
© Marcel Drawe
Ticket ja, Ausweis nein: Eurobahn bei Kontrolle ohne Herz für Kinder
Bahnstrecke Dortmund-Hamm
Die Eurobahn drückt bei Kindern kein Auge zu: Als Joel Solinger (10) in eine Fahrkartenkontrolle gerät, zeigt er sein Schülerticket. Das reicht der Zugbegleiterin nicht. Eine Bahnfahrt, die in Tränen mündet.
Der zehnjährige Joel Solinger ist begeistert von Eisenbahnen und Bussen. Seine Eltern erlauben ihn, auf bestimmten Strecken im Kreis Unna mitzufahren, wenn er unterwegs den Telefonkontakt hält. Dann haben alle ein gutes Gefühl.
Nun hat die Begeisterung des jungen Eisenbahn-Fans einen Dämpfer erlitten – und das liegt einerseits an einem Missgeschick seines Vaters Thorsten Solinger (40) beim Packen des Brustbeutels und andererseits an einer Fahrkartenkontrolle, die nicht so gelaufen ist, wie Eltern sie sich von einem kinderfreundlichen Bahn-Unternehmen wünschen. Die Rekonstruktion des Vorfalls wirft die Frage auf, ob Eurobahn-Mitarbeiter bei Konfliktfällen im Umgang mit Kindern mit dem nötigen Ermessen und mit Augenmaß vorgehen und ob das Unternehmen ihnen zugesteht, ein Herz für Kinder zu zeigen.
Plötzlich fehlt der Schülerausweis im Brustbeutel
Am 5. Januar fuhr Joel aus Dortmund-Kurl nach Kamen. Ursprünglich war der Realschüler in Hamm gewesen, hatte aber auf dem Rückweg den Ausstieg am Bahnhof Kamen verpasst. Das ist für den jungen Bergkamener, der sich auskennt, kein Grund zur Panik: In Kurl stieg er in einen Gegenzug der Linie RE3 um.
Die böse Überraschung erlebte Joel, als er seinen Brustbeutel mit dem Schülerticket bei einer Fahrkartenkontrolle vorzeigte. Den auf seinen Namen ausgestellten und für die Strecke passenden Fahrschein hatte er zwar dabei, aber es fehlte der Schülerausweis. Das Ticket ist nur in Verbindung mit einem Lichtbildausweis gültig.

Ein Zug der Eurobahn am Bahnhof Kamen. Kinder ab sechs Jahren benötigen einen Fahrschein, bei persönlichen Fahrscheinen, wie zum Beispiel dem Flashticket, ab der 5. Klasse einen gültigen Lichtbildausweis zur Identifikation. © Marcel Drawe
Statt mit einer Erklärung oder Ermahnung über den fehlenden Ausweis hinweg zu sehen, verhängte die Kontrolleurin wegen eines Verstoßes gegen die Beförderungsbedingungen ein „erhöhtes Beförderungsentgelt“ von 60 Euro. Dabei soll sie patzig und unfreundlich gewesen sein und dem Kind keine Möglichkeit der Rechtfertigung gegeben haben. „Mein Sohn kam nach Hause aufgelöst vom Weinen und schilderte mir, was geschehen ist“, sagt Joels Vater Thorsten Solinger.
Er nennt die Vorgehensweise der Eurobahn, die er als unangemessen streng empfindet, eine „Frechheit“. Und über sich selbst ärgert er sich, weil er den Schülerausweis nicht in den Brustbeutel zurückgelegt hatte, nachdem er ihn für Joels Kinderimpfung herausgeholt hatte.
