Küchenchef Dirk Grammon konzentriert bei der Arbeit. Er ist stolz auf den Stern, sagt aber: „Wir kochen für die Gäste, nicht für die Tester.“

© Grammon

Sternekoch Dirk Grammon: Dortmunder Stößchen passt auch zu Hummer und Trüffel

rnSerie „Dortmunds neue Sterneköche“

Der Sternekoch im Grammons ist ein Naturtalent ohne große Lehrmeister. Schon mit 21 war er ein Selfmade-Star, stürzte ab und stieg wieder auf. Jetzt sieht er Dortmund als 4-Sterne-Reiseziel.

von Annette Feldmann

Dortmund

, 27.03.2021, 06:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

„Wir sind hier kein Etepetete-Laden“, stellt der Sternekoch klar – und gießt gleichzeitig edelsten Champagner in ein Glas. Das ist kein Widerspruch bei Dirk Grammon (36). Es könnte nämlich genauso gut ein Pils als Aperitif sein. „Oder ein Stößchen“, ergänzt er. „Wir sind ja hier in Dortmund.“

Genau! Der Küchenchef und Inhaber des „Grammons“ sieht sich als bodenständiger Dortmunder und pflegt gern einen etwas hemdsärmeligen Ton.

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Auch wenn jetzt der Michelin-Stern über dem Restaurant am Wieckesweg unweit des Hauptfriedhofs leuchtet, bleibt es hier bei einer locker ungezwungenen Atmosphäre. Man muss sich nicht erst in Schale werfen, um Hummer und Trüffel zu genießen.

Keiner soll sagen: Das ist zu teuer

Man kann auch tagsüber mal reinschauen in die Weinbar im Empfang, zum Beispiel nach dem Einkaufen, und ein Gläschen von diesem oder jenem probieren. Dazu gibt’s dann Schinken, Salami, Käse oder ein Stückchen Quiche. „Ganz unkompliziert. Wir wollen die Leute total abholen. Da soll keiner sagen: Da kann ich nicht hingehen. Das ist zu teuer.“

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Es ist nicht das klassische Fine Dining-Konzept im „Grammons“. Ein Interior-Designer war jedenfalls nicht am Werk, als Dirk Grammon vor anderthalb Jahren die Räumlichkeiten übernahm. „Wir haben hinsichtlich der Einrichtung bescheiden angefangen, mit wenig Mitteln. Wir glänzen durch unsere Leistung.“

Der Griff nach dem Stern war noch gar nicht geplant

Das darf er so sagen. Denn: Schon vor der Michelin-Auszeichnung bekam Dirk Grammon 16 Punkte im Gault Millau und wurde „Entdeckung des Jahres“ im Großen Guide. Aber mit dem Stern hatte er nicht gerechnet. „Noch nicht“, sagt er.

„Wir wissen schon, was wir auf den Teller bringen und dass wir richtig gut sind. Aber wir hatten den Angriff auf den Stern noch gar nicht gestartet.“

Wollen endlich wieder ihre Gäste verwöhnen im Grammons am Wieckesweg: Dirk Grammon mit Ehefrau Sara und dem Küchenteam.

Wollen endlich wieder ihre Gäste verwöhnen im Grammons am Wieckesweg: Dirk Grammon mit Ehefrau Sara und dem Küchenteam. © Grammon

Dabei kennt er das eigentlich aus seiner Vergangenheit, überraschend schnell mit Lorbeeren bekränzt zu werden – und es hat ihm damals überhaupt nicht gut getan. Er ist hoch geflogen und abgestürzt. Es war in Werne an der Lippe, dem beschaulichen Kleinstädtchen nahe Dortmund. Der Jungkoch war erst 21 und eröffnete sein erstes Restaurant.

Erst hoch geflogen und dann abgestürzt

Kaum hatte er angefangen, den Kochlöffel zu schwingen, verlieh ihm der Gault Millau schon 17 Punkte. „Das war sensationell. Aber viel zu früh“, konstatiert Grammon heute im Rückblick.

