Für manche Menschen ist ein Tattoo einfach nur etwas Schönes. Für andere ist das Motiv auf der Haut noch viel mehr: Es ist eine dauerhafte Erinnerung an einen Menschen, der nicht mehr da ist.
Wenn diese Menschen nicht mehr da sind, dann suchen die Hinterbliebenen in ihrer Trauer oft den für sich richtigen Weg, damit umzugehen. Die Beratungstellte Möwe in der Hörder Rathausstraße hilft dabei. Und helfen kann vielen Menschen auch das benachbarte Tattoostudio von John Read: Hier kommen immer mehr Menschen, die sich an Erinnerung an Verstorbene etwas tätowieren lassen.
Irgendwann kam auch Beate Schwedler aus der Beratungsstelle ins Tattoostudio: Nicht mit dem Wunsch nach einem Tattoo, sondern mit dem Wunsch, man möge bei einem Podcast mitmachen: Ein Podcast über Verlust, Leben, Trauer und Tod: Einmal im Monat unter dem Titel „Leben und Lassen“ produziert vom Verein „Forum Dunkelbunt“, Trägerverein der Möwe, der Trauerbegleitung für Kinder und Jugendliche. Am Mikrofron sitzen in der Regel Alexander Lategahn und Kathrin Im Winkel. Und dieses Mal nach erstem Zögern auch Sophie Read.
Die 24-jährige Tochter von Geschäftsinhaber John Read erinnert sich: „Ich war erst ein wenig unsicher, dachte das sei sicher anstrengend und ausfragend“, aber Alexander Lategahn („Bestattungen Lategahn“) habe das ganz wunderbar moderiert: Die beiden plaudern also eine Dreiviertelstunde über „Ewigkeitsaspekte von Tätowierungen und über Tattoos als Erinnerungskultur“.
Heute ist sie froh, dass sie zugesagt hat: Wir haben doch alle etwas mit Menschen zu tun, die mit dem Tod nahe stehender Menschen konfrontiert sind: Lategahn, Möwe und ihr Studio. Sie habe, so sagt die junge Frau, aus dem Gespräch viel mitgenommen. Und schmiedet nun Pläne, diesen Menschen, die genau aus diesem Grund das Studio in der Hörder Rathausstraße betreten, noch besser beraten zu können - in einem Gespräch gemeinsam herausfinden: Wie geht es mir, wen vermisse ich, was möchte ich daraus machen? Ruhig, offen, „wie bei einem Therapeuten“, so formuliert es die 24-Jährige. „Das Tattoo ist dann die Diagnose“ - und bestenfalls Therapie zugleich.
Die beliebtesten Motive als Erinnerung
„Es sind oft die allerersten Tattoos, die sich diese Menschen machen lassen“, sagt die 24-Jährige. Sie kommen nach einem Schicksalsschlag, suchen nach Wegen, für sich diesen zu verarbeiten - und lassen sich tätowieren. Die Motive: Treppen, die in den Himmel führen, Engelsflügel, Geburtsdaten, Kreuze, Fotos, Schriftzüge, eine abgelaufene Sanduhr - Das alles bringt Sophie Read auf die Haut der Menschen.
Etwa ein Viertel ihrer Kunden wünsche sich solche Motive, schätzt die 24-Jährige. Und es würden mehr. Manche kommen mit einer festen Vorstellung, formulieren die klar in einem Satz - und schweigen. Andere suchen Rat, und erzählen, was sie bewegt. Und nicht immer geht das an der 24-Jährigen spurlos vorbei: „Wenn das Ganze eine Serie wäre und ich die zu Hause gucken würde, dann würde ich losheulen“, sagt sie. Sie muss den Mittelweg finden, authentisch will sie sein, empathisch, aber natürlich auch professionell. Vor ihrem Studium hat Sophie Read ein Freiwilliges Soziales Jahr im Krankenhaus gemacht hat. Sie hat dort einiges an Leid gesehen und gehört. Das hilft jetzt, damit umzugehen.

Besonders mitgenommen hat sie der Tod eines elfjährigen Jungen. Es war der Bruder einer Freundin, die „ich schon von klein auf kenne“. Der Junge starb völlig überraschend. Jetzt erarbeitet sie mit der ganzen Familie ein Tattoo, das an den Jungen erinnern soll: In einem solchen Fall, nüchterne Fragen zu stellen, wie „wie groß soll es denn sein?“ - immer wieder eine Herausforderung. Die Familie kommt demnächst zum neuen Termin fürs Tattoo. Das Motiv steht: Der Fingerabdruck des Jungen, um den die Daten der Familie verewigt werden.
Andere Kunden lassen sich immer wieder aufs Neue Katzenköpfe auf den Arm tätowieren. „Für manche Menschen, ist es genauso schlimm, wenn die geliebte Katze oder der Hund stirbt“, sagt Sophie Read. Manche haben vielleicht sonst niemanden. Auch solche Motive finden sich in den Fotoalben im Eingangsbereich, aus denen sich die Kunden Anregungen und Inspiration holen können.

Drei eigene Tattoos
Sophie Read selbst hat drei Tattoos, wie sie verrät: ein kleines Herz, ein Kreuz und einen Schriftzug: „Pax Copia“, eine Art Jahrhunderte alter Familienschlachtruf der Familie des Papas in England; nichts Kriegerisches. Es ist sinngemäß der Wunsch, Frieden zu bringen. Etwas, das Sophie Read gerne mit ihrer Arbeit für die Seelen ihrer Kunden erreichen will.
Als 16-Jährige hat sie sich auf diese Weise selbst geholfen: Die Oma war gestorben - und Sophie sehr traurig. Sie setzte sich in ihr Zimmer und stach sich das Kreuz selbst. Der Papa hätte es nicht gemacht. Der Mann, der seit 2001 das Tattoo-Studio an der Hörder Rathaustraße führt, „hat mir immer gesagt, das gibt es erst ab 25 Jahren“, erinnert sich Sophie.
Dabei hatte sie schon mit sechs das erste Mal die Nadel in der Hand gehabt und damit dem Papa einen kleinen schwarzen Punkt auf die Haut gezaubert. Sie fängt früh an zu zeichnen, und tätowiert ein paar Jahre später bei den ersten Menschen, „die sich bei mir getraut haben.“ Sie lacht.
Inzwischen macht sie das seit zehn Jahren - und will es ganz sicher weitermachen: Das Studio weiterführen. Und möglicherweise trifft man sie dort auch mit ihren Brüdern: Der eine ist Maler und Lackierer, hat aber auch das Tätowieren gelernt und auch der jüngste Bruder gehe in die „handwerklich kreative Richtung“, sagt Sophie Read.
Sie haben ein Tattoo als Erinnerung?
Haben Sie sich auch ein Tattoo als Erinnerung stechen lassen? Dann zeigen Sie es uns gerne, schreiben ein paar Zeilen dazu und schicken es an do-sued@mdhl.de.
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