In den ersten fünf Jahren des Jahrtausends war das Cosmotopia für viele der heißeste Club der ganzen Gegend. Niemand hatte ihn geplant - er entstand aus Freundschaft und aus Liebe zur Musik.
Am Tag nach dem letzten Abend, am 1. Mai 2007, haben sie einen Flohmarkt gemacht, die Einrichtung auf den Vorplatz geschleppt und vertickt. Möbel, Lampen, Mikrowelle. Denn dem Cosmotopia stand der allerletzte Tanz ins Haus: der Abrissbirnen-Swing.
Während des Flohmarkts, erzählt Betreiber Sinischa Wichmann, hätten sich die Leute kleine Stücke von den Teppichen abgeschnitten und mitgenommen. Teppichstücke voller Schweiß, zumeist glücklich vergossen, und wahrscheinlich auch Blut. Als Erinnerung an einen einzigartigen Club, der sich nicht wie ein Club anfühlte.

Das Cosmotopia 2007, kurz vor dem Abriss. © Alois Reminghorst
Das Cosmotopia an der Schützenstraße 146 war ein Club-Projekt, das von vielen Menschen erschaffen und von 2000 bis etwa 2005 mit Leidenschaft betrieben wurde. Heute, fast 20 Jahre später, haben wir mit einigen von ihnen gesprochen. Jeder von ihnen erinnert sich an andere Dinge, aber jeder erinnert sich liebevoll. Und jeder scheint immer noch ein bisschen erstaunt zu sein darüber, dass es diesen besonderen Club wirklich gegeben hat, fünf Jahre lang.
IAMX wurde bekehrt
Stefanie Wichmann-Tanklage, inzwischen mit Sinischa Wichmann verheiratet, erinnert sich zum Beispiel an den Auftritt des Musikers IAMX. Es habe vorher eine Info vom Management gegeben. Der Künstler werde erst kurz vor dem Auftritt anreisen und sich direkt danach wieder verabschieden.
Abends sei der Musiker erst mal im Wagen geblieben und habe seinen Manager vorgeschickt. Wie manche Stars sich eben so inszenieren.
Stunden nach dem Konzert (das laut Cosmotopia-Betreiber Sinischa Wichmann eins der besten überhaupt war) sei ihr aufgefallen, dass der Wagen noch vor dem Cosmotopia wartete, und darin saß nur der Manager. Sie habe IAMX dann an der Bar gefunden, wo er stockbesoffen vor sich hingeklagt habe: „Ich versteh‘ die Welt nicht mehr!“
„Lass den erst mal nach Cosmohausen kommen“
Wichmann-Tanklage sagt, für Leute, die noch nie da waren, habe es damals ein geflügeltes Wort gegeben: „Lass den erst mal nach Cosmohausen kommen.“ Das Cosmotopia, diese ranzige Betonbude an der Schützenstraße 146, war einzigartig. Jeder musste es erst mal kennenlernen.

