
© Lukas Wittland
Rentner hortet kiloweise Sprengstoff und Waffen: Wer ist dieser Mann?
Waffen- und Sprengstoff-Funde
Waffen und hochexplosives Material hat die Polizei im September in Dortmund bei einem 68-Jährigen gefunden. Wer ist der Mann? Eine Annäherung und die Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft.
Die Explosionen sind in Lütgendortmund deutlich zu hören. Immer wieder knallt es in den Abendstunden. Es ist die Gefahr, die dort donnernd unschädlich gemacht wird. Stück für Stück. Abend für Abend. Jahrelang hat sie in der Volksgartenstraße in einem gelben Reihenhaus geschlummert. Ein Pulverfass direkt in der Nachbarschaft.
Am Morgen des 9. Septembers, eines Mittwochs, rollen die Einsatzfahrzeuge der Polizei in der Volksgartenstraße an. Ein Spezialeinsatzkommando (SEK) stürmt das Reihenhaus und nimmt den 68-jährigen Dortmunder fest, der im ersten Stock wohnt. Einsatzfahrzeuge der Polizei und der Feuerwehr sowie Lkw der Bundespolizei versperren die Straße.

Die Polizei sperrte die Straße während der Durchsuchung tagsüber immer wieder ab. © Helmut Kaczmarek
Eine Weltkriegs-Mine wird gefunden und mehrere Kilogramm des Sprengstoffs TNT. Außerdem Waffen und chemische Substanzen. Die Wohnung ist nicht groß, doch die Durchsuchung dauert zehn Tage. Seit dem 18. September ist sie abgeschlossen und hinterlässt Fragen. Warum hat jemand so etwas zu Hause? Was hatte der 68-Jährige damit vor? Das fragen sich auch die Anwohner der umliegenden Straßen. Gerüchte und Einschätzungen machen schnell die Runde.
Wer ist dieser Mann?
„Ich denke, das ist ein Reichsbürger“, sagt ein Mann mit kurz geschorenen Haaren, der am zweiten Tag des Einsatzes das Geschehen vom Kiosk aus betrachtet. „Das ist wohl einfach ein Spinner“, sagt eine Frau. In der Nachbarschaft habe es schon länger Gerüchte gegeben, dass der 68-Jährige Waffen verkaufe, sagt ein anderer.
Einer erzählt, sein Nachbar kenne den Mann schon seit seiner Jugend. Der sage, der 68-Jährige sei ein lieber, netter Kerl, der einfach einen Spleen für Waffen habe. Fragt man weiter, wird deutlich: Niemand kennt den Mann wirklich. Und wer es tut, will nicht mit Journalisten sprechen.

Spezialisten der Tatortgruppe Sprengstoff des Landeskriminalamtes NRW unterstützten die Dortmunder Polizei bei der Durchsuchung. © Lukas WIttland
Sie habe ihn schon mal gesehen und gegrüßt, sagt Anita Göller, die seit 19 Jahren in der Gegend wohnt, das sei es aber auch gewesen. Sie ist kurz stehengeblieben und unterbricht ihren Spaziergang mit ihrer Tochter und dem kleinen, braun-weißen Terrier.
„In der Nachbarschaft sind alle wütend. Man stelle sich mal vor, das wäre hochgegangen. Dann wären wir alle nicht mehr hier“, sagt Anita Göller. „Das ist ein mulmiges Gefühl“, ergänzt sie und blickt dabei erst auf ihre Tochter und dann auf das Haus, dessen kräftiger, gelber Anstrich auch in der Dämmerung noch leuchtet.
Zeitschriften über Waffen und Munition
Zwei Polizisten lehnen davor an der Motorhaube eines Einsatzwagens und unterhalten sich. Ab und zu kommen Leute vorbei und stellen ihnen Fragen. Ansonsten liegt eine Ruhe auf der Straße, die nur von der unruhig blinkenden Lichtleiste am Kiosk gestört wird. Sie wechselt unablässig ihre Farben und passt ebenso wenig ins Bild wie die drei Schiffscontainer, die auf dem Bürgersteig und in der Einfahrt des Hauses stehen.

