Vor dem Absturz in die Armut: Stadt will Nette jetzt retten

© Stephan Schuetze

Vor dem Absturz in die Armut: Stadt will Nette jetzt retten

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Der Sozialbericht weckt Sorgen. Politiker wollen ein großes Maßnahmenpaket für Nette. Die Lösungen werden aber kleinteiliger sein. Und: Ganz so schlimm steht es um Nette (noch) gar nicht.

Nette

, 27.01.2020, 17:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Wird der Dortmunder Westen zum neuen Norden? Der städtische Sozialbericht zeigte alarmierende Zahlen: In Nette leben fast 45 Prozent der Kinder unter 15 Jahren in Hartz-IV-Familien. Politiker befürchten, Nette drohe sozial abzudriften: Armut, schlechte Wohnbedingungen, marode Straßen und Spielplätze, ein katastrophales Umfeld. Ist das so? Wo drückt in Nette der sprichwörtliche Schuh?

„Für mich als Rentner überhaupt nicht“, sagt Horst Henseler. „Wir haben zwei Einkaufsmärkte, Bushaltestellen vor der Haustür, sind gut angebunden.“ Viele Netter, und gerade die, die schon lange dort leben, sind zufrieden. Preiswerte Mieten, rundherum viel Grün, Grund- und weiterführende Schulen. Viele Netter teilen das.

Nette hat eine andere Ausgangssituation als Westerfilde

Die Sorge der Poltiker lässt sich damit nicht einfach beseite schieben. Sie forderten schon vor mehr als einem Jahr das ganz große Paket: ein „Integriertes Handlungskonzept“. Das ist ein vom Land gefördertes Städtebauprogramm mit abgestimmten Maßnahmenbündeln: etwa geförderte Sanierungen für Privathäuser und -wohnungen, Anlage neuer Straßen, Plätze und Grünanlagen oder die Einrichtung neuer sozialer Treffpunkte.

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Diese Programme sind aufwändig, unterliegen strengen Förderkriterien und sind allein vom Antragsverfahren schon langwierig. In Westerfilde greift seit fünf Jahren solch ein Programm. Dort gab es allerdings auch eine ganz andere Ausgangssituation.

In Nette liegt der Wohnungsleerstand bei einem Prozent

Beispiel: Wohnungleerstand. „In Westerfilde hatten wir 30 Prozent Leerstand an Wohnungen“, sagt Susanne Linnebach, die Leiterin des Amts für Stadterneuerung, im Gespräch mit der Redaktion.

Vor Jahren mochte niemand so recht in Westerfilde wohnen: Sanierungsstau in den Betonsiedlungen der 70er Jahre, ein marodes Umfeld, Angsträume. Das ist in Nette anders: „In Nette liegt der Leerstand bei gerade einmal einem Prozent“, sagt Linnebach.

Eine Herausforderung bleibt die so genannte BuRiAd-Siedlung. Das Wohnungsunternehmen Vonovia will dort energetisch sanieren und ein Belegungsmanagement einführen.

Eine Herausforderung bleibt die so genannte BuRiAd-Siedlung. Das Wohnungsunternehmen Vonovia will dort energetisch sanieren und ein Belegungsmanagement einführen. © Uwe von Schirp

Die Mieten seien zwar wie überall in der Stadt gestiegen, liegen im Durchschnitt aber immer noch bei einem günstigen Quadratmeter-Preis von 6,01 Euro. Das Wohnungsunternehmen Vonovia habe in der in der Hochhaus-Siedlung an Butzstraße, Ritsart- und Adelhardweg („BuRiAd-Siedlung“) bereits investiert und etwa neue Fenster eingebaut.

„BuRiAd-Siedlung“ bleibt eine Herausforderung

Die Siedlung bleibe – auch wegen ihrer Sozialstruktur – aber eine Herausforderung. Deswegen will Vonovia nach Abschluss der Sanierungen in Westerfilde hier weiter investieren und die Häuser aus den 70er-Jahren energetisch sanieren. Zudem soll dann ein Belegungsmanagement eingeführt werden.