Selbst im Halbdunkel wirkt die Tapete wie eine Halluzination. © Cosmotopia
Martin Juhls, damals Booker und PR-Mann, sagt: „In anderen Läden hast du dich hinterher nur daran erinnert, dass du Bier getrunken hast. Hier hast du dich an die Musik erinnert und an die Leute, die du getroffen hast.“ Jeder, mit dem wir gesprochen haben, sagt: „Es war nichts geplant. Es konnte immer alles passieren.“
Es begann ohne Plan, aber mit Gespür
Der Anfang war eine Geburtstagsparty, die Sinischa Wichmann und einige Freunde für einen Freund organisiert haben. Ungefähr 1999, im ehemaligen Checoolala. Sie nannten die Party „Neotopia“, und „Neotopia“ war super, sie wollten noch eine machen und suchten einen Ort. Jemand sagte, in einem alten Haus an der Schützenstraße 146 probe eine Band, da könne man gut feiern.
Sinischa Wichmann: „Und dann haben wir die Party gemacht und dann explodierte das Ding. Da ging gar nichts mehr. Da gabs ja noch keine Social Media, nur Mundpropaganda. Das war so cool, dass wir gesagt haben, da machen wir was draus. Ich war hauptberuflich Musiker und hab nie gedacht, dass ich mal einen Club betreibe. Aber dann machst du ne Party und hast voll Alarm. Also haben wir es angefangen.“
Das ehemalige Bordell machte die Behörden misstrauisch
Nach ein paar weiteren, privaten Partys stellte Wichmann den Laden auf offizielle Füße – was nicht ganz einfach war. Denn in den 90ern lief in dem Haus ein illegales Bordell, und die Behörden waren misstrauisch: War Wichmann nur ein Strohmann für den Bordellbetreiber, der seinen Puff wieder einrichten wollte? Unter der Bedingung, die obere Etage mit zu konzessionieren, bekam Wichmann schließlich grünes Licht. Anfang 2000 lief der Club an, betrieben von Wichmann und zehn bis zwanzig Freunden.
Kurz danach, erzählt Wichmann, habe es im Team eine Grundsatzentscheidung gegeben. Einige wollten lieber auf die Underground-Art weitermachen, ohne offizielle Ankündigungen und ohne Verantwortung. Wichmann habe das Team vor die Wahl gestellt: Entweder auf seine Art, offiziell und verlässlich, oder ohne ihn. Die meisten, sagt er, stimmten für ihn.
Das Cosmotopia begann direkt mit einer 7-Tage-Woche
Mit neuem Namen, Cosmotopia, ging es im Frühjahr 2000 richtig los. Fast jeden Abend, erzählt Wichmann, hatten sie geöffnet, jeden Abend mit anderem Programm, montags und donnerstags Konzerte, dienstags die Kulturreihe Ekamina, die später ins Sissikingkong wechselte. Außerdem Sessions und DJ-Tanzabende.
Das Team wuchs. Martin Juhls, DJ und Musiker, der heute unter anderem beim Juicy-Beats-Festival mitarbeitet, wurde ins Team geholt. Er übernahm die Programmplanung und -organisation und die Öffentlichkeitsarbeit. Er holte weitere DJs und organisierte die Konzerte.
Juhls: „150 Konzerte habe ich in den fünf Jahren organisiert und die Künstler betreut, vom ersten Anruf bis zum Frühstück am Tag nach dem Konzert.“
Ein Vollzeitjob: „Der Laden war immer supervoll. Meist hab‘ ich mich um 11 Uhr abends nach oben ins Büro gesetzt und gearbeitet bis 3. Als dann die Touristen weg waren, bin ich runter und hab mit den Stammgästen gefeiert. Mindestens fünf Tage die Woche war ich im Laden. Sonntags bin ich nicht ans Telefon gegangen. Das ist meine Wiege gewesen. Da habe ich ganz viel gelernt.“
Atmosphäre wie in einer WG
Da war einerseits die Einrichtung: Liebevollster 70er-Trash, dicke Teppiche auf dem Boden, Polstersessel, rotes Schummerlicht und eine Kaminattrappe.

Boxenturm zwischen echten Polstern und falschem Kamin. © Cosmotopia
Andererseits war da das Team. Richtig freundliche Menschen, das sagen alle, mit denen wir darüber gesprochen haben. „In manchen Clubs“, sagt der Dortmunder DJ und Rapper Der Wolf alias Jens Albert, „sind die Leute am Tresen und an der Tür arrogant, oder du hast das Gefühl, dass sie nur ihren Job abreißen. Das war im Cosmo nie so, die waren familiär und super entspannt.“
Auch im Team selbst war der Zusammenhalt freundschaftlich und familiär, sagen die damaligen Mitarbeiter heute.
Sinischa Wichmann: „Es hat sich nie wie ein Betrieb mit einer klaren Hierarchie angefühlt. Ich habe mich gefragt: Was fehlt mir in anderen Läden? Dass die Leute freundlich sind.“ Wenn jemand zum Beispiel psychische Probleme hatte, sagt Wichmann, „dann musst du dir halt Zeit für ihn nehmen. Wie in einer Familie. So hat sich das angefühlt.“
Alle verdienten das Gleiche
„Wir hatten eine Zeit“, sagt Stefanie Wichmann-Tanklage, „da haben alle von uns den gleichen Stundenlohn gehabt, von der Toilettenfrau bis zur Theke. Weil wir wussten, dass wir alle gleich wichtig waren für den Laden.“
Das übertrug sich auch auf das Cosmotopia-Publikum. „Ich würde die Leute, die damals da waren, New-School-Hippies nennen“, sagt Der Wolf. Im Trend lagen Schlaghosen und bunte Hemden. Der Wolf: „Die Geisteshaltung war liberal, tolerant, peaceful.“
Ein Breakdancer hatte eine Scherbe im Kopf
Viele sagen, das Cosmotopia habe sich nicht wie ein Club angefühlt. Sondern wie eine richtig gute Party in einer netten WG. Und wenn jemand sich mal verletzte, dann wurde Steffi gerufen, Stefanie Wichmann-Tanklage, gelernte Heilerziehungspflegerin.
„Einmal waren da ein paar Leute, die haben auf dem Teppich Breakdance gemacht“, erinnert sie sich. „Ich sag noch: ‚Leute, ihr habt da keine Pappe drunter‘. Aber das war ihnen egal, und sie haben nicht gesehen, dass kurz vorher eine Bierflasche runtergefallen ist. Kurz darauf musste ich dann einem von ihnen eine Scherbe aus dem Kopf popeln.“

