Wie viele i-Männchen sind zu dick? Wo gibt es freie Kitaplätze? Wie viel Regen fällt im Jahr? Das geplante Open-Data-Portal der Stadt Dortmund beantwortet solche Fragen mit wenigen Klicks.
Als die Ruhr Nachrichten vor zwei Jahren von der Stadt Dortmund Daten zum Zustand der Straßen anforderten, mussten sie erst lange darauf warten. Am Ende konnten sie der Stadt einen Fehler in der Datenbewertung nachweisen. Der hatte dazu geführt, dass die Straßenschäden falsch beurteilt wurden. Es folgte eine öffentliche, auch emotional geführte Diskussion.
In der Stadtverwaltung sahen sich damals diejenigen bestätigt, die vermeintlich öffentliche Daten durch Nicht-Herausgabe von Informationen lieber verschleiern würden. Doch es gibt einen Mentalitätswechsel in den Amtsstuben hin zu mehr Datendemokratie.
Daten sind „das neue Öl“
Datenberge sind ein Rohstoff. Sie gelten als „das neue Öl“. Auch die Stadtverwaltung erhebt riesige Datenmengen. Viele Daten gibt es jetzt schon im städtischen Internet-Auftritt www.dortmund.de, meist als Dokumente im PDF-Format: Statistikberichte, rechtsgültige Bebauungspläne, Haushaltsdaten, Ergebnisse von Bürgerumfragen, Wahlergebnisse sowie Unterlagen für den Rat und seine Fachausschüsse. Allerdings sind diese Informationen nicht immer einfach zu finden oder wurden von der Stadt bisher nur im Einzelfall auf Anfrage bereitgestellt. Der Bürger war Bittsteller.
Jetzt will die Stadt Dortmund ihren umfangreichen Datenschatz für Interessenten öffnen und Informationen als Open Data, zu deutsch offene Daten, über eine Internetseite frei zugänglich und zur freien Weiterverwendung gebündelt und übersichtlich nutzbar machen.
Verwaltung vollzieht Kulturwandel
Das Open-Data-Portal soll in diesem Sommer an den Start gehen, kündigt der zuständige Organisationsdezernent Christian Uhr an. „Wir haben einen Kulturwandel vollzogen, wir wollen mehr Transparenz und offenes Verwaltungshandeln.“
Die auch von der Bundesebene beziehungsweise vom Land geforderte und geförderte Öffnung in Richtung Open Data kratzt nun nicht mehr an den Grundfesten kommunaler Informationsstrategien. Die Idee, die hinter Open Data steckt, heißt Open Government (offene Regierung und Verwaltung) und ist ein Teil des Konzeptes zum digitalen Wandel in der Stadtverwaltung.
Rat muss am 12. Juli entscheiden
Dortmund ist mit diesem Kulturwandel allerdings spät dran. In Nordrhein-Westfalen haben alle Städte mit mehr als 200.000 Einwohnern bereits Open Data umgesetzt oder sind mittendrin. In Düsseldorf zum Beispiel, wo Open Data im Dezember 2017 an den Start gegangen ist, fragen die Bürger vor allem Radwege, Verkehrszählstellen, Umweltdaten und Bevölkerungszahlen ab, berichtet Silke Weyergraf vom dortigen Amt für Kommunikation.
Nur Dortmund und Essen hinken hinterher. Erst im vergangenen September hat die Verwaltungsspitze die Verwaltung beauftragt, ein Konzept zur Einführung von Open Data zu erstellen. Der Rat muss am 12. Juli noch über die Umsetzung entscheiden.
Schulen können profitieren
Erster Adressat der neuen Denkweise ist der Bürger. Wenn er zum Beispiel wissen will, wo es die besten Beschäftigungsmöglichkeiten gibt, die Mieten am günstigsten sind, wie viel Steuergeld für Straßenlaternen ausgegeben wird, welche die kürzeste, sicherste und schönste Fahrradroute von zu Hause zum Arbeitsplatz ist, wo die städtischen Lebensmittelkontrolleure fündig geworden sind, in welcher Kita ein Platz frei wird, und welche Schulen in Dortmund Internetanbindung haben.
