Uwe trauert um seine verstorbene Frau „Ein bisschen Muffe“ vorm ersten Weihnachten ohne sie

Uwe trauert um seine verstorbene Frau und hat „ein bisschen Muffe“ vor Weihnachten
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Uwe S. möchte, dass an Weihnachten alles wie immer ist. Er stellt den großen Baum im Wohnzimmer auf, seine Frau Martina dekoriert und kümmert sich ums Einpacken der Geschenke. Die Kinder kommen zu Besuch. Gemeinsames Essen, Besuch in der Kirche, Bescherung.

Doch seine Frau ist nicht mehr da. Sie starb am 18. Juni 2022 an den Folgen der Nervenkrankheit Amyotropher Lateralsklerose (ALS). Martina S. wurde nur 60 Jahre alt.

Thailand-Reise geplant

Die Dortmunder waren 40 Jahre lang ein Paar, hatten sich damals im Studium kennengelernt und später geheiratet. Sie liebten es, zusammen zu verreisen. Eine mehrmonatige Reise nach Thailand war für diesen Winter geplant. Dafür war Uwe S., 62 Jahre und von Beruf Controller, sogar in Altersteilzeit gegangen. Doch nun sitzt er am großen Esstisch in seinem Haus in Wambel und spricht über den schmerzhaftesten Verlust seines Lebens.

Man merkt, dass er darin geübt ist. Auch wenn bei Uwe S. immer mal wieder die Tränen fließen. Das Sprechen über den Verlust, sagt er, sei das Wichtigste. Denn: „Alleine kommt man damit nicht klar.“

Während sich der Gesundheitszustand seiner Frau ab dem Frühjahr 2021 nach und nach verschlechterte und selbst über ihren Tod hinaus, als noch eine Menge zu organisieren war, habe er „mechanisch agiert“, sagt Uwe S. Es dauerte eine Zeit, bis er den Verlust tatsächlich realisiert hatte. „Irgendwann sitzt man hier, und es ist alles anders.“

Unterstützung der Familie

Uwe S. kann auf die Unterstützung von Freunden und Familie zählen. Dafür ist er dankbar. Doch mit einem so schmerzhaften Verlust, wie er ihn erlitten hat, haben die meisten Menschen keine Erfahrung gemacht. Von seinem Hausarzt bekam der Dortmunder den Tipp, sich beim Hospizdienst der Malteser in Dortmund zu melden. Dort könne er einerseits mit Menschen sprechen, die Trauerarbeit professionell begleiten und andererseits Leute treffen, die etwas Ähnliches durchmachen wie er.

Neue Struktur im Leben

Der 62-Jährige rappelte sich auf. „Man sollte sich nicht zurückziehen und eingraben. Das hilft nichts“, weiß er heute. Was ihm geholfen habe: Gespräche führen, rausgehen. Uwe S. kaufte sich ein neues Fahrrad, machte Sport. Er brachte eine neue Struktur in sein Leben. Dabei half ihm auch die Trauerbegleitung der Malteser.

Er habe bei dem Hospizdienst angerufen, sagt Uwe S. Danach sei alles schnell und einfach gegangen. Er führte zunächst Einzelgespräche mit einem Trauerbegleiter. Dieser machte ihn auf ein Angebot im Rombergpark aufmerksam.

Einmal im Monat treffen sich dort Trauernde sonntags zu einem Spaziergang, bei dem auch Trauerbegleiter dabei sind. Mit diesen Menschen könne man sich noch mal anders über den Verlust unterhalten als mit Freunden und Familie, sagt Uwe S. „Das hilft einfach.“

Starker Zusammenhalt

Und das ist auch die Botschaft des Dortmunders. Er möchte Menschen, denen es wie ihm geht, dazu ermuntern, sich Hilfe zu holen. Doch vor allem Männern scheine dieser Schritt schwer zu fallen, sagt Uwe S. Nur zwei seien Teil der Gruppe, die im Rombergpark spazieren geht. Hingegen seien sechs Frauen dabei.

In der Gruppe habe sich mit der Zeit ein starker Zusammenhalt entwickelt. Die Mitglieder verabredeten sich schließlich auch privat. „Wir treffen uns jetzt fast immer wöchentlich“, erzählt Uwe S.