Der kommt nicht auf den Teller! Der Zander lebt, darf nur fürs Foto posieren und dann zurück ins Wasser. Das Catch & Release-Angeln ist Dirk Grammons Hobby.

Der kommt nicht auf den Teller! Der Zander lebt, darf nur fürs Foto posieren und dann zurück ins Wasser. Das Catch & Release-Angeln ist Dirk Grammons Hobby. © Grammon

„Die Tester haben mich damals mit Harald Wohlfahrt und Helmut Thieltges verglichen, die über Jahrzehnte 3 Sterne hielten. Da fühlst du dich wie der König der Welt. Aber mir fehlte völlig die menschliche Reife. Ich konnte weder mit Mitarbeitern umgehen noch hatte ich wirtschaftlich irgendeine Ahnung.“ Es nahm ein schnelles, aber kein gutes Ende in Werne.

Seine anschließende Reise führte Dirk Grammon interessanterweise nicht durch die Welt der Sterneköche. Es war mehr ein Selbstfindungstrip, eine lange Besinnungsphase zwischen 23 und Anfang dreißig. Dirk Grammon kochte in vielen guten Restaurants, aber die berühmten großen Lehrmeister, denen man sich etwas abschaut, die gab es nicht.

Verschiedene Texturen vom Blauflossen-Thunfisch und der Gurke.

Verschiedene Texturen vom Blauflossen-Thunfisch und der Gurke. © Sascha Perrone

Ein Naturtalent und Selfmademan

Schon die 17 Gault Millau-Punkte damals in Werne, als er kaum ausgelernt hatte, waren ein deutlicher Hinweis: Dirk Grammon ist als Koch ein Naturtalent, ein Selfmademan. Seine Inspirationen bezieht er aus den Produkten selbst und ihren Verarbeitungsmöglichkeiten.

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„Natürlich sieht man auch schon mal irgendwo interessante Kombinationen, die einen neuen Anstoß geben, aber im Wesentlichen entstehen die Ideen eben im Kopf.“

In seiner Besinnungsphase wollte er herausfinden: Wer bin ich, was möchte ich machen, was erfüllt mich? Ein Restaurant in Dortmund schwebte da schon vor seinem geistigen Auge. Aber erstmal hat er sich – aus Schaden klug geworden – wirtschaftlich weitergebildet. Und offenbar auch Marketing-Verstand erworben.

Seine Idee: Eine 4-Sterne-Reise nach Dortmund

Denn heute ist er zwar sehr stolz auf seinen Stern („Eine ganz große Freude, Ehre und Verpflichtung“), aber das größte Potential sieht er in den 4 Sterne-Köchen gemeinsam: „Das ist doch eine Riesenchance für uns alle, für die gesamte Gastronomie und für die ganze Stadt. Jetzt können wir noch mal ganz andere Leute nach Dortmund holen und unsere Stadt in einer neuen Kulinarik darstellen.“

Er denkt an eine mehrtägige „Sterne-Reise“, vielleicht auch kombiniert mit einem Stadionbesuch oder der besten Currywurst der Stadt. „Und vier Abende in Folge kann man in Sterne-Restaurants gehen und erlebt jedes Mal ein völlig anderes Gastronomie-Konzept. Das gab es in Dortmund noch nie“, kommt er richtig ins Schwärmen.

Der Hummer aus Oosterschelde mit Blumenkohl, Karotten, Piemonteser Haselnuss-Curry und Bisque.

Der Hummer aus Oosterschelde mit Blumenkohl, Karotten, Piemonteser Haselnuss-Curry und Bisque. © Sascha Perrone

Luxus-Produkte sind die Stars der Küche

Tatsächlich haben die vier Dortmunder Sterne-Köche eine sehr unterschiedliche Handschrift. Das Etikett fürs „Grammons“ ist: Moderne französische Küche. Es ist eine Produktküche.