Profitieren würden auch die Schulen, wenn sie zu unterschiedlichen Themen auf aktuelle Zahlen zugreifen können. Gute Ansätze sehen die städtischen Entwickler des Open-Data-Konzepts in den Fächern Sozialwissenschaften, Politik und Erdkunde. Innerhalb des Lehrplans bekommen Schüler die Möglichkeit, mit Daten aus der eigenen Kommune und weitergehenden Datenbeständen zu arbeiten.
Große Erwartungen an Open Data
Auch die Kommunen selbst versprechen sich viele Vorteile von der aktiven Datenpolitik. Sie soll Vertrauen in Verwaltungshandeln schaffen und politische Entscheidungen nachvollziehbar machen, den Kontakt zwischen Bürgern und Verwaltung intensivieren, die Bürger dadurch zur Mitwirkung gewinnen, so eine bürgernahe Politik begünstigen und den Demokratiegedanken stärken - und das mit geringem Aufwand.
Bei den offenen Daten gibt es allerdings eine Einschränkung: „Die Grenze ist da, wo Datenschutz und Persönlichkeitsrechte tangiert sind“, sagt Organisationsdezernent Uhr. Gemeint sind personenbezogene Daten und bestimmte Daten, die aus Sicherheitsgründen per Gesetz nicht öffentlich sind.
Potenzial für die Wirtschaft
Open Data als Sesam-öffne-dich sorgt nicht nur in der Zivilgesellschaft für Erkenntnisgewinn und ist ein Innovationstreiber innerhalb der Verwaltung. Die große Zahl an belastbaren, vollständigen und flächendeckenden kommunalen Daten bietet vielfältige Möglichkeiten auch für Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung.
Kleine und mittlere Unternehmen sowie Existenzgründer können mit den frei verfügbaren Behördendaten neue Produkte wie Apps und Anwendungen, Dienstleistungen, Geschäftsmodelle und Produktionsketten entwickeln. Das birgt Potenzial für die Wirtschaftsförderung. Die Zugriffszahlen anderer Städte, die bereits Open Data haben, zeigten, dass das Angebot angenommen werde, heißt es im Konzept der Stadt Dortmund zur Einführung der Offenen Daten.
Dem Gründergeist stehen keine Gebühren mehr im Weg
Nur Datenkraken wie Google, Amazon, die Automobilindustrie und ähnliche Wirtschaftsgiganten können sich noch Gebühren für Daten leisten. Open Data bietet dieselben Voraussetzungen für alle bei der Daten-Nutzung und -Weiterverwertung von Daten - jederzeit für jeden entgeltfrei ohne verpflichtende Registrierung und ohne Begründung.
Mögliche Schürfstellen für die Wirtschaft sind zum Beispiel Informationen zum Wetter und zur Verkehrslage. Unternehmen können diese frei verfügbaren Daten mit bestehenden Informationen verknüpfen und so einen Mehrwert schaffen.

Die Stadt sammelt riesige Datenmengen. © picture alliance / Matthias Balk
Versicherungen etwa könnten diese Wetterdaten für eine Risikoanalyse verwenden. Lärmwerte entlang von Straßen sind interessant für Immobilienunternehmen sowie Daten über Straßen und Baustellen wichtig für Hersteller von Navigationssystemen.
Start ist im August
Wenn der Rat sein Okay gibt, will Dortmund mit seinem Open-Data-Portal im August an den Start gehen. Zunächst mit statistischen Daten und vorhandenen Geodaten. In den darauffolgenden Monaten soll es stetig wachsen mit sämtlichen Daten, die für das Leben in der Stadt von Bedeutung sind.
