IRA-Mord in Dortmund: Familienvater blutig erschossen

© Foto Schaper/ Grafik Sauerland

IRA-Mord in Dortmund: Familienvater blutig erschossen

rnSerie „Ungeklärte Dortmunder Verbrechen“

IRA-Terroristen töteten auch in Dortmund. Drei Jahrzehnte nach dem Mord an einem britischen Major und einer Jagd durch die Nordstadt ist ungeklärt, wer die Täter waren. Dabei gab es Hinweise.

Dortmund

, 30.09.2020, 04:30 Uhr / Lesedauer: 4 min

An einem späten Freitagabend im Herbst 1989 kehrten zwei 18- und 19-jährige britische Soldaten nach dem Ausgang in die York-Kaserne in Münster zurück. Sie trugen Zivil. Ein Auto stoppte. Der Beifahrer fragte in englischer Sprache: Wo geht es hier nach Dortmund? Im gleichen Moment zog er sein Sturmgewehr und schoss auf die jungen Männer. Schwer verletzt überlebten die Soldaten der King’s Hussars das Attentat. Der Schütze entkam.

Was am 1. September am Albersloher Weg passierte, war wohl Auftakt zu einer gezielten Attentatsserie. Das Stichwort „Dortmund“ fiel nicht zufällig. Sechs Tage später starb die 26-jährige Heidi Hazell vor ihrem Wohnhaus in Unna-Massen, wo sie mit ihrem Ehemann, auch einem britischen Soldaten, lebte. 14 Schüsse hatten ihren Kopf zerfetzt. Ihre Mörder entschuldigten sich in einem Bekennerbrief für „ein Versehen“. Sie hätten die deutsche Zivilistin irrtümlich für eine Angehörige der Briten-Garnison in Dortmund gehalten. Aber sie machten den Fehlschlag, der der Mord aus ihrer Sicht war, wett. Ihr nächstes Opfer wurde, ein dreiviertel Jahr später, ein englischer Major. Diesmal wirklich in Dortmund, einem zentralen Standort der britischen Rheinarmee, in dem mehr als 3000 Soldaten stationiert waren und 1000 Zivilbeschäftigte arbeiteten.

Dortmund als Brennpunkt weltpolitischen Geschehens

Während die Deutschen in den Monaten rund um den Mauerfall gebannt die dramatische Entwicklung im eigenen, noch geteilten Land verfolgten, war die Großstadt im östlichen Revier damit unversehens in den Brennpunkt eines anderen weltpolitischen Geschehens geraten: In den wieder zugespitzten und damals schon 70 Jahre alten Konflikt zwischen Iren und Briten, Katholiken und Protestanten, Terroristen der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) und britischen Streitkräften. Auf den britischen Inseln unter starkem Verfolgungsdruck der Sicherheitsbehörden hatte die IRA-Führung ihre Gewalt-Kampagne gegen die britischen „Besatzer“ Nordirlands ins Ausland verlagert.

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Frühsommer 1990. Michael Dillon-Lee ist einer der Angefeindeten. Er lebt seit zwei Jahren in der Dortmunder Gartenstadt, verheiratet, Vater von Mark (9) und James (7). Die Familie wohnt in der Max-Eyth-Straße. Nah liegt das Offiziersheim der Briten am Nußbaumweg, wo es am Abend des 1. Juni locker zugeht. Eine Party. Mit seiner Frau Rosalind feiert der Major bis kurz vor Mitternacht, als das Paar in den Volvo mit britischem Kennzeichen steigt. Um 0.07 Uhr kommt er in der Max-Eyth-Straße an. Der Offizier will die Wohnungstür öffnen.

Gesucht wird ein silberner Mazda

Was er nicht ahnt: Hier wartet ein Tötungskommando. Ein silberfarbener Mazda 323 prescht heran, Kennzeichen DO-TU 693. Einer der Insassen zieht eine Maschinenpistole vom Typ Kalaschnikow K-47. Er feuert zehn Schüsse auf Dillon-Lee ab. Auch ein Pistolenschuss ist zu hören. Sechs Mal in den Kopf getroffen sinkt der Brite zu Boden. Rosalind Dillon-Lee will noch einen irischen Triumphruf wahrgenommen haben, „ich konnte ihn nicht verstehen“. Der Wachhabende der Kaserne am Nußbaumweg hört fast zur gleichen Zeit, wie ihm der Fahrer eines roten Polo entgegenschreit: „Es war ganz einfach“.

Am 2. Juni 1990 um 0.20 Uhr stirbt Major Michael Dillon-Lee.

Wer in der Sache recherchiert, trifft auf eine Gedächtnis-Seite für Armee-Angehörige. Dort ist Hobby-Schütze Mike Dillon-Lee zu sehen.

Wer in der Sache recherchiert, trifft auf eine Gedächtnis-Seite für Armee-Angehörige. Dort ist Hobby-Schütze Mike Dillon-Lee zu sehen. © Thomas Thiel

Der Mord in der Gartenstadt ist der erste tödliche Ausgang des Nordirland-Konflikts auf Dortmunder Boden, nachdem schon 1979 vier Bomben vor den Kasernen an der B 1 detoniert waren. In der Stadt wird Alarm ausgelöst. Der 34-Jährige war kein zufälliges Ziel. Er arbeitete als Spezialist und führte im 32. Artillerieregiment eine Einheit, deren Angehörige oft gar nicht als Soldaten zu erkennen waren. Keine Uniform. Eher gemäßigter Tonfall. Lange Haare waren erlaubt. Sie waren die gefragten Scharfschützen. Auch für die gewalttätige Auseinandersetzung mit der IRA bildete die britische Armee die Experten in einer eigens aufgebauten Manöverstadt im Münsterland aus, in der „Tin City“.

