Der Einzug ins Hospiz am 17. Mai war für Silvia Busch keine Endstation. „Wir hätten es nicht gemacht mit dem Wissen, dass sie für immer hier bleibt“, sagt ihr Mann Mirko. Und sie hat gedacht: „Wenn es besser wird, gehe ich wieder nach Hause.“
Doch das Hospiz am Ostpark in Dortmund ist wie alle Hospize in der Regel ein Ort zum Kommen, um zu bleiben. Es sei denn, man geht ganz von dieser Welt. Im Foyer steht eine Kerze. Sie brennt, wenn ein Gast – so heißen die Patienten hier – für immer geht, und sie erlischt, wenn seine sterbliche Hülle abgeholt wurde.
Silvia Busch hat ihren Tod auf die lange Bank geschoben. Im Krankenhaus ging es der 53-Jährigen sehr schlecht. Es gab Momente, da hatte sie mit dem Leben schon abgeschlossen nach fast drei Monaten Klinikaufenthalt. Sie fühlte sich dort nicht gut aufgehoben, hatte 16 Kilo abgenommen.
Bösartiger Tumor in der Lunge
Die examinierte Altenpflegerin im Vorruhestand leidet seit Jahren unter einem Lungenemphysem, einer chronisch fortschreitenden Lungenerkrankung. Sie bekommt schlecht Luft. Seit sechs Jahren raucht sie nicht mehr, doch ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich. Die Atemnot wurde schlimmer.
Die Ärzte entdeckten auf der rechten Lungenhälfte einen Schatten. Die Mediziner gingen von einer Zyste aus, wollten Silvia Busch für eine Lungentransplantation anmelden. Es war auch eine Zyste, doch auf der rechten Lungenseite fanden sie drei Monate später einen bösartigen, inoperablen Tumor und Metastasen in der Lunge.
Keine Transplantation. Stattdessen wieder ein Stück Leben abgegraben. Doch sie bekam Chemo. „Die ersten beiden Chemos habe ich noch relativ gut vertragen“, sagt sie. Der Tumor war im März sogar etwas geschrumpft. Doch nach der dritten Chemo ging es ihr sehr schlecht. Diesen Teil der Geschichte muss Mirko Busch erzählen – und ihm kommen dabei die Tränen –; denn seine Frau hat keine Erinnerung daran. „Sie hat nur an die Decke geguckt, nicht gesprochen und nicht gegessen.“
Akutes Nierenversagen
Silvia Busch kommt am 22. April mit akutem Nierenversagen in die Notaufnahme des Krankenhauses. „Man wusste nicht, ob ich das überlebe“, sagt sie. Die Ärzte rieten ihr dringend von der vierten Chemo ab. Alle Therapien wurden abgebrochen. „Die haben gedacht, das wird nichts mehr“, sagt Silvia und fügt hinzu:. „Das haben die hier im Hospiz auch gedacht.“
Doch so kam es nicht. Für sie war der Einzug ins Hospiz, den eine Sozialarbeiterin im Krankenhaus vermittelt hatte, „ein Gefühl wie ein neuer Lebensanfang, auch wenn es komisch klingt. Das habe ich gefeiert“. Immer wieder betont sie, wie dankbar sie dafür ist. „Die Aufnahme hier war super.“
Die Menschen nähmen sich hier Zeit, die Mitarbeiter ebenso wie die Ehrenamtlichen. „Wir duzen uns alle. Man kommt hier schnell an.“
„Kleine Fressmaschine“
Ihr Appetit kam zurück. Und ihr Lebensmut. Sie wurde gar „zur kleinen Fressmaschine“. Das Hospizpersonal bereitet das Essen mit Liebe. Der Käse liegt in Sternchenform auf dem Frühstücksbrot. „Wir sind hier nicht Patienten, sondern tatsächlich Gäste. Wenn ich einen strammen Max möchte, bekomme ich einen strammen Max. Das ist hier wie all inclusive. Wenn ich traurig bin, bekomme ich ein Vanilleeis mit Sahne.“