Dennoch: „Bei Nette bin ich noch entspannt“, sagt Susanne Linnebach. Jedoch gebe es „Abweichungen von der Gesamtstadt“ – also durchaus Handlungsbedarf. „Aber der ist handlebar.“ In einzelnen Maßnahmen.

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Unter Federführung von Linnebachs Amt für Stadtereuerung sind daran vor allem das Sozial- und das Planungsdezernat beteiligt. Anfang Dezember lud die Stadt zum „Akteurstreffen“ in Nette ein.

Netter Akteure trafen sich mit Vertretern der Stadt

Politiker, Vereine, Wohnungsgesellschaften, Mieterverein, Vertreter von Kirchen, Schulen und Kindertageseinrichtungen nannten die Punkte mit Handlungsbedarf. Von städtischer Seite nahmen fast alle Ämter sowie Sozialdezernentin Birgit Zörner und Planungsdezernent Ludger Wilde teil.

„Nette braucht besondere Aufmerksamkeit“, nennt Susanne Linnebach den Konsens. Die Stadt wird an vielen kleinen Stellschrauben drehen, um den Stadtteil aufzuwerten. Sehr konkret ist das im Bereich der Schulen. Linnebach kündigt Investitionen in Höhe von fünf Millionen Euro an.

Wenig Aufenthaltsqualität hat der Schulhof der Albert-Schweitzer-Realschule. In diesem Jahr soll er endlich nach Ideen der Schüler neu gestaltet werden.

Wenig Aufenthaltsqualität hat der Schulhof der Albert-Schweitzer-Realschule. In diesem Jahr soll er endlich nach Ideen der Schüler neu gestaltet werden. © Uwe von Schirp

Die alte Gymnastikhalle der Schopenhauer Grundschule werde abgerissen, die neue Aula 2021 fertiggestellt. In diesem Jahr soll der Schulhof der Albert-Schweitzer-Realschule nach Jahren der Planung neu gestaltet werden. Bis 2022 erfolge der Neubau der Turnhalle. Ebenfalls in diesem Jahr bekomme das Heinrich-Heine-Gymnasium drei naturwissenschaftliche Fachräume und die Sport-Außenanlage werde saniert.

Strittig: Gibt es ausreichend Treffpunkte für Jugendliche?

Im Arbeitsplan des Tiefbauamtes stehen etwa Fahrbahn- und Gehwegsanierungen in Teilbereichen der Alten Kolonie sowie von Dörwer-, Donar-, Brinkmann-, Wodanstraße und des Nackhofwegs.

Eine Herausforderung seien fehlende Treffpunkte für Erwachsene. Das Angebot an Jugendtreffs sei ausreichend, sagt Linnebach. Das sieht der Netter Norbert Girlich etwas anders: „Wenn die Schulen zu sind und abends der Fußballplatz abgeschlossen ist, wo sollen die Jugendlichen dann hin?“, fragt er. Häufig bleibe dann nur die Bank in einer Grünanlage – mit Missbilligung der Anwohner.

Wie wichtig Treffpunkte für Nette sind, zeigte sich beim Fest zum 50-jährigen Bestehen des Hallenbades und des Vereins Waspo im vergangenen Sommer. Auch zum Wodanstraßenfest kommen viele hundert Besucher.

Wie wichtig Treffpunkte für Nette sind, zeigte sich beim Fest zum 50-jährigen Bestehen des Hallenbades und des Vereins Waspo im vergangenen Sommer. Auch zum Wodanstraßenfest kommen viele hundert Besucher. © Stephan Schütze

Derartige Probleme soll der Arbeitskreis „Begegnung in Nette“ aufnehmen und benennen. In diesem Arbeitskreis treffen sich regelmäßig engagierte Netter aus Gesellschaft und Politik sowie die Aktionsraumbeauftragte. „Claudia Schroth hat hier eine wichtige Funktion“, sagt Susanne Linnebach. Sie wird mit ihrem Amt für Stadterneuerung den weiteren Dialog organisieren und die vereinbarten Maßnahmen überprüfen.

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