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Im Pflegebett erhängt: Wie Sterbenskranke den Lebenswillen behalten können
Sterbe- und Trauerbegleitung
Wer sterbenskranke Menschen bis zum Lebensende begleitet, erlebt ihre größten Nöte mit. Das weiß Heike Breitrück aus eigener Erfahrung. Ein Thema, das dabei lange ein Tabu war: Suizidgedanken.
Der Mann war alt und sehr krank, sterbenskrank. „Ein ganz entzückender Herr, wir haben ihn jahrelang gepflegt“, erinnert sich Heike Breitrück. Dann der Schock: Der weit über 80 Jahre alte Mann erhängte sich in seinem eigenen Pflegebett.
Suizidgedanken zeigen große existenzielle Not
Kein Einzelfall: „Ich habe mehrfach solche Suizide mitbekommen“, sagt Heike Breitrück - seit kurzem ist sie die neue Leiterin des ambulanten Kinder-, Jugend- und Erwachsenhospizdienstes der Maltester Hilfsdienste Dortmund/Schwerte. Zuvor kümmerte sich die 54-Jährige als Krankenschwester mit eigenem ambulanten Pflegedienst um sehr alte, kranke Patienten, begleitete sie auch palliativ.
Und sie merkte während dieser Zeit: „Die medizinische Seite ist eine Sache, aber auch der Redebedarf ist extrem hoch.“ Wer schwer krank ist, der kann des Lebens müde werde, das merkte Heike Breitrück oft.
„Wenn man merkt, man ist im körperlichen Verfall, das ist für denjenigen eine Katastrophe. Die Not, die existenzielle Krise ist groß.“ Noch größer wird die Not, wenn man über die Gefühle nicht reden kann. Als sie noch im der ambulanten Pflege unterwegs war, kam dieser Aspekt, die psychosoziale Komponente, oft zu kurz.
Betroffenen andere Lösungen aufzeigen
Das ist ein Grund dafür, warum Heike Breitrück sich beruflich umorientierte. Seit 2017 arbeitet sie im Hospizdienst, jetzt ist die Wuppertalerin zu den Maltester Hilfsdiensten Dortmund/Schwerte gewechselt. Und ist dankbar dafür, dass die Gesellschaft mittlerweile offener über Suizidgedanken bei Schwerkranken, sogar über assistierte Suizide, bei denen zum Beispiel ein Arzt eine tödliche Substanz zur Verfügung stellt, diskutiert.
Nicht, weil sie Befürworterin der assistierten Suizide ist - sondern, weil sie das Thema in den Blickpunkt rücken, offenere Gespräche ermöglichen will. „Bei über 90 Prozent der Menschen mit dem Wunsch zu sterben kann man anders Abhilfe schaffen“, sagt sie.
Auch die Ehrenamtlichen, die sich bei den Maltestern in der Sterbebegleitung engagieren, können da helfen. Es gibt Leitfäden zur Gesprächsbegleitung bei Sterbewünschen - damit man reagieren kann, wenn es Hinweise in diese Richtung gibt. „Hinter Hoffnungslosigkeit, Sätzen wie ,Es hat alles keinen Sinn mehr‘, steckt oft Lebensmüdigkeit“, so Breitrück.
Ambulante Therapieangebote sind Mangelware
Dann helfe es, mit dem Betroffenen genau hinzuschauen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass man nicht nur der Kranke, sondern eben ein Mensch ist. Was können Sie noch? Was brauchen Sie, damit Sie noch mehr können? Das seien wichtige Fragen, bei deren Beantwortung der Hospizdienst helfen möchte. Wie kann man belastende Symptome der Krankheit lindern? Wie kann man das soziale Netz ausbauen, um Einsamkeit und Isolation zu mildern?
Was Heike Breitrück und ihren Mitarbeitenden in der letzten Lebensphase helfen würde, wären mehr ambulante Therapieangebote: „Die Therapieplatzsuche dauert viel zu lange. Wir bekommen Therapeuten nicht so schnell ans Bett, wie es sein müsste.“
Dabei wäre ein besseres therapeutisches Netz wichtig, um das Lebensende würdig gestalten zu können - und ohne dass Suizidgedanken alles überlagern.
Würdevolles Lebensende - dank gutem Netz
Denn es geht auch anders, wenn alle Räder perfekt ineinander greifen. Auch das weiß Heike Breitrück aus eigener Erfahrung: Gerne erinnert sie sich an die Begleitung einer ALS-Patientin, einer Krankheit, die zur Lähmung der Muskulatur führt.
In Kooperation mit der Familie, Pflegekräften, Ärzten, Hospizbegleitern und der Familie konnte man offen besprechen, wie sich die Frau ihr Lebensende vorstellt „Wenn ich diese Dame und ihre Familie vor Augen habe, wie gut sie gehen konnte, wie gut die Familie das mittragen konnte - ein toller Erfolg, auch für unsere Hospizbegleitung.“
Was bedeutet Trauer- und Hospizarbeit eigentlich?
- Die Malteser Hospizdienste in Dortmund und Schwerte bieten an, Sterbenden, egal welchen Alters, und ihren Familien während der letzten Lebenszeit in ihrem gewohnten Umfeld beizustehen. Ehrenamtliche besuchen die Betroffenen regelmäßig. Sie sorgen für Ablenkung, haben ein offenes Ohr oder schaffen Freiräume für pflegende Angehörige. Wie genau das aussehen kann, wird individuell mit den Betroffenen geklärt.
- Es werden noch Ehrenamtliche für Einsätze in ganz Dortmund gesucht. Ein Infoabend dazu findet statt am Montag, 27.6. um 18 Uhr in den Räumen an der Amalienstraße 21. Bitte telefonisch anmelden unter 0231/1387620. Am 23.9. startet ein Vorbereitungskurs für Ehrenamtliche, Informationen und Termine dazu können auch per Mail angefragt werden: hospizdienste.dortmund@malteser.org
1983 im Münsterland geboren, seit 2010 im Ruhrpott zuhause und für die Ruhr Nachrichten unterwegs. Ich liebe es, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, Fragen zu stellen und vor allem: zuzuhören.
