Wie klimafreundlich ist Fernwärme in Dortmund wirklich? Was sie leisten kann - und wo Herausforderungen liegen

Abwärme aus Kohlenstoff-Produktion: Wie öko ist Fernwärme in Dortmund?
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Gas ist knapp und teuer, Wärmepumpen sind schwer zu bekommen, Öl und Kohle sowieso fossile Klima-Killer - kein Wunder, dass nun die Stunde der Fernwärme zu schlagen scheint. Bundesweit soll sich die Zahl der Haushalte, die pro Jahr ans Fernwärme-Netz angeschossen werden, laut einer Studie der Uni Stuttgart auf 160.000 verdoppeln. In Dortmund deckt Fernwärme derzeit 10 Prozent des stadtweiten Bedarfs - „bis 2025 möchte DEW21 die Fernwärmeabnahme um 30 Prozent steigern“, erklärt Sprecherin Jana-Larissa Marx.

Vor diesem Szenario ist Leser Frank Vogel ins Grübeln gekommen: Sein Dreifamilienhaus im Dortmunder Osten wird derzeit mit Gas beheizt. Soll er einen Wechsel erwägen, wenn dieser irgendwann mal möglich ist? Warum ist Fernwärme klimafreundlicher? Und wie errechnen sich die Tonnen an angeblich gespartem Kohlendioxid?

Auch eine weitere Frage drängt sich auf: Wenn die Abwärme aus Verbrennung oder Herstellung kohlenstoffhaltiger Verbindungen entsteht, müsste man sich dann nicht schnell Alternativen überlegen? Immerhin will Deutschland ja bis 2045 CO2-neutral werden, Dortmund sogar bis 2035.

Was also spricht für, was spricht gegen Fernwärme? Was für Pläne haben die Stadtwerke? Und wenn die Quelle der Abwärme auch nicht mehr fossil sein soll - wie kriegen wir in Dortmund eine Umstellung bis 2035 hin? Wie gehen Vermieter damit um? Und was raten Experten? Wir haben nachgefragt.

Frank Vogel heizt sein Dreifamilienhaus im Dortmunder Osten noch mit Gas. Jetzt sondiert er Alternativen.
Frank Vogel heizt sein Dreifamilienhaus im Dortmunder Osten noch mit Gas. Jetzt sondiert er Alternativen. © privat

Was spricht für Fernwärme?

Das große Plus von Fernwärme: Sie basiert auf Energie, die sonst nutzlos verpufft - oft Abwärme aus Kraftwerken, industrieller Fertigung oder aus Rechenzentren. Diese zu nutzen, spart Energie und somit klimaschädliches Kohlendioxid (CO2). Aber in Dortmund stammen drei Viertel der Fernwärme von den Deutschen Gasrußwerken. Und die produzieren am Hafen auch Kohlenstoff für Reifen oder die Druck- und Kunststoffindustrie. Mehr Karbon geht kaum.

Die rot-weißen Baustellen-Baken in der Innenstadt waren seit 2020 sichtbare Zeichen der Energiewende: Hier wurde das alte Dampfnetz modernisiert „und auch die Einspeisung geändert“, wie Jana-Larissa Marx erläutert: „Hauptwärmequelle ist nun die industrielle Abwärme der Deutschen Gasrußwerke. Mit dieser Abwärme wurden die Erzeugungsmengen aus dem stillgelegten Gas-Kraftwerk Dortmund abgelöst.“ Das alte Kraftwerk ging schneller vom Netz als geplant - Mitte Juni statt Ende September 2022.

Wie viel CO2 spart das ein?

Durch die vorzeitige Abschaltung wurde „in Summe die CO2-Last der Dortmunder Fernwärme um 45.000 Tonnen reduziert“, sagt Jana-Larissa Marx. Und es soll noch mehr CO2 eingespart werden. DEW21 möchte die Fernwärmeabnahme bis 2025 in Dortmund um fast ein Drittel steigern und so mehr Bürgerinnen und Bürgern „den Zugang zur klimafreundlichen Wärme zu ermöglichen“, wie Jana-Larissa Marx sagt.

Derzeit liegen die Leitungen in der Innenstadt und in der Nordstadt, „durch die derzeit geplanten 16 Erweiterungsgebiete in direkter Nachbarschaft der Innenstadt soll die CO2-Reduktion auf 60.000 Tonnen pro Jahr gesteigert werden“, kündigt Marx an. Das entspricht dem Ausstoß von 86.000 Autos.

Was heißt das für Mieter?

Dieser Trend zur Fernwärme eröffnet auch Wechselperspektiven für Besitzer von Gasheizungen, wie Frank Vogel sie noch betreibt. Zuerst werden aber wohl die sogenannten Gas-Etagenheizungen - wenn lokal möglich - ersetzt werden.

„Im Innenstadtbereich sieht es so aus, dass es wohl Stück für Stück zu einer Umstellung auf Fernwärme kommen wird“, hatte Franz-Bernd Große-Wilde, Vorstandsvorsitzender der Spar- und Bauverein eG, bereits im November 2022 in einem Interview mit dem Mitglieder-Magazin „Sparbau“ angekündigt.