Der Themenkatalog wird sich an dem anderer Open-Data-Portale orientieren. Dazu zählen die Bereiche
- Bevölkerung
- Bildung und Wissenschaft
- Geografie und Geodaten
- Gesetz und Justiz
- Gesundheit
- Infrastruktur, Bauen und Wohnen
- Kultur, Freizeit, Sport und Tourismus
- Öffentliche Verwaltung, Haushalt und Steuern
- Politik und Wahlen
- Soziales
- Transport und Verkehr
- Umwelt und Klima
- Verbraucherschutz
- Wirtschaft und Arbeit
Bewertung nach einem Jahr
Die Entscheidung, welche Daten veröffentlicht werden, behalten die Ämter, die sie maßgeblich erhoben haben. Auf Facebook oder Twitter wird die Stadt auf interessante Daten aufmerksam machen, die sie im Portal hinterlegt hat. Nach einem Jahr wird geprüft und bewertet, welche Kosten die Offene-Daten-Initiative verursacht und wie viel Nutzen sie tatsächlich bringt.
Nach einer noch laufenden bundesweiten empirischen Studie des Instituts für angewandte Wirtschaftsforschung (Tübingen) zu Open Data in Großstädten sollen bisher keine einschlägigen Start-ups durch Open Data entstanden sein. Auch das aktive Interesse der Bürger an offenen Daten der Kommunalverwaltungen halte sich „sehr in Grenzen“.
Über Open Data gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten. Während die Befürworter mit dem Gewinn an Erkenntnissen und Vertrauen argumentieren sowie dem besseren Verständnis von Zahlen, Fakten und Zusammenhängen, fürchten Kritiker, dass durch den einfachen Zugang dem Datenmissbrauch Tor und Türen geöffnet werden.
Regeln gegen Datenmissbrauch
Rechtsradikale zum Beispiel könnten durch das Veröffentlichen der Migrationsstatistik sehen, wo die meisten Migranten in Dortmund leben. Doch in diesem Fall braucht es nicht die Daten der Stadt. Es ist ohnehin allgemein bekannt, dass die meisten Migranten in der Nordstadt wohnen.
Zudem werden die allgemeinen Regeln gelten, dass Daten und Informationen der Open-Data-Plattform nicht für Anwendungen oder Veröffentlichungen verwendet werden dürfen, „die kriminelle, rassistische, diskriminierende, verleumderische, pornografische, sexistische oder homophobe Aktivitäten unterstützen, zu solchen Aktivitäten anstiften oder gegen geltendes Recht verstoßen“.
Bedenken zu kommerzieller Nutzung
Bedenken gibt es auch hinsichtlich der kommerziellen Nutzung von Daten, die durch Steuergelder finanziert wurden. Etablierte Geschäftsmodelle könnten dadurch gefährdet werden.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund möchte gern Preisschilder an die Daten machen. Der Deutsche Städtetag dagegen sieht es kritisch, kommunale Daten gewinnbringend an Dritte zu verkaufen. Städten und ihren Bürgern entstünde schließlich ein Mehrwert, wenn aus den Daten Anwendungen entwickelt würden, die das Leben einfacher machten und die Wirtschaftskraft von Unternehmen stärkten.
Keine Chance für „Fake News“
Für die Verwaltung selbst wird voraussichtlich auch der Aufwand sinken, wenn es darum geht, Pressefragen zu beantworten. Zuweilen muss man auf Antworten aus der städtischen Pressestelle tagelang warten. Mit Open Data können Journalisten vieles selbst nachschauen und in den Daten interessante Themen aufspüren. Erfahrungen anderer Städte hätten gezeigt, heißt es in dem Konzept, dass Anfragen auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes zurückgingen.
Der einfachere Zugang zu Verwaltungsdaten würde zudem einer „postfaktischen Berichterstattung“ entgegenwirken. Mit Open Data lassen sich potenzielle „Fake News“ oder unrichtige Sachverhaltsdarstellungen als solche leichter erkennen - oder auf der anderen Seite Fehler der Stadt aufdecken wie im Fall des falsch bewerteten Zustands von Straßen.
Stellvertretende Leiterin der Dortmunder Stadtredaktion - Seit April 1983 Redakteurin in der Dortmunder Stadtredaktion der Ruhr Nachrichten. Dort zuständig unter anderem für Kommunalpolitik. 1981 Magisterabschluss an der Universität Bochum (Anglistik, Amerikanistik, Romanistik).
