Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette (65) verhaftet Was hat sie mit dem Mord an Karsten Rohwedder zu tun?

Was hat Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette (65) mit dem Mord an Karsten Rohwedder zu tun?
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Ihre Haarfarbe hat sich verändert. Auf dem ersten Fahndungsbild aus den 1980er Jahren war Daniela Klette 30. Sie trug Rot. Heute, mit 65, sind ihre Haare angegraut. Drei Jahrzehnte lang haben Fahnder nach der Linksterroristin gesucht, die sich zuletzt Claudia Ivone nannte und mit italienischem Pass reiste. Montag gelang der Zugriff in der Sebastianstraße in Berlin.

„Schwere Kriegswaffen“ sollen in der Wohnung gefunden worden sein. Ihre Komplizen Staub und Garweg, mit denen zusammen sie mindestens sechs Geldraube und Banküberfälle in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen begangen haben soll, bleiben verschwunden. Klettes Verhaftung ist zwar ein großer Erfolg der Ermittlungsbehörden. Aber der ganz große könnte noch kommen. Voraussetzung: Die Frau redet.

Ermittler verlassen das Wohnhaus der früheren RAF-Terroristin Daniela Klette in Berlin mit Tüten und Kartons mit sichergestellten Gegenständen
Ermittler verlassen das Wohnhaus der früheren RAF-Terroristin Daniela Klette in Berlin mit Tüten und Kartons mit sichergestellten Gegenständen. © dpa

Wattenscheid, am Tag nach Weihnachten 2006. Maskierte überfallen einen Supermarkt, als eine Angestellte gerade im Tresorraum das Geld zählt. Mit der geraubten Summe verschwinden sie in einem roten VW Passat. Genau zehn Jahre später wird 2016 durch neue Techniken klar: Die in dem Bochumer Stadtteil hinterlassene DNA ist Ernst Volker Staub, Burkhard Garweg und Daniela Klette zuzuordnen. Die Erkenntnis: RAF-Täter wollen sich offenbar Rente beschaffen. Es war der erste Schritt zur Enttarnung der Kreuzberger Wohnungsmieterin.

Die Blutspur der RAF

Bonn, Köln, Düsseldorf, Dortmund – die Blutspur der RAF zieht sich durch ganz NRW. In Nordrhein-Westfalen liegen mit Duisburg, Bochum und Löhne wohl auch Tatorte der Überfälle seit 1999. Ein Schwerpunkt-Schauplatz könnte zudem Bielefeld sein. Hier soll das Trio die Mehrzahl der Autos, die es zur Tatausführung genutzt hat, angemietet haben. Haben sie von hier aus öfter operiert, Millionen geraubt, dabei Menschen verletzt? Die Staatsanwaltschaft in Verden sagt dazu noch nichts.

Doch nicht alleine das niedersächsische Landeskriminalamt, das die Fahndung geführt hat, wird darauf aus sein, Daniela Klette neugierige Fragen zu stellen. Sie werden sich wohl auch nicht nur auf die Raubdelikte beschränken. Beamte bis hin zur Bundesanwaltschaft, wo es noch einen Haftbefehl gegen die Frau gibt, dürften den Vernehmungen lauschen wollen. Denn vor dem Räuberdasein hat die geborene Karlsruherin das Leben einer Terroristin im Untergrund geführt, laut Ausschreibung als Mitglied der Rote Armee Fraktion RAF. Gefasste RAFler aber haben viel Wissen im Kopf. So wird zur Kernfrage: Was weiß die Verdächtige über die Zeit, in der man der „dritten Generation“ der linken Terroreinheit zwischen 1984 und 1991 den Mord an acht oder zehn Menschen anlastete und Daniela Klette dazu gehörte?

Was weiß Daniela Klette?

Vieles ist inzwischen zu hinterfragen in der Erzählung über den linken Terror der 1970er, 80er und 90er Jahre. Vorgänge, die nicht aufgeklärt sind und über die Klette Bescheid wissen könnte, könnten auch Dortmund berühren. Sie haben hier Aufsehen erregt. Am 24. September 1978 erschoss der Mülheimer Werner Lotze nach eigenem späterem Geständnis den Polizeibeamten Hans-Wilhelm Hansen im Wald in Löttringhausen. Hansens Polizeistreife hatte eine Terroristengruppe bei Schießübungen gestellt. Lotze gehörte dazu. Er konnte nach dem Todesschuss fliehen und tauchte in die DDR ab, wo er mit neun weiteren Komplizinnen und Komplizen „Asyl“ fand. Heute stellt sich die Frage: Hat er, weiter im Süden der Republik, einen zweiten Mord begangen?