Die Dortmunder Feuerwehr war mit einer ABC-Spezialeinheit vor Ort, die bei atomaren, biologischen und chemischen Gefahrenstoffen hinzugezogen wird. Die Spezialeinheit richtete einen Dekontaminationsplatz ein. © Lukas Wittland
Sie sind voll mit Gerümpel, das den Einsatzkräften bei der Durchsuchung im Weg steht. In der Wohnung zeigt sich ihnen offenbar ein chaotisches Bild. Deshalb, und weil die Wohnung voll sei mit Munition, können sich die Spezialisten nur vorsichtig fortbewegen. Eine der Einsatzkräfte beschreibt die Wohnung als „Messibude“.
Alles sei zugemüllt. Der 68-Jährige sammelte Schallplatten und alte VHS-Kassetten, Zeitschriften über Waffen und Munition fliegen herum. Das Haus sehe von außen besser aus als von innen, sagt die Person, die sich drinnen umsehen konnte.
Munitionskisten stehen herum
Von außen zeichnet sich die Gefahr nicht ab, die in der Wohnung hinter der Fassade lagerte. Es gibt Häuser, die sehen so aus, als könnte sich hinter der Tür etwas Zwielichtiges abspielen. Dieses Haus schreit geradezu nach Kleinbürgertum und Spießigkeit. „Man schaut den Menschen immer nur vor den Kopf“, sagt eine Frau, als man sie nach dem Mann fragt, der dort wohnt. Für Häuser gilt offenbar etwas Ähnliches.

Einsatzkräfte der Feuerwehr in Schutzanzügen: Die Spezialeinheiten der Feuerwehr wurden gerufen, weil in der Wohnung in der Volksgartenstraße auch chemische Substanzen gefunden worden waren. © Beate Dönnewald
Die eine Hälfte des Reihenhauses soll dem Mann einmal gehört haben. Er verkaufte sie, blieb aber im ersten Stock wohnen. Gefüllte Munitionskisten aus Metall stünden dort herum, sagt eine Einsatzkraft. Ebenso im Keller, der von einer großen Werkbank eingenommen wird. So groß, dass sich die Beamten fragen, wie diese dort hineingekommen ist.
Der Rentner könnte sie genutzt haben, um dort Munition zu öffnen und den Sprengstoff herauszunehmen und zu lagern, ist eine Vermutung, die aus dem Umfeld der Einsatzkräfte zu hören ist.
Kein Händler und kein Terrorist
Die Polizei ist auf den Mann aufmerksam geworden, weil sie einen Hinweis bekommen hat, dass er eine Waffe an eine andere Person übergeben haben soll. Die Staatsanwaltschaft gehe aktuell aber nicht davon aus, dass er mit den Waffen Handel betrieben habe, sagt der mit dem Fall betraute Staatsanwalt Jörg Schulte-Göbel.
Nach den bisherigen Ermittlungen zeige sich eher das Bild eines Waffensammlers. „Bislang sieht es nicht so aus, als habe der Mann etwas Schlimmes damit vorgehabt“, sagt der Staatsanwalt.
Man habe überprüft, ob der 68-Jährige Verbindungen in die rechtsextreme oder die Reichsbürgerszene habe, sagt Jörg Schulte-Göbel. Hinweise darauf habe man ebenfalls nicht finden können. Der Mann ist weiterhin frei. Gründe, die eine Untersuchungshaft rechtfertigen würden, wie etwa Verdunkelungs- oder Fluchtgefahr, lägen nicht vor, sagt der Staatsanwalt.
Da die Durchsuchung abgeschlossen ist, darf der Mann theoretisch zurück in seine Wohnung in der Volksgartenstraße.
Wie er an die Waffen herangekommen ist, dazu schweigt der 68-Jährige. Etwas kooperativer hatte er sich offenbar bei der Durchsuchung gezeigt und teilweise auf Verstecke hingewiesen. Wie viele Waffen insgesamt gefunden worden sind, teilt die Staatsanwaltschaft nicht mit.
Waffenversteck unter den Bodendielen
Die Ermittler hatten immer wieder betont, dass sie die Durchsuchung erst beenden könnten, wenn sie sich sicher sind, alles gefunden zu haben. „Wir schauen in alle Hohlräume, um zu sehen, ob da noch etwas verborgen ist“, sagte Polizeisprecher Sven Schönberg, als die Durchsuchung noch lief. Wand- und Deckenvertäfelungen wurden abgenommen.
Unter anderem unter den Dielen auf dem Dachboden findet die Polizei weitere Waffen und Munition. Das Haus in der Volksgartenstraße ist aber nicht der einzige Lager-Ort des 68-Jährigen. In der Werner Straße, gut einen Kilometer entfernt, hat er eine Lagerhalle in einem Hinterhof angemietet.

