
© Verena Hasken
Warum Dortmund keine Ruhrgebietsstadt ist
Kolumne: Klare Kante
2020 wählen wir erstmals ein Ruhrparlament. Dabei ist Dortmund stärker nach Westfalen orientiert als nach Bochum oder Essen. Unser Autor meint: Das Ruhrgebiet ist eine zerrissene Landschaft.
Dass die Dortmunder Straßenbahn (Normalspur) nicht auch auf Bogestra-Gleisen (Meterspur) fahren kann, die Essen/Mülheimer (Meterspur) nicht in Duisburg (Normalspur), dass aber Duisburger Tram-Triebwagen auf der Düsseldorfer Normalspur rollen? Historisch bedingt.
Dass in Dortmund, Essen und Bochum gleich drei Konzerthaus-Neubauten, nur um wenige Jahre zeit- und wenige Kilometer raumversetzt, entstanden? Es ist ein Stück kommunal-kultureller Autonomie. Dass die Grundsteuer in Bochum bei 645 Prozent und hier bei 610 Prozent liegt und in Essen noch deutlich niedriger? Niemand zieht deswegen von BO über DO nach E.
Das Ruhrgebiet weist eine ungewöhnliche Vielfalt auf - nicht nur bei der ethnischen Herkunft und religiösen Ausrichtung seiner Bewohner mit Abstammungen aus 170 Nationen und mit rund 100 Glaubensrichtungen.
Bringt das Ruhrparlarment das Revier wirklich zusammen?
Zwischen Ruhr, Emscher und Lippe ist, über den gemeinsamen Nenner Kohlebergbau zusammengewürfelt, in zwei Jahrhunderten ein bunter Laden entstanden, in dem politische Eifersucht Alltag ist (vor allem, wenn es um den Bau von Einkaufszentren geht) und Bürgermeister Krach machen, wenn der Ast vom Nachbarn weit rüberhängt. Von Eintracht ist wenig übrig.
Damit, entschied der nordrhein-westfälische Gesetzgeber 2015, muss Schluss sein. Mit der Kommunalwahl im Herbst 2020 werden rund 460.000 wahlberechtigte Dortmunder nicht nur den Stadtrat und die zwölf Bezirksvertretungen neu bestimmen. Mit zu wählen sind auch die Mitglieder eines 91 Köpfe starken Ruhrparlaments. Das Ziel: Das Revier soll weiter zusammenwachsen. Es soll arbeitsteiliger werden. Das alles soll auf der Grundlage demokratischer Entscheidungen passieren.
Neben Europaparlament, Bundestag, Landtag und kommunalen Gremien jetzt also ein Ruhrparlament. Brauchen wir das?
Viele Dortmunder fühlen sich nicht als Pottler
Um die eine Frage zu beantworten, müssen wir andere stellen. Geografische: Wo beginnt das Ruhrgebiet, wo sind seine Grenzen? Pragmatische: Welche nützlichen Gemeinschaftsaufgaben haben die Städte bereits und welche fehlen, die nötig wären, damit das Leben in der Region lebenswerter und wirtschaftlich erfolgreicher gestaltet werden könnte? Auch emotionale: Gibt es eigentlich ein gemeinsames Ruhrgebiets-Gefühl? Ist Dortmund überhaupt eine Ruhrgebietsstadt?

Für unseren Autoren Dietmar Seher gehört Dortmund eher zu Westfalen als zum Ruhrgebiet. © Dietmar Seher
Viele Dortmunder empfinden weniger bindende Elemente als vermutet. Das hat mit der geografischen Lage am östlichen Rand zu tun, so wie Duisburg am westlichen Rand niederrheinisch ausgerichtet ist. Der Chef der Dortmunder Wirtschaftsförderung hat einmal ein viel kritisiertes, aber offenes Wort gesprochen. „Obgleich wir öffentlich immer gerne zum Bestandteil des niedergehenden Ruhrgebiets gemacht werden, sind wir in Wirklichkeit ein Motor der westfälischen Boomregion.“
Die Stadt hat mehr Verbindungen Richtung Westfalen
Das verstieß gegen die Sprachregelung im Revier. Doch objektive Daten geben Thomas Westphal Recht. Die Dortmunder haben mehr mit Münster- und Sauerland zu tun und dem Westfalen, das sich östlich bis Hamm anschließt, als mit Essen oder Gelsenkirchen, Bottrop oder Oberhausen. Ein Maßstab sind die Pendlerströme.
Der Blick in die letzte Pendlerstatistik von IT NRW für Dortmund mit den Werten von 2016 verrät: Knapp 126.000 Pendler von auswärts kommen jeden Tag, um in Dortmund zu arbeiten. Aus Bochum sind es 10.230, aus Essen 4443. Aus dem Kreis Recklinghausen aber schon 15.349, aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis 9310, aus dem Märkischen Kreis 4414 - und ungeschlagene 33.900 aus dem Kreis Unna.
Mehr Pendler kommen nach Dortmund
Da die Stadt ein attraktiver Standort für Jobs ist, gibt es weniger Auspendler als Einpendler. Aber Dortmunder, die auswärts arbeiten, verteilen sich ähnlich auf die umliegenden Regionen. Immerhin zieht es von den 97.856, die anderswo den Arbeitsplatz haben, 18.051 in die Städte und Gemeinden des Kreises Unna, wobei das nahe Lünen sicher ein bevorzugtes Ziel darstellt.
