesamt 77.000 Kriegsgefangene durchliefen das Lager. Sie lebten dort in erbärmlichen Zuständen – Ungeziefer, Kälte, ständiger Hunger und die Angst vor Fliegerbomben gehörten zum Alltag.

„Das Kriegsgefangenenlager galt als völlig normal, nicht zu vergleichen mit dem KZ-Außenlager Buchenwald, das wir auch in Dortmund hatten“, erklärt die Historikerin. Die Funktion war es, billige Arbeitskräfte als Ersatz für die Deutschen an der Front zu beschaffen.
An exponierter Stelle, für Dortmunder sichtbar, waren also die Kriegsgefangenen untergebracht, die Zwangsarbeit in den umliegenden Fabriken, in der Industrie der benachbarten Städte und auf Bauernhöfen leisteten. Sie waren Teil des Stadtbildes, wenn sie in ihrer blauen Kleidung zwischen Einsatzort und Baracke hin und her gingen. „Die Kriegsgefangenen waren an den weißen Buchstaben KGF auf ihren Rücken gleich zu erkennen“, so die Historikerin.
Erinnerungen eines belgischen Kriegsgefangenen
Vom Stalag aus wurden die Kriegsgefangenen zum Arbeitseinsatz geschickt. Einer von ihnen war der Belgier Albert Laurent, der am 6. Juni 1940, im Alter von 26 Jahren, nach Dortmund kam. Als er im Walzwerk der Hermannshütte eingesetzt wurde, kam er in einem Lager an der Hermannstraße 74 in Hörde unter; damals befand sich dort die Gaststätte Walrabe, heute das Cabaret Queue.
Die Arbeit sei schwer gewesen und das Brot knapp. Für ärztliche Untersuchen mussten die Gefangenen zurück ins Stalag – „selbstverständlich gehen wir zu Fuß, egal wie die Wetterbedingungen sind“, erinnert sich Albert Laurent in einem Bericht, den Regina Mentner sichten konnte und in ihrem Buch wiedergibt.

Meist bekamen die Gefangenen von den Ärzten ein Wort zu hören: „ARBEIT“, wird Albert Laurent zitiert, „wenn ich nicht die Bedeutung dieses Wortes kennen würde, könnte ich an eine Epidemie denken, denn in nahezu allen Fällen fällt dieses Urteil.“
Mitten in der Stadt: Baracken auf einer Fläche von 25 Fußballfeldern
Im Juli 1941 wurden Baracken auf den Volkswiesen um die Westfalenhalle errichtet. In der Halle selbst waren ab September keine Gefangenen mehr untergebracht, damit dort wieder Veranstaltungen zu Propagandazwecken der NSDAP stattfinden konnten.
Einen Lageplan des Barackenlagers von 1944 ließ die Historikerin auf einen aktuellen Bebauungsplan des Geländes projizieren. Von der heutigen B1 und der Strobelallee aus konnte man die Baracken sehen.
Sie standen auf dem heutigen Messegelände, dort wo heute die Hallen II bis VIII stehen, auf einer Fläche von 17 Hektar – das sind ungefähr 25 Fußballfelder. Umringt war das Areal von doppelten Stacheldrahtzäunen.

Teilweise gab es keinen Strom oder Heizung in den Unterkünften, auch Sanitäranlagen gab es nur in unzureichendem Maß. Decken waren voll mit Ungeziefer, die Tuberkulosefälle häuften sich. Kurzum: die Zustände waren menschenunwürdig.
Ein Findling mahnt zur Erinnerung
An der Westfalenhalle erinnert heute lediglich ein Findling an dieses dunkle Kapitel und mahnt zur Erinnerung. Unweit der Brücke an der Lindemannstraße steht der Gedenkstein.

Mit ihrem Buch zum Thema will Regina Mentner einen weiteren Beitrag zur Erinnerung leisten: „Ich hoffe, dass die Zeit des Nationalsozialismus in Dortmund ein Stück weit aufgearbeitet und zur Kenntnis genommen wird.“
Anmerkung der Redaktion: Der Artikel ist ursprünglich am 27. Januar 2021 anlässlich des bundesweiten Gedenktags der Opfer des Nationalsozialismus erschienen. Wir haben ihn im Januar 2025 in leicht überarbeiteter Form erneut veröffentlicht.
Ein Datum, zwei Gedenktage: Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und des Holocaust
- Ihre Forschungsergebnisse hat Regina Mentner in einem Buch zusammengefasst, das unter dem Titel „Das Kriegsgefangenenlager Dortmund Westfalenhallen (Stalag VI D)“, 1939-1945 als dritter Band in der Schriftenreihe der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache Dortmund erschienen ist.
- Wie viele Menschen letztlich ihr Leben ließen, ist bis heute ungewiss. Regina Mentner schätzt, dass etwa 5000 bis 6000 gestorbene Kriegsgefangene auf Dortmunds Friedhöfen beigesetzt wurden.
- „Über das Schicksal der vielen Kriegsgefangenen liegen nur wenige schriftliche Zeugnisse vor“, schreibt sie in ihrem Buch.
- Auf einer Gedenktafel auf dem Dortmunder Hauptfriedhof wird allein von 5095 Sowjetbürgern gesprochen, die als Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene in Dortmund ihr Leben ließen.
Erinnerung an Holocaust-Opfer in Museum und BVB-Stadion
„Erinnerung an Nazi-Gräuel ist zugleich Nachdenken über die Zukunft“