Zuletzt sind in Deutschland ein paar politische Selbstverständlichkeiten ins Wanken gekommen: etwa, dass die demokratischen Parteien nicht mit der AfD zusammenarbeiten. Oder dass sich nach der Wahl schon eine Koalition finden wird, die eine Mehrheit im Bundestag hat.
Eine solche Selbstverständlichkeit war bisher auch, dass die Dortmunder Direktmandate für den Bundestag fest in der Hand der SPD sind. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik gewann ein Kandidat einer anderen Partei einen Wahlkreis in Dortmund. Kein einziges Mal in 76 Jahren, in 20 Bundestagswahlen. Ist nun auch dieses politische Naturgesetz nicht mehr unumstößlich?
Sarah Beckhoff zumindest glaubt fest daran: Die Chance, dass die CDU ein Direktmandat in Dortmund gewinne, „war noch nie so groß wie jetzt“, sagte die CDU-Bundestagskandidatin für den Wahlkreis „Dortmund I“ vor einigen Wochen.
Was Christdemokraten wie Beckhoff Mut macht, sind die bundesweiten Umfragen für die Bundestagswahl. Diese sehen die CDU aktuell meist doppelt so stark wie die SPD (etwa 30 Prozent zu 15 Prozent). Doch wie ist das Kräfteverhältnis beim Rennen um die Direktmandate auf der Ebene der Dortmunder Wahlkreise?
Gleich mehrere Internet-Portale bieten dazu Prognosen an. Wir stellen sie vor, konzentrieren uns dabei aber auf das Duell zwischen SPD und CDU, da keine der Prognosen Kandidaten anderer Parteien ernsthafte Chancen auf ein Direktmandat vorhersagt.
Election.de: „Das Rennen ist vergleichsweise offen“
Das Prognoseportal „Election.de“ rühmt sich damit, bei der letzten Bundestagswahl 2021 für 250 der 299 Wahlkreise den richtigen Sieger vorhergesagt zu haben - auch in Dortmund. Dort war „Election.de“ im Vorfeld sogar ziemlich nah dran am tatsächlichen Vorsprung der beiden späteren SPD-Gewinner Jens Peick (Wahlkreis „Dortmund I“) und Sabine Poschmann („Dortmund II“).
Bei Peick sagte das Portal einen Vorsprung von 15 Prozentpunkten zum Zweitplazierten voraus, am Ende waren es 14 Prozentpunkte. Nur geringfügig ungenauer war „Election.de“ beim Ergebnis von Poschmann (19 Prozentpunkte Vorsprung bei der tatsächlichen Wahl, 21 Prozentpunkte in der Prognose).
Auch bei der anstehenden Wahl sagt „Election.de“ für beide Dortmunder Wahlkreise einen SPD-Sieg voraus: Peick wird eine Gewinnwahrscheinlichkeit von 63 Prozent attestiert, Poschmann sogar eine Gewinnchance von 87 Prozent.
Doch so eindeutig, wie sie auf den ersten Blick aussehen, seien die Zahlen nicht, schränkt der Informatiker Matthias Moehl ein, der „Election.de“ betreibt: „Auch wenn die SPD-Kandidaten deutliche Favoriten sind, ist das Rennen vergleichsweise offen.“
Das liegt an der Art und Weise, wie die Prognose zustande kommt. Moehl zufolge basiert sein Modell zu großen Teilen auf historischen Wahlergebnissen und aktuellen bundes- und landesweiten Umfragen, die auf die lokale Ebene heruntergerechnet werden. Würden sich bei letzteren die Stimmanteile nur um wenige Prozentpunkte ändern, hätte das große Auswirkungen auf die Prognose.
Als Beispiel nennt Moehl die Zahlen von Ende November: Dort lag zwar die SPD in Umfragen etwa bei den heutigen Werten, die CDU aber bei rund 34 Prozent. Poschmanns Gewinnwahrscheinlichkeit betrug damals nur 65 Prozent, während im Wahlkreis „Dortmund I“ plötzlich Peicks CDU-Konkurrentin Sarah Beckhoff mit 66 Prozent vorne lag.
„Wenn der Abstand zwischen SPD und CDU in den bundesweiten Umfragen auf 20 Prozentpunkte steigt, würden wir die CDU vorne sehen“, sagt Moehl.
„Zweitstimme.org“: Klarer Sieg für die SPD
Auf „Zweitstimme.org“ veröffentlichen die Universitäten Witten/Herdecke und Mannheim zusammen mit der Hertie School Berlin trotz des Portal-Namens auch Prognosen zu den Erststimmen für die einzelnen Wahlkreise. In dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt versuchen Politik- und Datenwissenschaftler, die Ergebnisse der Bundestagswahl möglichst genau vorherzusagen.