Nur Bochum, laut Herbert Grönemeyer unbestritten eine Ruhrgebietsstadt, wo die Sonne tief im Westen verstaubt, ist wegen seiner Nähe mit 10.502 Einpendlern aus Dortmund mit weitem Abstand hinter Unna auf Platz 2 vor dem Ennepe-Ruhr-Kreis (Platz 3) mit 7165.
Unterm Strich: Die überwiegende Mehrheit der Dortmunder Ein- und Auspendler kommt aus Städten oder fährt in Gebiete, die eher nicht zum klassischen Revier zählen.
Auch Fußball und Einkaufen zeigen: Wir sind eher Westfalen
Einen ähnlichen Trend bestätigen auch Einwohner, die sich außerhalb der Stadtgrenzen ein neues Zuhause suchen (müssen) – zum Beispiel, weil es innerhalb zu wenig Wohnraum oder Baugrundstücke gibt. 2017 zogen 933 nach Bochum um, 228 nach Herne und 604 nach Castrop-Rauxel. Aber schon das vergleichsweise kleine Lünen lockte mit 1014 Zuzüglern mehr als Bochum, Schwerte mit 501 und Unna mit 530 jeweils fast so viel wie die (westfälische) Revierstadt Castrop-Rauxel.
Dass die Dortmunder Westfalen sind, Westfalen mögen und es im Alltag eher mit anderen Westfalen zu tun haben - das zeigen solche Vergleiche. Dabei haben wir noch nicht vom Fußball (westlich liegt tiefes Schalketerrain) und dem Einkaufen geredet. Der Westenhellweg zieht Käufer aus dem Süden, dem Norden und dem Osten an. Wer samstags über Autobahnen und Schnellstraßen wie A 1, A 45, die A 44 und die B 54 fährt, weiß das. Es ist vernünftig, dass der Dortmunder Einzelhandelsverband westfälisch denkt und organisiert ist - bis hin nach Münster, Borken und Coesfeld.
Das Ruhrgebiet ist eine zerrissene Landschaft
Vor 20 Jahren bildeten sich Träume von der „Ruhrstadt“. Eine Ruhrstadt hätte den Interessen Essens als eingebildetes Zentrum gedient, in vielen Kommunen aber nie ausreichend funktioniert. Auch deshalb sind die Träume geplatzt. Der heute dagegen gerne genutzte Begriff von der „Metropolregion Ruhr“ ist ein politischer Konstrukt, um im Gesamtstaat das Gewicht von mehr als fünf Millionen Bundesbürgern deutlich zu machen. So weit, so gut.
Doch Dortmunder dürften sich darin so fremd fühlen wie Duisburger, wo 2015 jeden Tag 17.000 Einpendler aus Essen und Oberhausen kommen, mit 22.000 aber deutlich mehr vom linken Niederrhein. Und 18.000 Duisburger arbeiten in Düsseldorf und nur 8000 in Essen. Dass die Landesregierung nicht daran denkt, die Aufteilung der Ruhr-Region in die drei Regierungsbezirke Düsseldorf, Arnsberg und Münster aufzugeben, ist aus all diesen Gründen schlüssig.
Die Wahrheit ist: Das Ruhrgebiet ist eine zerrissene Landschaft, die sich mit den Interessen an ihren Rändern unterschiedlich orientiert.
Also: Was soll das Ruhrparlament schon bringen?
Wo es dennoch erforderlich ist, sind Kooperationen längst geregelt. Es gibt den Kommunalverband und Bezirksplanungsräte. Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr und Straßen.NRW bedienen den Verkehrsbereich. Es gibt zwischen einzelnen Kommunen zwei- oder mehrseitige Zusammenarbeit in Dingen der Energieversorgung. Die Gewinnung von Wasser funktioniert. Die innere Sicherheit ist eine Sache des Landes.
Darüber hinaus fällt die Liste des zusätzlich nötigen gemeinsamen Handelns, den Kernbereich des Ruhrgebiets zwischen Mülheim/Ruhr und Oberhausen und Bochum einmal ausgenommen, mit wenigen kulturellen Initiativen recht kurz aus. Sie rechtfertigt kein eigenes, aufwändiges Parlament.
Es gibt andere Einwände gegen die Versammlung, die fast eine halbe Million Dortmunder in zwei Jahren direkt wählen soll.
1. Da ist die Sonderrolle, die sie in NRW spielen würde. Könnten Kölner und Bonner für sich nicht noch eher ein Regionalparlament beanspruchen? Da sind die lächerlich geringen Kompetenzen, die die 91 direkt gewählten Volksvertreter erhalten.
2. Ein gemeinsames Vermessungswesen einrichten? Dass wird der – übrigens sehr sinnvolle – gleichzeitig zu schaffende „Kommunalrat“ der Oberbürgermeister und Landräte aus dem Ruhrgebiet besser können. Neue Bus- und Bahnlinien planen? Welche, bitteschön? Die meisten Revier-Städte sind hoch verschuldet und kämen über eine Planung nie hinaus.
3. Gemeinsame Lobby-Arbeit bei der EU in Brüssel, um Geld abzuholen? Die Schlägerei würde beginnen, wenn es zurück vor Ort um die Verteilung der eingeworbenen Euros geht.
Das Ruhrparlament muss, wenn es wie geplant zustande kommt, seine Wähler zwangsläufig enttäuschen. Eine Volksvertretung, die das tut, wird zu einer schlechten Werbung für das bewährte Erfolgsmodell repräsentativer Demokratie. Das können wir in diesen Zeiten gar nicht brauchen.