Exquisites Fleisch oder Fisch steht im Mittelpunkt, drumherum kreiert das Grammon-Team ein 7-gängiges Menü (komplett 115 Euro, man kann auch einzelne Gänge wählen). Inbegriffen sind drei kleine Gänge Amuse bouche zum Aperitif. Die Produkte sind der Star.

„Ich arbeite nur mit den besten der Welt“, versichert der Küchenchef stolz. Lamm und Reh vom Gutshof Polting, Hummer aus der Bretagne oder aus Oosterschelde in Zeeland (Grammon: „Die gleiche Gattung wie der bretonische, nur zarter“), Trüffel vom Direktlieferanten aus dem Perigord und Kaviar von einem Bergplateau in der Grenzregion China/Tibet.

Die Ente kommt aus Frankreich, vom Hof des Monsieur Mieral. Darauf legt der Küchenchef großen Wert.

Die Ente kommt aus Frankreich, vom Hof des Monsieur Mieral. Darauf legt der Küchenchef großen Wert.

Grammon: Eine geile Flüssigkeit ist ganz wichtig

Die Luxusprodukte werden in Höchstform gebracht und eine „geile Flüssigkeit“, wie der Sternekoch es nennt, gehört dazu und hat große Bedeutung. Gemeint ist hier nicht der Begleit-Wein oder Champagner, sondern eine Sauce oder Marinade.

„Sie ist das Element, das alles auf dem Teller zusammenfügt: Das Bindeglied zwischen zartem Fleisch, knackigem Gemüse und dem Knusper anderer Zutaten“, erklärt Grammon die Philosophie. Weil die Flüssigkeit so wichtig ist, und so lecker, gibt es auch zu vielen Gerichten einen Löffel statt des Messers.

So einladend sieht es aus, das „Grammons“ - und wenn es wieder losgeht, wird es auch einen schönen Garten geben.

So einladend sieht es aus, das „Grammons“ - und wenn es wieder losgeht, wird es auch einen schönen Garten geben. © Grammon

„Ich lass es aber nicht zu komplex werden“, sagt Grammon, „das Menü muss man verstehen. Am Ende kommt es nämlich nur auf eines an: Dass der Gast die Augen schließt und sagt: Oh Mann, ist das lecker! Denn wir kochen hier für die Gäste, nicht für die Tester. Der Laden muss voll sein, die Gäste zufrieden und die Wirtschaftlichkeit muss stimmen. Und wenn dann noch ein Stern dabei rausspringt – super!“

„Wir wollen endlich wieder arbeiten“

Apropos Wirtschaftlichkeit! Zum Lockdown sagt er: „Alles gut – ganz im Ernst. Seit Anfang November machen wir die Grammons-Box. Die hatten wir im ersten Lockdown konzipiert, im November gestartet. Das hilft. Und die staatlichen Hilfen reichen auch, das funktioniert. Aber wir möchten alle gerne wieder arbeiten!“

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Obwohl er sich im Lockdown auch außerhalb der Küche zu beschäftigen weiß: Grammon ist passionierter Angler. Am liebsten am holländischen Rhein. Hier angelt er aber nicht für die Küche: Er fängt Riesenfische ohne Haken, mit einem Gummiköder, und lässt sie wieder frei.

Aber die nächste schöne Beschäftigung ist: Das Restaurant wieder herrichten, und die Terrasse und den Vorgarten sommerlich gestalten! Alles soll sternemäßig schön werden. Und die Küche muss natürlich vom ersten Tag an funktionieren. Der Stern ist Verpflichtung.

Um sofort wieder auf die alte Leistung zu kommen, wird vorher Vollauslastung simuliert. Sicher ist: Das ganze Küchen-Team ist wieder am Start. Offenbar kann der Chef jetzt mit Mitarbeitern erfolgreich umgehen.

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