Für die Dortmunder Wahlkreise fällt ihr Urteil eindeutig aus: Auch nach der Wahl am 23. Februar werden Dortmunds Direktmandate bei der SPD liegen. Für „Dortmund I“ sagen die Wissenschaftler zu 75 Prozent einen Sieg von Jens Peick voraus, für „Dortmund II“ mit 85-prozentiger Wahrscheinlichkeit einen von Sabine Poschmann.

Für ihre Prognosen haben die Forscher - ähnlich wie „Election.de“ - historische Wahlergebnisse und aktuelle Umfragen in ihr Modell einfließen lassen. Dazu gibt es unter anderem verschiedene Boni für vorherige Kandidaturen, ebenso für vergangene Wahlsiege.
Auch wenn die Unsicherheiten auf Wahlkreisebene viel größer seien als bei bundesweiten Prognosen, meint Professor Thomas Gschwend von der Uni Mannheim, sei das Modell in der Vergangenheit sehr gut gewesen bei der Frage, wer den Wahlkreis gewinnt, „wenn auch besonders knappe Wahlkreise immer schwierig sind“.
YouGov: Dortmund I gehört zu den umkämpftesten Wahlkreisen Deutschlands
Ist das Rennen also schon vorbei? Auf keinen Fall, meint das Meinungsforschungsinstitut „YouGov“. Es zählt „Dortmund I“ zu den umkämpftesten Wahlkreisen in ganz Deutschland. Ihm zufolge führt dort Peick mit nur einem Prozentpunkt vor Beckhoff (26 zu 25 Prozent) - lediglich in sechs Wahlkreisen deutschlandweit sei das Rennen aktuell noch knapper.
Für „Dortmund II“ prognostiziert „YouGov“ aktuell zwar einen Vorsprung für Poschmann von 5 Prozentpunkten vor ihrem CDU-Herausforderer, dem Hörder Bezirksbürgermeister Michael Depenbrock (29 zu 24 Prozent). Doch auch diesen Wahlkreis führen die Meinungsforscher noch unter der Kategorie „Unentschieden“.
Als Datengrundlage für seine Prognose für alle 299 Wahlkreise gibt „YouGov“ eine Befragung von etwas über 9.300 Teilnehmern deutschlandweit an - rechnerisch sind das rund 30 Menschen pro Wahlkreis.
Insa: Peick liegt hinter Beckhoff
Auch beim Meinungsforschungsinstitut Insa glaubt man an ein knappes Rennen in Dortmund. Während man im Wahlkreis „Dortmund II“ ebenfalls Poschmann leicht vor Depenbrock sieht, hat in „Dortmund I“ Beckhoff die Nase vor Peick. In beiden Wahlkreisen liegen in den Insa-Berechnungen weniger als drei Prozentpunkte zwischen den Kontrahenten.
Dabei stellt die aktuelle Prognose schon eine Verbesserung für die SPD dar: In den Wochen davor lag die CDU laut Insa mehrfach auch in „Dortmund II“ knapp in Führung, während ihr Vorsprung in „Dortmund I“ sogar größer als drei Prozentpunkte gewesen sei.
Bei seiner Wahlkreiskarte rechnet Insa seine bundesweite Umfrage auf die Wahlkreisebene um.
Fazit: Poschmann sicherer als Peick
Was bei der Durchsicht aller Prognosen auffällt: Immer ist das Rennen zwischen Jens Peick und Sarah Beckhoff im Wahlkreis „Dortmund I“ enger als jenes zwischen Sabine Poschmann und Michael Depenbrock in „Dortmund II“. Für „Election.de“-Macher Matthias Moehl ist das nicht überraschend. „Die SPD ist historisch in ‚Dortmund II‘ immer etwas stärker als in ‚Dortmund I‘.“
Ein Unterschied zur Bundestagswahl 2021 dürfte jedoch Jens Peick Hoffnung machen. Damals, bei seiner ersten Kandidatur für den Bundestag, trat Peicks aus der SPD ausgetretener Vorgänger Marco Bülow für die Satirepartei „Die Partei“ gegen ihn an und holte für die Partei überdurchschnittliche 8,6 Prozent der Erststimmen, vornehmlich aus dem Lager der SPD- und Grünen-Wähler.
Dieses Jahr gibt es diesen Sondereffekt nicht mehr. „Herr Peick kann sich über rund zwei Prozentpunkte freuen, die wieder zu ihm zurückkommen“, sagt Moehl voraus.
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