Waren die Dortmunder Sicherheitsmaßnahmen zu lasch?

Dennoch: Dillon-Lee war ein Opfer unter 1600, die der Konflikt in den drei Jahrzehnten zwischen 1969 und 1999 gefordert hat. Waren die Dortmunder Sicherheitsmaßnahmen zu lasch? Gab es etwa Warnsignale? Deutsche Behörden verfügten schon länger über Informationen, dass die IRA Killertrupps, so genannte „Action Service Units“, auf britische Stützpunkte in Deutschland angesetzt hatte und dass sie jederzeit zuschlagen konnten. „Unter den Aufzeichnungen festgenommener Mitglieder … befand sich eine ersichtlich nach zahlreichen Ausspähfahrten angelegte Materialsammlung über Einrichtung der in der Bundesrepublik stationierten britischen Streitkräfte und deren Wohnsiedlungen“, heißt es in der Bundestagsdrucksache 11/6225 vom 15. Januar 1990. Vier Morde und 12 Mordversuche habe es alleine im letzten Vierteljahr 1989 gegeben. Aus dem Papier geht auch hervor, dass die Regierung britische Soldaten in Dortmund als Ziel vermutete, denn für die Stadt hatte das Bundesinnenministerium anlasslose Straßenkontrollen angeordnet.

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Die Stunden nach dem Attentat. Es gibt erste Ermittlungsergebnisse, auch Zeugenaussagen. Klar ist: Der Todesschütze in der Max-Eyth-Straße hat eine Maske mit Sehschlitzen und schwarze Kleidung getragen. Auch: Der Mazda war einen Tag vorher in der Erbpachtstraße in Aplerbeck gestohlen worden. Das Bundeskriminalamt ist bald mit mehr als 30 Beamten vor Ort und wird rekonstruieren, dass der Wagen kurz vor der Tat in einer britischen Siedlung in Holzwickede unterwegs war. Die Gartenstadt wird abgeriegelt. Deutsche und britische Polizei durchforsten Dortmunds Straßen. Um 0.23 Uhr, eine Viertelstunde nach den Schüssen und drei Minuten nach dem Tod des britischen Majors, kommt es zu einer wilden Verfolgungsjagd quer durch die Stadt.

Fahrzeug in der Mallinckrodtstraße geortet

Das Fahrzeug mit den mutmaßlichen Tätern ist in der Mallinckrodtstraße geortet worden. Streifenwagen folgen den Flüchtenden und melden zwei blonde Männer im Wagen. Als es zwischen Verfolgern und dem Fluchtfahrzeug zum Feuergefecht kommt, erhält ein Zivilauto der Polizei Treffer von Querschlägern und ein Streifenwagen wird gezielt beschossen. Die Polizei feuert zurück. Wahrscheinlich wird einer der Mörder bei dem Gefecht verletzt. Doch in dem Chaos verlieren die Polizeifahrzeuge den Anschluss. Das Duo kann sich nach Norden absetzen. In Lünen gelingt es dem Mazda-Fahrer noch, eine Polizeisperre zu durchbrechen. Die Flucht endet in Bönen, als der Mann das Tatauto in einen Straßengraben setzt. Als die Verfolger eintreffen, finden sie Blutspuren im Auto, doch die Insassen sind wie vom Erdboden verschluckt.

400 Polizeibeamte haben am nächsten Tag das Waldstück durchkämmt, an dessen Rand der Mazda gefunden wurde. Ein britischer und ein deutscher Hubschrauber kreisten über dem Gebiet. Ohne Ergebnis. Spekulationen wurden laut, die Täter könnten sich per Anhalter abgesetzt haben. Hans-Georg Fuchs vom Bundeskriminalamt sagte: „Wir hoffen auf eine heiße Spur“. Doch daraus wurde nichts, im Gegenteil. „Die Killerkommandos kommen nicht nur für ein Attentat herüber. Sie suchen mehrere Opfer“, warnte die Bundesanwaltschaft.

Die Familie verließ Dortmund nach der Tat

Michael Dillon-Lees Familie hat nach der Tat Deutschland verlassen. Sie zog nach Bournemouth, wo sich Rosalind Dillon-Lee für die juristische Verfolgung von IRA-Tätern einsetzte. Der Mord an ihrem Mann schien zeitweise juristisch klärbar. Tage nach den tödlichen Schüssen in Dortmund wurde die IRA-Terroristin Donna Macguire an der belgisch-niederländischen Grenze verhaftet, wo sie sich in einem Waffendepot bedienen wollte. Macguire galt zu dem Zeitpunkt als „gefährlichste Frau der Welt“, der Verdacht lag nahe, dass sie in den Anschlag im Ruhrgebiet verwickelt war. Nach langer Untersuchungshaft und einem justiziellen Tauziehen zwischen Deutschland und den Niederlanden kam es in Düsseldorf zum Prozess gegen Macguire und drei Komplizen. Er führte zu einer Verurteilung wegen eines länger zurückliegenden Attentats in Norddeutschland. Den Dortmunder Mord konnte das Gericht nicht nachweisen.

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Die Kalaschnikow-Mordwaffe der Gartenstadt jedoch stamme sicher aus dem Waffenarsenal der IRA, war der Richter überzeugt. Es stellte sich heraus, dass sie schon einmal zum Töten genutzt worden war. Ihr waren der Korporal Mich Islania und seine Tochter zum Opfer gefallen, ein sechs Monate altes Baby.

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