Ein Bild vom 24. August 1945. Bergarbeiter aus dem Ruhrgebiet stehen für eine Sonderration Kartoffeln an. 75 Jahre später sorgt die Corona-Pandemie zum ersten Mal seit dieser Zeit wieder dafür, dass die Menschen in Deutschland nicht zu jeder Zeit das bekommen können, was sie möchten. © picture alliance / dpa
Coronavirus
Weltkriegs-Zeitzeuge zu Corona: „Was jetzt geschieht, hat keiner von uns je erlebt“
Es sind eindrückliche Worte eines Dortmunders, der als Kind den Zweiten Weltkrieg und die Bomben erlebt hat. Selbst für ihn ist die Corona-Pandemie etwas nie Dagewesenes.
von Michael Nickel
Hombruch
, 19.03.2020 / Lesedauer: 3 minDer Mann, der hier schreibt, ist vor Beginn des Zweiten Weltkrieges zur Welt gekommen. Sein Leben hat er in Dortmund verbracht, zu großen Teilen im Süden der Stadt.
Hier schreibt er in eindrücklichen Worten, was heute in Zeiten von Corona anders ist als zu der Zeit, in der Bomben auf die Stadt regneten. Und er schreibt, was uns bevorsteht, wenn wir unser Verhalten nicht ändern.
Der Mann möchte hier anonym bleiben – wegen „dieser furchtbaren Situation, mit der ich selbst fertig werden muss“.
Das sind seine Worte:
„Als Kind habe ich die letzten furchtbaren Bombenangriffe im Keller oder Bunker erlebt. Oma schrie im Keller bei den Angriffen immer laut das Gebet: ‚Maria hilf, es geht zum End der Zeiten...‘. Man glaubte tatsächlich, es drohe das Ende der Welt.
Es war für mich eine furchtbare Zeit, die ich nie vergesse. Heute werden derart Betroffene therapiert, um schlimme Spätfolgen zu verhindern.
Die damalige Angst und Not ließ Menschen eng zusammenrücken. Das braucht ein Mensch gerade dann.
Nach Kriegsende kam die Hungersnot.
Der Hunger trieb die Menschen auf die Felder
Man suchte Getreidereste oder Kartoffeln von den abgeernteten Feldern auf, ‚Stoppeln‘ nannte man das. Hamstern kam dazu. Die Eltern fuhren mit dem Fahrrad bis zu Verwandten nach Rheda, um dort ein paar Kartoffeln die 80 Kilometer auf der leeren Autobahn nach Hörde zu holen. Leere Regale kannten die meisten Dortmunder nur aus der Nachkriegszeit oder aus Dokumentationen über die DDR. Während der Corona-Pandemie spielen die Menschen beim Einkaufen verrückt, schreibt der Dortmunder Zeitzeuge in seiner Mail an die Redaktion.
© picture alliance / dpa
Im Hausgarten wurde jedes Fleckchen zum Gemüseanbau genutzt. Wir hatten auch ein Stück Grabeland in Benninghofen. Da wurde alles geklaut. Wir hatten Karnickel im Stall am Haus. So gab es gelegentlich ein Stückchen Fleisch, geteilt durch 5 Personen.
Zur Versorgung wurden Marken ausgegeben, auf denen alles grammweise zugeteilt wurde. Dadurch ging es mit der Versorgung halbwegs gerecht zu.
Wenn die Menschen weiter beim Einkauf so verrückt spielen, wird man um eine derartige Regelung nicht mehr herum kommen.
Ich mit meinen mehr als 80 Jahren kann nicht zu jedem Supermarkt rasen, wo es gerade Mehl oder Klopapier für ein paar Minuten gibt. Die Situation beunruhigt!
Die RAF-Zeit war auch furchterregend. Man fühlte sich unsicher. In Löttringhausen wurde ein Polizist von denen erschossen. Die Gefahr war hautnah, auch unberechenbar, aber anders.
Was jetzt geschieht, hat keiner von uns in ähnlicher Weise je erlebt!
Viele haben den Ernst der Lage noch immer nicht erkannt. Das ‚Hamstern‘ kommt nicht von ungefähr.
Ohne Ausgehverbote wird man das nicht in den Griff kriegen
Unser Land ist nicht mehr wie früher in der Lage, die Versorgung der Menschen unabhängig zu meistern. Unsere Zulieferer sind in der ganzen Welt verteilt. Das macht schon nachdenklich. Das sollte auch zum Umdenken Anlass geben. In der jetzigen Situation hilft das nicht mehr.
Ohne Ausgehverbote wird man das Virus nicht in den Griff bekommen.
Die vielen Stätten, an denen man gemeinsam seine Sorgen loswerden könnte, sind geschlossen. In Kriegs- und Notzeiten suchten Menschen Trost in Kirchen und Religionsgemeinschaften. Dieser ‚Seelentrost‘ ist ausgebremst.
Man rückte damals eng zusammen. Das braucht der Mensch von Natur aus. Jetzt darf er es nicht mehr.
Wie gesagt, die jetzige Situation hat noch niemand erlebt und niemand kann sich vorstellen, welche Formen die noch annehmen wird. Ein Lichtblick ist, wie versucht wird, die Versorgungssituation für Ältere und Kranke zu entschärfen, indem sich Freiwillige für Einkäufe anbieten!
‚Wir halten zusammen‘ ist eine großartige menschliche Aktion.“
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