Vermieter setzt Ladeninhaberin nach 45 Jahren auf die Straße - ohne Begründung

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Vermieter setzt Ladeninhaberin nach 45 Jahren auf die Straße - ohne Begründung

rnDortmunder Kreuzviertel

Aufregung im Kreuzviertel: Nach 45 Jahren soll Mechthild Kemper (75) ihren kleinen Schreib- und Tabakwarenladen räumen. Der Vermieter hat gekündigt. Ohne jede Begründung. Die Kunden sind empört.

Dortmund

, 22.09.2021, 04:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

„So geht man nicht mit Menschen um“, schimpft Ingrid Müller. Die Anwohnerin aus dem Kreuzviertel gehört zu einer Reihe von Kunden, die dem kleinen Geschäft von Mechthild Kemper seit unzähligen Jahren die Treue halten. Längst ist ihr Ladenlokal am Neuen Graben 67 zu einer Institution geworden im Kreuzviertel: Rund 50 Quadratmeter, vollgepackt mit Regalen voller Zigaretten, Zeitungen, Magazinen und Schreibbedarf.

„Kleines Kaufhaus Kemper“ nennt sie ihr Ladenlokal liebevoll. „Ich bin hier Kundin seit mehr als 40 Jahren“, sagt Ingrid Müller. Sie ist vorbeigekommen, um Ladeninhaberin Mechthild Kemper und ihrer Mitarbeiterin Inge Kehlau Mut zu machen. Die Menschen in der Nachbarschaft seien empört, berichtet sie. Es gebe bereits die Idee, Unterschriftenlisten kursieren zu lassen. „Man muss das öffentlich machen“, sagt Ingrid Müller.

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Inhaberin Mechthild Kemper freut sich über die große Anteilnahme ihrer Nachbarn. Im Juni hat ihr die Trosdorff Immobilienbetreuung KG aus Erkrath völlig überraschend die Kündigung ins Haus geschickt. Ihre Hände zitterten, als sie den Brief las: „Ich dachte, es zieht mir den Boden unter den Füßen weg. Ich war erschüttert“, sagt sie.

Sechs Monate Verlängerung? Nur bei 50 Prozent Mieterhöhung

In wenigen Zeilen teilte ihr Trosdorff mit, dass der Mietvertrag gekündigt werde. Zum 31.12.2021 habe sie das Ladenlokal zu räumen. Keine Begründung, kein Wort des Bedauerns. Selbst der Deutsche Mieterbund (DMB), den Kemper einschaltete, beißt bis heute auf Granit.

„Bedauerlicherweise ist die Kündigung rechtmäßig“, sagt die Dortmunder DMB-Geschäftsführerin und Rechtsberaterin Susanne Neuendorf auf Anfrage. „Bei Gewerbeimmobilien darf ohne Angabe von Gründen gekündigt werden“, so Neuendorf. Sie habe noch versucht, Trosdorff zumindest zu einer Vertragsverlängerung um sechs Monate zu bewegen, um Zeit für die Räumung zu gewinnen.

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Antwort: Im Prinzip sei eine Verlängerung möglich. In dem Fall müsse aber leider die Miete angehoben werden - von 10 Euro auf 15 Euro pro Quadratmeter. „Das ist gar nicht zu erwirtschaften“, winkt Neuendorf ab. Sie kenne das Ladenlokal gut. „Ich hab’ mir dort schon als Kind meine Schulsachen gekauft.“

Verwalter gibt keine Auskunft: „Fällt unter Datenschutz“

Warum sie nach 45 Jahren Knall auf Fall die Kündigung erhalten hat? Mechthild Kemper sagt, sie kenne den Grund nicht. Vielleicht, weil sie den Immobilienverwalter vor der Kündigung auf das defekte Rolltor am Eingang und auf die Probleme mit der Elektrik hingewiesen hatte? Sie kann nur rätseln.

Zumindest das Rolltor sei repariert worden, mehr nicht. Dabei hätte auch das Ladenlokal, das sogar seit 90 Jahren besteht, eine Renovierung oder Modernisierung nötig. Kemper hatte es damals von ihrem Schwiegervater übernommen.

"Liebe, treue Kunden ... " Mechthild Kemper informiert die Anwohner per Aushang über die drohende Schließung.

"Liebe, treue Kunden ... " Mechthild Kemper informiert die Anwohner per Aushang über die drohende Schließung. © Beushausen

Anfragen der Redaktion beantwortet Trosdorff trotz mehrfacher Versuche nicht. Mit welcher Begründung die Kündigung erfolgt sei? Ob das Ladenlokal modernisiert oder umgewandelt werden solle? „Das fällt alles unter Datenschutz“, flötet eine Dame am Telefon. „Dazu dürfen wir keine Auskunft geben.“ Ihre Empfehlung: „Sie können gern den Postweg nutzen, wenn es Fragen gibt.“

Eigentümerin der Immobilie ist die gemeinnützige Hermann-Niermann-Stiftung in Düsseldorf. Vom aktuellen Vorstandsvorsitzenden der Stiftung, dem Düsseldorfer Rechtsanwalt Dr. Andreas Sonntag, war trotz mehrfacher Versuche am Dienstag (21.9.) keine Stellungnahme zur Kündigung des Ladenlokals zu erhalten.

Anwohner wollen Ladeninhaberin den Rücken stärken

Umso deutlicher fallen die Kommentare der Kreuzviertel-Bewohner in Internetforen aus. „Es geht eine soziale Institution verloren, und ich frage mich wirklich, zu welchem Zweck das geschehen soll“, schreibt ein Nutzer. „Ich bin entsetzt. Ich finde, dass unser Viertel in irgendeiner Weise aktiv werden muss.“ Ein anderer Nutzer stellt ernüchtert fest: „Die Verdrängung von Mietern und ,alten' Gewerbetreibenden durch Geld macht auch vor unserem Viertel nicht halt.“

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Mechthild Kemper ist ratlos. Ein neues Ladenlokal habe sie nicht in Aussicht. „Sollte es bei der Kündigung bleiben, ist für mich als Gewerbetreibende Feierabend.“ Das Ende und den Abschied von ihren Kunden - das alles hat sie sich allerdings anders vorgestellt, sagt sie.

Da betritt ein Mann das Geschäft. Philipp Armbruster ist Anwohner am Neuen Graben und Dirigent am Dortmunder Theater. „Ich bin gekommen, um Ihnen meinen Beistand auszusprechen“, sagt er zu Mechthild Kemper.