Neuere Dokumente der Stasi-Unterlagenbehörde lassen Spekulationen zu, wonach Werner Lotze im Zeitraum von 1984 bis zur Einheit und seiner Festnahme in der DDR 1990 von Ostdeutschland mehrfach ins Bundesgebiet eingereist ist. Ausgerechnet zu der Zeit, in der die „dritte Generation“ der RAF wütete. Das geht aus Papieren des Bundesarchivs hervor. Die Stasi hatte das westdeutsche Polizeisystem Inpol abgreifen können mit einschlägigen Grenzübergangsdaten und diese zeitgleich notiert. Also: War Lotze am 1. Februar 1985 im bayerischen Gauting, als dort ein Terrorist mit auffälligem Leberfleck im Gesicht laut Zeugen den MTU-Manager Ernst Zimmermann tötete? Lotze hat so ein auffälliges Mal gehabt. 1990 beschäftigte sich der Bundestagsinnenausschuss mit dem Gautinger Fall. Die Süddeutsche Zeitung schrieb damals: „Eindeutig“ sprächen die Indizien im Mordfall Zimmermann gegen Lotze. Und: „Wenn Lotze in der DDR gelebt hat, dann hat er mit Wissen und Billigung des Staatssicherheitsdienstes, vielleicht sogar mit dessen Unterstützung Terrortaten in der Bundesrepublik verübt“.

Auch das Aktenzeichen Bjs 62/91-2 der Bundesanwaltschaft führt in die Region. Lange in Dortmund arbeitete Detlev Karsten Rohwedder. Hier war er über ein Jahrzehnt lang Chef von Hoesch. Nach der Wiedervereinigung wechselte er an die Spitze der Treuhand, die das Staatseigentum der DDR privatisieren sollte. Der Manager verbrachte die Wochenenden in seinem Haus in Düsseldorf, wo ihn unbekannte Täter am Abend des 1. April 1991 durch das Fenster erschossen. Die Tatumstände in diesem Fall führen unmittelbar zu Daniela Klette. Nicht nur, dass eine auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Rohwedder-Hauses aufgefundene Zigarettenkippe bisher nicht zugeordnet werden kann. Auch die Waffe, mit der Rohwedder umgebracht wurde, war zwei Monate vorher bei einem Überfall auf die US-Botschaft in Bonn genutzt worden. 60 Schüsse wurden da aus ihr abgefeuert. Niemand wurde verletzt. Doch in dem in diesem Zusammenhang sichergestellten Fahrzeug auf der rechten Bonner Rheinseite wurde ein Haar Klettes gefunden.

Sie war aber wohl nicht nur beim Botschafts-Überfall dabei und zuvor beim Bombenanschlag auf das halbfertige Gefängnis Weiterstadt. Fingerabdrücke und DNA belegen auch Treffen mit anderen Terror-Komplizen: Mit Birgit Hogefeld, die 1993 in Bad Kleinen festgenommen wurde, und bei einer Absprache mit mehreren Tätern im französischen Metz im Oktober 1991.

Wird sie – gegen Strafnachlass – über all das aussagen? Der frühere Bundesanwalt Klaus Pflieger, der auch Lotze nach dem Dortmunder Mord vernommen hatte, bezweifelt, dass Klette die Kronzeugenregelung in Anspruch nehmen wird, um Namen zu nennen. „Die Tradition der RAF zeigt, dass die Leute zu 99 Prozent versucht haben, das Schweigegebot einzuhalten“, sagt der Terrorexperte. Dennoch sollte der Staat die festgeschriebene Kronzeugenregelung weiter offensiv anbieten, damit die früheren Terroristen ihre Geheimnisse offenbaren. „Es muss uns wichtig sein, die bislang offenen Fragen zu den Attentaten und Opfern zu beantworten“, findet Pflieger. „Wenn wir kein Zugeständnis machen, werden wir die historische Wahrheit vielleicht nie erfahren.“

Fahndung nach Ex-RAF-Trio
Das Handout des LKA Niedersachsen zeigt die zweite Seite eines Fahndungsaufrufs von Juni 2019, mit dem die Polizei nach einem Ex-RAF-Trio sucht. (Archiv) © dpa

Die dritte Generation der RAF: Ein Mythos?