Stillleben mit Aschenbecher. © Cosmotopia
Dass diese Atmosphäre so lange gehalten hat, sei „nicht zuletzt das Verdienst von Sinischa“, sagt Der Wolf. „Wenn Sachen erfolgreich sind, ist die Versuchung groß, immer noch einen draufzusetzen, es immer noch größer zu machen. Aber das verändert die Identität von einem Laden. Sinischa hat das bewusst nicht gemacht.“
Jahrelang kam das Cosmotopia ohne Türsteher aus
„Was ich bemerkenswert finde“, sagt Ex-Cosmo-DJ Martini heute, „ist, dass wir lange diskutiert haben, ob wir überhaupt Türsteher brauchen. Die ersten Jahre sind wir komplett ohne ausgekommen.“ Aber irgendwann habe sich das Cosmo so weit rumgesprochen, dass auch mal jemand kam, der sich zu sehr betrank und dann nicht mehr in der Lage war, sich zu benehmen.
„Da musst du ganz klare Linien ziehen“, sagt Sinischa Wichmann. „Das Motto war ganz einfach: Komm vorbei, hab Spaß, go crazy, aber belästige niemanden, lass die anderen auch feiern.“ Wer total besoffen herumgeprollt oder Frauen betatscht hat, der wurde hinausgebracht.

Auch draußen saß man gepolstert. © Cosmotopia
„Wir konnten spielen, was wir wollten, und es funktionierte“
„Was das Cosmotopia von allen anderen Läden unterschied“, fasst Martin Juhls zusammen, „waren die Abende mit Family Affair.“ Das DJ-Trio legte regelmäßig auf. „Alex Brandt, Lefty und Martini, die waren das künstlerische Herz des Ladens. Wenn die reingekommen sind, haben sie sich direkt ans Pult gestellt und aufgelegt, bis morgens, ein Riesenspaß, es gab kein Ende, wunderschön. Das war absolut magisch.“
Martini alias Wolfgang Kienast erinnert sich: „Die Leute kamen rein, warfen ihre Jacken ab und tanzten sofort. Das habe ich dort zum ersten Mal erlebt. Das muss an dem Laden gelegen haben, dass es eben keine durchgeplante, durchdesignte Diskothek war.“