Aus dieser kleinen Lagerhalle räumte die Polizei am 9. September ebenfalls mehrere Kisten mit Munition heraus. © Lukas Wittland
Am Morgen des 9. September fährt auch hier die Polizei mit einem großen Lkw vor. Beamte durchsuchen die Lagerhalle, sie haben einen Spürhund dabei. Gino Schlifske gehört das Fahrradgeschäft vorne an der Straße. Kistenweise hätten die Polizisten Munition an dem Tag aus der Halle gebracht, erzählt er. Bis in den Nachmittag seien sie da gewesen.
Der 68-Jährige aus der Volksgartenstraße und ein anderer älterer Herr hätten häufig in der Halle gearbeitet, erzählt Gino Schlifske. Gut habe er sie nicht gekannt. „Ich habe nicht viel mit ihnen gesprochen. Man hat sich freundlich Hallo gesagt, das war es aber auch“, sagt der 40-Jährige. Er wisse aber, dass die beiden Oldtimer-Liebhaber seien. „Die haben hier immer an Autos geschraubt.“
Waffennarr und Autonarr
Das Tor der angemieteten Halle ist einen Tag nach der Durchsuchung geschlossen, aus der Nachbarhalle kann man aber zwischen dem Bauzaun hindurchsehen. Zwei Auto-Karosserien stehen darin. An der Wand hängt ein Banner vom „1. Original Golf 1 IG e.V.“ und eines, auf dem die Formel-1-Weltmeistertitel Michael Schumachers von 1994 und 1995 gefeiert werden. Ansonsten stehen einige Kisten und Fässer herum. Werkzeug hängt ordentlich sortiert an der Rückwand.

Mit einem Bekannten hat der 68-Jährige in dieser Werkstatt an der Werner Straße häufig an Autos geschraubt. © Lukas Wittland
Wir sind zurück in der Volksgartenstraße. „Er ist ein Hobby-Schrauber“, sagt Jens Gottschalk. Der 55-Jährige wohnt schräg gegenüber von dem Haus, in dem so viel Explosives lagerte. Der 68-Jährige habe häufiger einen Blaumann getragen. Zweimal sprach Gottschalk mit ihm über Autos, weil er selbst ein älteres dort stehen hatte. „Er wollte zeigen, dass er Ahnung davon hat“, sei sein Eindruck gewesen.
Aber irgendwann sagt auch Gottschalk: „Eigentlich kannte ich den Mann nicht.“ Er habe auf ihn ruhig gewirkt und einen zurückhaltenden, verschlossenen Eindruck gemacht. Etwas Privates habe der 68-Jährige nicht erzählt. Von den Nachbarn habe er aber gehört, dass er sich von seiner Frau getrennt und dass es vor 20 Jahren schon mal eine Durchsuchung bei ihm gegeben habe.
Es wird viel geredet unter Nachbarn. Was vorher bekannt war und was nachher dazu gedichtet wird, weil es ins Bild passt, ist irgendwann nicht mehr aufzuschlüsseln. Es hat aber offenbar Leute gegeben, die schon vor der Durchsuchung Anfang September geahnt haben, dass dort in dem gelben Haus eine Gefahr schlummern könnte.
Der Mann wurde schon einmal verurteilt
Die „Bild“-Zeitung hatte ebenfalls über die von Jens Gottschalk erwähnte Durchsuchung berichtet. Im Mai 2000 fanden Beamte Handgranaten bei dem heute 68-Jährigen. In einem späteren Prozess verurteilte das Amtsgericht in Dortmund den Mann zu einer Bewährungsstrafe von 18 Monaten wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz.
Diesem Vorwurf wird sich der 68-Jährige wohl erneut vor Gericht stellen müssen. Nach der Durchsuchung müssen die Ermittler nun bewerten, welche Gefahr von den Funden ausging.
Zu beantworten ist auch noch die Frage nach den chemischen Substanzen, die in kleinen Gefäßen in der Wohnung gefunden worden sind. Man werde sich erst dazu äußern, wenn man sich sicher sei, wofür diese verwendet werden können, sagt Staatsanwalt Jörg Schulte-Göbel. „Sie könnten eventuell auch zum Korrosionsschutz oder zur Reinigung der Waffen genutzt worden sein.“
Der Mann hatte viel angesammelt, was er damit hätte reinigen können, in diesem Pulverfass, in dem er gelebt hat. In diesem Pulverfass, neben dem Menschen gelebt haben. Ein Pulverfass, in das zum Glück nie ein Funke geflogen ist.
Als gebürtiger Dortmunder bin ich großer Fan der ehrlich-direkten Ruhrpott-Mentalität. Nach journalistischen Ausflügen nach München und Berlin seit 2021 Redakteur in der Dortmunder Stadtredaktion.