7500 der fast 12.000 Wohnungen der Genossenschaft haben Gas-Etagenheizungen. Diese zu ersetzen, spare Gas und verringere den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase - ist aber nicht in jedem Stadtviertel möglich.

Wo entsteht die Fernwärme?

„Das gesamte Netz wird mit einem Anteil von circa 75 Prozent durch die industrielle Abwärme der Deutschen Gasrußwerke gespeist“, erläutert Jana-Larissa Marx. Der Betrieb im Hafen stellt seit 86 Jahren in Dortmund Industrie-Ruß her. Seit 40 Jahren liefert Gasruß Fernwärme an die Stadt beziehungsweise an DEW21. Das Problem: Bei der Produktion wurden 2022 fast 300.000 Tonnen CO2 pro Jahr ausgestoßen. Das Unternehmen beschäftigt 165 Mitarbeiter und machte im letzten Jahr 260 Millionen Euro Umsatz.

Wie sicher ist die Versorgung?

Wenn es Nachfrage-Spitzen - zum Beispiel bei sehr kaltem Wetter - oder einen Produktionsausfall bei den Gasrußwerken geben sollte, hat DEW 21 vorgesorgt: „Um die Versorgung abzusichern, hat DEW21 drei moderne Energiezentralen im Innenstadtbereich errichtet“, sagt sie.

Dabei handelt es sich um gasbetriebene Kleinkraftwerke, die Kessel sind am ehesten mit haushaltsübliche Gasthermen zu vergleichen. Sie springen nur an, wenn Bedarf besteht.

Ist Dortmunds Fernwärme zukunftsfähig?

Dortmund will bis 2035, Deutschland bis 2040 CO2-neutral wirtschaften. Und auch die Gasrußwerke wollen die Klima-Ziele der EU erfüllen: „Unsere Ziele sind, im Jahr 2030 unsere CO2 Emissionen um 55% zu mindern und im Jahr 2050 die Klimaneutralität zu erreichen“, sagt Peter Hartmann, Managing Director der Gasrußwerke unserer Redaktion.

Auch die Stadtwerke planen: „DEW21 erarbeitet aktuell einen Transformationsplan für die Fernwärme. Klares Ziel ist es, bis 2035 CO2-neutrale Wärme bereitstellen zu können“, sagt DEW21-Sprecherin Jana-Larissa Marx. Es würden weitere Abwärmequellen in der Stadt identifiziert.

Wie soll das funktionieren?

In einer Stadt wie Dortmund gibt es einige Abwärmequellen: Kühlhäuser, Rechenzentren, Motoren, Leuchten und viele mehr. Der dänische Technologie-Konzern Danfoss hat im Februar 2023 eine Studie veröffentlicht, dass sich mit der Abwärme in Europa „fast der gesamte Energiebedarf der EU für Wärme und Warmwasser in Wohngebäuden sowie in allen öffentlichen Gebäuden“ decken ließe - angebliches Einsparpotenzial: 67 Milliarden Euro jährlich.

Was sagen Experten?

Die Umstellung auf klimaneutrale Fernwärme ist anspruchsvoll - aber notwendig, sagen Experten:

„Zum einen muss die Fernwärmeerzeugung auf mittel- bis langfristige Sicht vollständig defossilisiert werden. Dies bedeutet nicht nur, dass der Anteil der erneuerbaren Energien an der Fernwärmeversorgung bis spätestens 2045 von derzeit knapp 11% auf 100% ansteigen muss. Sondern auch, dass viele Fernwärmenetze auf niedrigere Vorlauftemperaturen umzustellen sind, da dies die Voraussetzung für die Einbindung von erneuerbaren Energien ist. Zum anderen müssen große Kapazitäten Kohle-Kraft-Wärme-Kopplung durch andere Energiequellen ersetzt werden. Bisher machen diese rund 42% der installierten Fernwärme-Erzeugungskapazität aus“, schreiben Alexander Burkhardt und Markus Blesl vom Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung der Universität Stuttgart in der Analyse „Wandel der Fernwärme im Kontext des Kohleausstiegs und der aktuellen Gaskrise“, die im Februar 2023 veröffentlicht wurde.

Was sind die Dortmunder Pläne?

Die DEW21 will hierfür lokal anfallende Biomasse energetisch verwerten, Großwärmepumpen bauen oder Tiefengeothermie nutzen. „Der Bau eines modernen Biomasseheizkraftwerk zur Verwertung des lokal anfallenden Altholzes wird aktuell bereits projektiert. So kann die Fernwärmeerzeugung durch ökologisch gleichwertige Alternativen ersetzt werden,“ erläutert DEW21-Sprecherin Jana-Larissa Marx. Die DEW prüft „Möglichkeiten, den CO2-Fußabdruck der Fernwärme sukzessive zu reduzieren“ - mit dem Ziel Klimaneutralität.

Bei den Gasrußwerken will man die CO2-Verringerung mit „zahlreichen Einzelprojekten zur Energieoptimierung, dem Einsatz von Nachhaltigkeitstechnologien, der Optimierung der Abwärmenutzung sowie dem Einsatz von klimafreundlichen Roh- bzw. Brennstoffen“ erreichen“, sagt Leiter Peter Hartmann.

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