Style ist alles. © Cosmotopia
„Ich glaube auch“, sagt Martini, „das Cosmotopia war der erste Laden, wo die DJs nicht in einer abgetrennten Kabine aufgelegt haben. Sondern einfach mitten im Laden.“
„Und wir konnten musikalisch die verrücktesten Sachen machen. Zum Beispiel die Flipperparty, wo wir nur Stücke spielten, die irgendwas mit Wasser zu tun haben. Und wer uns einen Plastikdelphin mitbrachte, bekam einen Cocktail umsonst. Oder den Abend, wo wir nur französische Lieder gespielt haben. Und wir haben uns verkleidet. Das ist aus heutiger Sicht wahrscheinlich albern, aber damals hat es einfach funktioniert.“
„Das war Stille Post und Wundertüte“
Das Besondere an Family Affair, sagt Martini, war das gegenseitige Ergänzen und Anstacheln. Sie legten immer im Wechsel auf, jeder ein Lied, der nächste musste sinnvoll daran anknüpfen. „Es war immer so etwas wie Stille Post und Wundertüte. Das Coole war, dass wir nicht nur bekannte Hits spielen mussten, damit die Leute tanzen. Der DJ wurde damals mehr als Trüffelschwein gesehen.“ Anders gesagt: Die Leute tanzten auf Vertrauen, und sie wurden nicht enttäuscht.
Wenn er an die Musik denkt, dann fallen Dem Wolf keine einzelnen Lieder ein. „Das war eher die Richtung: 60er und 70er, aber nicht Boney M. und Marianne Rosenberg, sondern Soul, Funk und Hippierock.“ Und dass die Leute tanzten, auch wenn sie das Lied nicht kannten, das sei so gar nicht typisch deutsch. Aber typisch Cosmotopia.
Die Konzerte brachten kein Geld, aber Publikum
„Über die Konzerte haben wir viel diskutiert“, erinnert sich Programmchef Martin Juhls. „Weil die nicht viel eingebracht haben.“ Aber er habe argumentiert: Wenn gute Bands aus Hamburg und Berlin hier spielen, dann erfahren das auch die Fans der Band in den Heimatstädten.
Und wenn die mal in die Gegend kommen, dann kennen sie das Cosmotopia schon vom Namen und kommen her. „Und genau so war’s.“
Jeder hat die Momente, an die er zurückdenkt
Bei einer Session spielte ein Schlagzeuger, den Sinischa Wichmann nicht kannte. Auf einmal sei der da gewesen, erinnert sich Wichmann. Jemand raunte ihm zu: „Du weißt, wer das ist, oder?“ Wichmann: „Nee, aber zocken kann er!“ - „Allerdings. Das ist der Schlagzeuger von James Brown.“ - „Cool!“
Bei den Sessions, sagt Wichmann, „da gab es so geile Momente, das war magic. Das war improvisiert, aber manchmal entwickelten sich daraus musikalische Dinge, die waren so geil, dass die ganze Bude einfach ausgeflippt ist. Für mich als Musiker natürlich immer wieder absolute Highlights.“
Was noch in Erinnerung geblieben ist
- Der erste Auftritt von Mambo Kurt, der stundenlang die Leute in Bewegung hielt, während der Schweiß die Wände hinunterrann.
- Der Tanz in den Mai, wo gefühlt jeder Gast Sonnenbrille trug und Essen aus Bananenblättern verspeiste.
- Die Silversterparty, wo das Bier nicht reichte und die ganze Nacht über jemand die Tankstellen leerkaufen musste.
- Das Konzert der italienischen Postrockband Giardini di Mirò, wo die Trompete übers Mikro abgenommen und bis ans Limit verstärkt werden musste, um mit der Lautstärke der übrigen Band mitzuhalten, und laut Martin Juhls alle 20 Zuhörer bis heute beteuern, dass das eins der besten Konzerte aller Zeiten war, und er beteuert das auch.
- Die Schlange vor dem Laden, zwei Häuserblöcke lang, bis morgens um fünf.
- Die Putzkolonne, die sich morgens um sechs zu den Gästen an die Theke stellten, bis der letzte Tanz getanzt war.
- Die Geburtstagsfeiern am 1. Mai, zu denen die Gäste Geschenke mitbrachten: Blumen, CDs, Sekt.
Mit den Türstehern änderte sich etwas
Als die Türsteher schließlich eingestellt wurden, 2003 oder 2004, erinnert sich Martini, änderte sich der Spirit etwas. „Das kann man, bei aller Verklärung, nicht leugnen.“ Das Cosmotopia habe etwas von seiner familiären Atmosphäre verloren, es wurde kommerzieller.