Die Wahrheit über die RAF-Zeiten zu erfahren, würde Sinn ergeben. Denn die fiebernde gewaltsame Auseinandersetzung zwischen Staat und „Baader-Meinhof“ zwischen 1970 und 1991 hat 62 Todesopfer gefordert. Unschuldige und Schuldige. Politiker. Wirtschaftsmagnaten. Die Leibwächter, schlecht bezahlte Polizisten. Die Terroristen selbst. Der Sachschaden, den dieser „Krieg“ forderte, wird auf 250 Millionen Euro geschätzt. Elf Millionen Seiten umfassen die Ermittlungsakten. Doch je später die Taten zeitlich liegen, desto dünner die zugehörigen Aktenbündel. Die sogenannte „dritte Generation“ ist bisher weitgehend unbekannt geblieben. Kaum Täter sind bekannt, keiner konnte direkt für einen geplanten Mord verantwortlich gemacht werden. „Wir stecken in der Sackgasse“, hat der über viele Jahre für die Fahndung zuständige Bundesanwalt Rainer Griesbaum gesagt.

Erst in jüngster Zeit, 2022, ist das Buch eines ehemaligen Abteilungsleiters des Bundesamtes für Verfassungsschutz erschienen, der dort verantwortlich in die Bekämpfung des RAF-Terrors eingebunden war. Lothar Dahlke verstarb 2019, hatte das Manuskript aber zuvor mit dem Co-Autor Wilhelm Dietl erarbeitet. In „Deckname L.“ aus dem Memoir Verlag stellt Dahlke eine spannende These auf: „Eine dritte Generation der RAF hat nie existiert und ist vor allen Dingen nicht verantwortlich für die Morde der 1980er und 1990er Jahre, auch wenn diese unter dem Label RAF durchgeführt wurden“. Wer dann?

Die RAF hat nach seiner Einschätzung eigenständige Terrortaten schon beendet, als ihre Führer der „zweiten Generation“, Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar, Anfang der 1980er Jahren festgenommen worden waren. Danach sei der Weg frei gewesen für die Morde einer ganz anderen und bisher kaum zur Kenntnis genommenen autonomen Gruppierung aus dem linken Spektrum, die teilweise als „Feierabend-Terroristen“ gearbeitet und auch Aufträge erledigt hätte. Übriggebliebene RAF-Mitglieder durften weiter mitmachen. Im Bundesamt für Verfassungsschutz firmierte das ganze als „Anti-imperialistischer Widerstand“(AIW).

Dahlke nennt im Buch Ernst-Volker Staub, Burkhard Garweg und Daniela Klette, die dazu gehörten. Sie seien nach seiner Einschätzung Anfang 1990 „Hardcore-Militante aus dem AIW“ gewesen und zu Kadern gehörig, „die zum Teil eine militärische Ausbildung im Libanon“ erhalten hätten. Würde das die Kriegswaffen aus der Kreuzberger Wohnung erklären?

Die Struktur des AIW sei internationaler angelegt gewesen, Gruppen aus dem Nahen Osten und Geheimdienste hätten enger mitgemischt. So auch die DDR-Staatssicherheit. Bekennerschreiben wären dagegen weiter unter dem Signet „RAF“ gelaufen, wenn auch mit manchmal verändertem politischen Grundtenor. Den Mord am Hoesch- und Treuhandmanager Rohwedder will Verfassungsschützer Dahlke jedoch nicht dem AIW zuordnen. Es könne sich „um eine völlig eigenständige Auftragsarbeit unter dem Label RAF“ handeln. Wer den Auftrag erteilte, hat er auch nicht gewusst. An der so viel Aufsehen erregenden Terrorwelle zum Ende des letzten Jahrhunderts werden wohl immer Vorgänge geheimnisvoll bleiben.

Raubstraftaten von Ex-RAF-Terroristin Klette nicht verjährt