Über das erste Weihnachtsfest ohne seine Frau Martina hat sich Uwe S. viele Gedanken gemacht.
Über das erste Weihnachtsfest ohne seine Frau Martina hat sich Uwe S. viele Gedanken gemacht. © Tim Schulze

Die Gespräche über den Verlust seien auch für ihn anfangs nicht einfach gewesen. „Aber es wird von Mal zu Mal besser“, sagt er und schwärmt vom Umgang miteinander in der Gruppe: „Jeder hat für die Anderen Verständnis.“

Uwe S. meldete sich zudem beim Dortmunder Verein Forum Dunkelbunt. Dieser bietet unter anderem feste Gesprächskreise für Trauernde an. „Dabei fokussiert man sich auf ein Trauerjahr“, sagt der 62-Jährige. Er wird noch bis Mai 2023 teilnehmen.

Zeit allein verbringen

Uwe S. stellte irgendwann fest: „Man muss einfach rausgehen.“ Er bemüht sich, neue Leute kennenzulernen, Freundschaften zu schließen. Denn: „Es klingelt keiner und sagt: ,Jetzt komm‘ mal raus'.“

Daran, fortan auch viel Zeit allein zu verbringen, habe er sich erst gewöhnen müssen. Zum Beispiel auf Reisen - ein Hobby, das der Dortmunder nicht aufgeben möchte. Ob er den geplanten Thailand-Urlaub ohne seine Frau antreten wird, das wisse er noch nicht.

Wie er das erste Weihnachtsfest ohne seine Frau verbringt, darüber hat der Dortmunder intensiv nachgedacht. Eine vorausschauende Planung war ihm wichtig. Er verspüre sogar eine gewisse Vorfreude, sagt er. Sein Sohn mit Ehefrau und der sieben Monate alten Enkelin, die in Unna leben und seine Tochter mit Lebenspartner aus Mainz kommen zu Besuch. Auch die Schwiegermutter ist selbstverständlich dabei.

Weihnachten planen

„An Weihnachten geht es um die Familie“, sagt Uwe S. Er möchte mit seinen Liebsten die Weihnachtstraditionen so beibehalten, wie sie waren, als seine Frau noch am Leben war. „Der Familienverbund hilft an Weihnachten enorm. Wenn ich mir vorstelle, ich hätte gar keinen, dann wäre das wirklich schwierig.“

Menschen, die einen so schwerwiegenden Verlust wie er erlitten haben, rät er, sich über die Weihnachtsplanung Gedanken zu machen. Um nicht plötzlich mit den Erinnerungen allein zu sein. Um nicht in ein emotionales Loch zu fallen.

Wie er an den Festtagen tatsächlich empfinden wird, das kann Uwe S. bei dem Gespräch kurz vor den Feiertagen, am Esstisch in seinem Wintergarten, nicht voraussehen. „Natürlich hat man auch ein bisschen Muffe davor“, sagt er. Doch der Dortmunder hat gelernt, trotz des Schmerzes positiv in die Zukunft zu blicken. Er betont: Es sei nicht nur das erste Weihnachten ohne seine Frau - sondern auch das erste mit seiner Enkelin.

Die Malteser Hospizdienste Dortmund St. Christopherus bieten unter anderem unterschiedliche Formen der Trauerbegleitung für Angehörige an. Alle Angebote seien kostenlos, betont Leiterin Heike Breitrück. Dazu gehören auch die Trauerspaziergänge im Rombergpark jeweils am dritten Sonntag eines Monats (außer im Januar und August). Weitere Formate sind etwa Trauercafés und offene Trauergruppen. Breitrück betont, dass es auch Trauergruppen für junge Erwachsene gebe.

Wer nach dem Tod eines geliebten Menschen Unterstützung benötigt, könne sich telefonisch unter 0231/8632902 oder per E-Mail an hospizdienste.dortmund@malteser.org wenden. Fachleute besprechen dann mit den Betroffenen die nächsten Schritte. „Wir machen eine individuelle Beratung und schauen dann, welches Angebot passend ist“, sagt Heike Breitrück.

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