Der Schriftzug war stylisch. © Cosmotopia
Gleichzeitig habe sich einiges verbessert: „Wir hatten zu der Zeit zum Beispiel die beste Cocktailbar der Stadt.“
Das Ende begann 2005
2005 wollte Sinischa Wichmann nicht mehr. „Ich war aufgerieben. Erschöpft, Burn-Out. Wollte den Laden verkaufen. Die Arbeit hatte eine Intensität, die man nicht mehr steigern konnte. Vier oder fünf Jahre kaum geschlafen. Ich hab Momente in Erinnerung, wo Steffi dachte, ich schlafe, aber ich lag immer noch wach und wwwww...“ - er dreht die Hände an den Schläfen.
„Ist ja nicht so, als wenn du ein Café hast und jeden Tag nur Kaffee rausgibst. Sieben Tage die Woche wechselndes Programm, ob Konzert, Performance, was auch immer, alles mit eigenen Anforderungen.“
Es gab Gerüchte über die libanesische Mafia
Aber es fand sich niemand, zum Teil wohl auch wegen einiger wilder Gerüchte, die man sich erzählte. Dass die libanesische Mafia ihn unter Kontrolle habe, zum Beispiel. Wichmann: „Keine Ahnung, wo das herkam.“ Dass er den gut laufenden Laden verkaufen wollte, schürte weiteres Misstrauen.
„Aber es wollte keiner kaufen.“ Einfach zumachen war keine ernsthafte Option, denn Wichmann hatte einen kleinen Sohn. Einfach erst mal in den Tag hineinleben, das ging nicht.
Wichmann: „Wir haben das Cosmo in dem Augenblick eigentlich zugemacht und es von da an Wohnzimmerclub genannt. Die einzige Option, die mir blieb, war, das inhaltlich alles schwer zu reduzieren. Nur noch Freitag und Samstag, und die Session haben wir nicht mehr jeden Mittwoch gemacht, sondern nur noch einmal im Monat.“
Kurz vor Schluss kauften sie noch eine „richtig geile Anlage“
Dann kam das endgültige Ende, und zwar ziemlich überraschend. Wichmann erinnert sich: Ende 2006 hatten sie „endlich genug Geld für eine richtig geile Anlage zusammen“. Sie kauften eine, für rund 10.000 Euro, und bauten sie ein.
Wenige Tage danach habe ihn ein Bekannter gefragt, was das für Leute seien, die auf dem Gelände vor dem Cosmotopia „seit Kurzem ständig am Rummessen sind“.
Wichmann fragte seinen Vermieter, der sagte, er wisse nichts. Wichmann ging zum Bauamt und erfuhr, dass er nichts erfahren darf, weil er weder Vermieter noch Besitzer sei. Wichmann blieb hartnäckig, und schließlich hieß es: „Es wurde ein Bauantrag gestellt.“
Den Namen des Antragstellers erfuhr er auch. Also fuhr er hin, zu einem Architekturbüro in Dortmund. Die Leute dort schauten ihn groß an und sagten: „Wie, Sie sind da noch drin?“ Vor einem halben Jahr seien die Kündigungen rausgegangen, Wichmanns Vermieter hätte ihn informieren sollen. Zum 1.1.2007 sollen alle raus sein. Es war kurz vor Silvester.
Bei einer Abrissparty blieb es nicht
Die Umstände – eiskalter Winter, hartnäckige Nachbarn im Nebenhaus – erlaubten einen Aufschub. Wichmann kündigte für den 31. Januar die Abrissparty an. Doch der Winter blieb kalt und die Nachbarn hartnäckig, das Cosmotopia bekam noch einen Monat. Ende Februar also die nächste Abrissparty. Am 30. April gab es die endgültig letzten Teppichtanz. Am Tag darauf der Flohmarkt auf dem Hof.
Die letzte Zeit in der ständigen Sorge - „kommen die Bagger, kommen sie nicht?“ - das sei Psychoterror gewesen, sagt Wichmann.
Epilog
Die Monate nach dem 1. Mai 2007 sei er mit seiner Freundin Stefanie Tanklage durch Europa getingelt, erholen und Abstand gewinnen. Als sie erholt zurückkamen, hätten ihn so viele Leute auf das Cosmotopia angesprochen, dass er im Trödler/Einstein eine Art Revival-Party machte. Die Hütte bebte. Weitere Partys folgten.

Die Revival-Party im Trödler/Einstein. © Didi Stahlschmidt
Ab April 2008 machte er die Partys in der Großmarktschänke am Heiligen Weg, da habe es wieder Spaß gemacht, „bisschen Teppich ausrollen, bisschen Deko fummeln“. 2010 pachteten Stefanie Tanklage und er die Großmarktschänke. Seitdem liegt der Tanzteppich Dortmunds am Heiligen Weg. Ein neuer Teppich, und er liegt nicht in einer Bruchbude, sondern in einem stabilen, funktionstüchtigen Haus.
Die Wichmanns wohnen inzwischen in einem kleinen Ort im Sauerland. Wenn sie im Kindergarten ihres Sohnes das Cosmotopia erwähnt, sagt Stefanie Wichmann-Tanklage, sagen die anderen Eltern oft: „Ach, echt? Cool, da war ich früher auch oft.“
Einiges von dem alten Cosmotopia-Spirit zeichnet auch die Großmarktschänke aus. Den geschmackvollen 70er-Trash, die hervorragende Musik, die Sessions, die Nähe zu den DJs und Mitarbeitern, die „offene, aber bestimmte Warm-Welcome-Art“, wie es das Blog Last Junkies On Earth nennt.
Die Pfeifenreinigermännchen und das Cosmotopia-Lächeln
Immer mal wieder tauchen dort kleine Figuren aus Pfeifenreinigern auf. Die Wichmanns, inzwischen verheiratet, wissen nicht, wer sie zwirbelt und hinterlässt, mal an einem Barhocker, mal an der Diskokugelkette, mal woanders. Die dürfen bleiben, Stefanie Wichmann fotografiert sie, die Mitarbeiter stellen sie mal hierhin, mal dorthin. Denn wer die sieht, sagt sie, der lächle unwillkürlich.

Sinischa Wichmann in der Großmarktschänke. © Tilman Abegg
„Da bin ich Fan von“, sagt sie, „den Leuten ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.“
In Dortmund aufgewachsen, musikalische und kunsthistorische Ausbildung, journalistische Ausbildung bei den Ruhr Nachrichten. Seit 2011 Kulturredakteur für Dortmund. Berichtet über Kunst, Kultur, Kulturpolitik und alles, was man sehen, hören, fühlen, glauben oder verstehen kann.