Das Sterben hat hier einen Platz im Leben. Die professionellen Pflegekräfte und die ehrenamtlichen Helfer ermöglichen den schwerkranken und sterbenden Menschen Lebensqualität bis zum letzten Atemzug und ein Sterben in Würde. Ganz im Sinne von Cicely Saunders, der Mitbegründerin der Hospizbewegung, die sagte: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“
Das Hospiz am Ostpark liegt mitten in einem Wohngebiet in der östlichen Dortmunder Innenstadt und zeichnet sich durch eine freundliche, helle und familiäre Atmosphäre aus. Wer das rund geformte Haus mit Pultdach betritt, verbindet es trotz der Kerze im Foyer nicht mit Sterben und Tod.
Blick auf den Hospizgarten
In zehn wohnlichen Einzelzimmern mit Vorhängen und Möbeln in hellen, warmen Farben können sich die Sterbenskranken mit persönlichen Dingen umgeben. Im Zentrum des Zimmers von Silvia Busch steht das große Bett mit Blick auf den einladenden Hospizgarten. Auf dem Nachttischchen sammeln sich die Requisiten der Palliativmedizin, dahinter versteckt das Sauerstoffgerät, das Silvia Busch beim Atmen durch den Schlauch hilft, der ihr in der Nase klemmt.
Sie bekommt neben Sauerstoff Hydromorphon, morgens und abends als Tablette plus zwei Spritzen und bei Bedarf noch mehr. Das sei nicht gegen die Schmerzen, sagt sie, sondern „gegen die Atemnot, damit ich keine Panik bekomme“.
An der Wand hängt neben dem großen Fernseher ein Bild mit sandfarbenen Handabdrücken – eine Erinnerung an einen schönen Tag „Ich wollte noch mal nach Zandvoort ans Meer, die Füße ins Wasser halten. Und das haben sie von hier organisiert.“

Drei Kinder und sieben Enkel
Ehrenamtliche, ein ehemaliger Feuerwehrmann und ein Intensivpfleger, haben sie in den Wünsche-Wagen des Arbeiter-Samariter-Bundes gepackt und nach Holland gebracht. Mit einem Strandrollstuhl ging es durch den Sand zum Wasser. Silvias Familie kam mit. Am Strand fertigten sie zusammen mit Klebstoff und Sand das Händebild an. „Das sind Termine, die vergisst man einfach nicht“, sagt sie. Und dann fällt wieder das Wort „dankbar“.

Silvia Busch und ihr Mann Mirko (52) haben zwei Töchter, einen Sohn und sieben Enkelkinder. Jeden Tag schaut jemand von der Familie vorbei. So ganz könnten sich die Kinder noch nicht vorstellen, dass sie sterbe, sagt Silvia, „die Kinder hoffen alle, dass es besser wird.“
Doch sie selbst habe alles geklärt, „was das Danach betrifft“, eine Patientenverfügung gemacht und ihre Beerdigung geplant. „Ich möchte nicht, dass meine Kinder das entscheiden müssen.“
Noch einmal in Kroatien
Sie selbst mache sich keine Gedanken darüber, was nach ihr in der Welt passiert. „Ich denke darüber nach, wie es sein wird, wenn ich sterbe. Merke ich das? Wie reagiert meine Familie?“ Sie selbst sei nicht gläubig, „aber ich glaube, dass man sich wiedersieht. Ich habe das Gefühl, dass meine Mutter oben wartet. Das nimmt mir die Angst.“
Silvia Busch denkt positiv, wirkt in sich ruhend und nimmt ihr Schicksal zuweilen mit Humor, aber manchmal auch mit Tränen. Ihr fehle der Urlaub, sagt sie, während sie immer wieder hustet. Gern wäre sie noch mal in die Türkei geflogen. Doch fliegen darf sie nicht mehr. Letztes Jahr ging es noch mit dem Auto nach Kroatien. Aber das war schon sehr anstrengend. Sie waren nur einmal am Strand.
Nicht jeden Tag geht es ihr den Umständen entsprechend gut. Der Toilettenstuhl ist ein Marathon. Laufen kann sie nicht. „Ich kriege nicht den einen Fuß vor den anderen.“ Doch der Rollstuhl hat es ihr ermöglicht, noch mal nach Hause zu fahren, um mit den Nachbarn Kaffee zu trinken. Sie muss nichts und darf fast alles. Das Hospiz ermöglicht ihr ein selbstbestimmtes Leben. Grenzen setzt nur die Krankheit. „Ich bin mein eigener Herr“, betont sie.
Lebenswerte Perspektive
Sie möchte, dass das Leben im Hospiz aus der Tabuzone kommt. „Das ist hier eine lebenswerte Perspektive. Zu 150 Prozent.“ Auch wenn es zurzeit nicht danach aussehe, dass sie wieder nach Hause komme. „Letztlich wird es so sein, dass der Tumor siegt.“
Sie hofft auf noch ein paar schöne Augenblicke, wie den in ein paar Tagen, wenn ihr Enkel eingeschult wird. Wenn es gesundheitlich geht, will sie im Rollstuhl dabei sein. Das Hospiz packt ihr eine Tasche mit Notfallmedikamenten. Und dann sagt sie wieder: „Ich bin sehr dankbar dafür.“
- Das Hospiz am Ostpark feiert vom 21. bis 27. August 20-jähriges Bestehen.
- Täglich finden unterschiedliche Veranstaltungen an verschiedenen Orten statt.
- Am Mittwoch, 23.8., ist ab 11 Uhr Tag der offenen Tür, Von-der-Tann-Straße 42. Besucher können das Hospiz und seine Arbeit bei Waffeln und Gutem vom Grill kennenlernen.
- Das ganze Programm der Woche gibt es hier im Netz.
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