Eurobahn bestreitet Fehlverhalten gegenüber Kind
Die Eurobahn-Betreiberfirma Keolis bestreitet, dass die Kontrolleurin sich im Ton vergriff und unangemessen reagierte. „Die diensthabende Kundenbetreuerin ist selbst eine Vierfach-Mutter, die den Umgang mit Kindern privat wie beruflich stets freundlich und respektvoll pflegt“, erklärt Sprecherin Danica Dorawa. „Sicherlich ist ein solcher Vorfall für Kinder auch erst einmal eine Belastung, die zu Tränen führen kann.“
Ticket ohne Ausweis ist so wie gar kein Ticket
Sollte Zugbegleitern nicht daran gelegen sein, dass Bahnfahren für Kinder nicht zum Weinen ist? Die Zugbegleiterin hat Joel wegen des fehlenden Schülerausweises so behandelt, als hätte der Junge überhaupt gar kein Ticket dabei. Das namentliche Schülerticket, das er vorzeigte, machte keinen Unterschied. Eurobahn-Sprecherin Dorawa: „In beiden Fällen gilt die gleiche Vorgehensweise: Der Umgang mit Minderjährigen soll sensibel erfolgen.“ Sensibel heißt aber offenbar nicht, vom erhöhten Beförderungsentgelt bei Kindern unter Umständen abzusehen.
Kein Ermessen gegenüber Kindern
Die Eurobahn behauptet, dass es für die Kontrolleure überhaupt kein Ermessen gibt, bei vorhandenem Ticket und fehlendem Schülerausweis von einem erhöhten Beförderungsentgelt abzusehen. „Ein Ermessensspielraum lassen die gültigen Tarifbestimmungen nicht zu, jedoch gehen unsere Kundenbetreuerinnen und Betreuer hier mit Fingerspitzengefühl vor. Bevor eine Fahrpreisnacherhebung erstellt wird, erkundigen sie sich nach anderen Identifikationsnachweisen, wie zum Beispiel Schulbücher mit Namen, Krankenkassenkarten oder ähnliches“, so Dorawa.
Die Eurobahn redet sich auch damit heraus, dass die Tarifbestimmungen auf die Verkehrsverbünde zurückgehen. Demnach benötigen Kinder ab sechs Jahren einen Fahrschein, bei persönlichen Fahrscheinen, wie zum Beispiel dem Flashticket, ab der 5. Klasse einen gültigen Lichtbildausweis zur Identifikation.
Eurobahn-Kundencenter akzeptiert keine
Die Bestimmungen sind es auch, die Thorsten Solinger zunächst wenig Hoffnung machen, dass er um die Zahlung von 60 Euro herumkommt. Zwar gibt es die Möglichkeit für Ticketinhaber, im Nachgang einer Kontrolle das Eurobahn-Kundencenter in Hamm aufzusuchen, um dort eine Reduzierung der Gebühr auf 7 Euro zu erfragen. Die Reduzierung lässt sich aber laut Eurobahn nur durch das Vorzeigen persönlicher Zeitfahrkarten bewirken, nicht aber durch Lichtbildausweise, „da hier nicht eindeutig geklärt werden kann, ob die Person auch die Person ist, die die Fahrt durchgeführt hat“, so Eurobahn-Sprecherin Dorawa.
Doch Solinger hat es trotzdem versucht und per E-Mail an das Kundencenter einen Antrag gestellt. Den hat die Eurobahn überraschend akzeptiert – und so nachträglich für den zehnjährigen Joel doch noch eine Ausnahme von den Bestimmungen gemacht.
Jahrgang 1973, aufgewachsen im Sauerland, wohnt in Holzwickede. Als Redakteur seit 2010 rund ums Kamener Kreuz unterwegs, seit 2001 beim Hellweger Anzeiger. Ab 1994 Journalistik- und Politik-Studium in Dortmund mit Auslandsstation in Tours/Frankreich und Volontariat bei den Ruhr Nachrichten in Dortmund, Lünen, Selm und Witten. Recherchiert gern investigativ, zum Beispiel beim Thema Schrottimmobilien. Lieblingssatz: Der beste Schutz für die liberale Demokratie ist die Pressefreiheit.
