Der 15. April 1945 ist ein Sonntag. Trotzdem erscheinen heute vor 80 Jahren - zwei Tage nach der endgültigen Befreiung Dortmunds - zehn Beamte der Stadt zum Dienst in ihren provisorischen Büros im Stadthaus, allen voran der kommissarische Oberbürgermeister Dr. Hermann Ostrop.
Es gilt, Dortmunds Neuanfang in Chaos und Trümmern einigermaßen zu organisieren. Mit einem Lautsprecherwagen, den die Engländer zur Verfügung stellen, werden zusätzlich zu den schriftlichen Aushängen die offiziellen Verlautbarungen bekannt gemacht, wird über Ausgehverbot oder die Lage von Wasser-Entnahmestellen informiert und vor Plünderungen gewarnt.
Ein wichtiges Thema ist die Bestattung vieler hundert Leichen, die noch in den Trümmern, in ausgebrannten Häusern und auch in den Baracken der Ausländerlager liegen. Daneben stehen Versorgungsprobleme, Trümmerräumung und die fortlaufenden Plünderungen auf der Tagesordnung der Besprechungen mit der Militärregierung. Die gibt es nun täglich.
„Dortmund glich einem rauchenden Trümmerhaufen“
Nach mehr als 100 Luftangriffen, darunter acht Großangriffen, liegt Dortmund in Trümmern. Auf 7000 wird die Zahl der Todesopfer durch den Bombenkrieg in Dortmund geschätzt. Das Stadtzentrum ist zu mehr als 90 Prozent zerstört.
„Am Ende des Krieges glich Dortmund einem rauchenden Trümmerhaufen“, beschreibt die damalige Stadtarchivarin Luise von Winterfeld das Bild, das Dortmund beim Einmarsch der Alliierten am 13. April 1945 bietet. „Die Mehrzahl der Einwohner hatte Heim und Habe verloren und lebte hungrig und frierend in elenden Notquartieren.“
Interaktive Karte: Die Kriegszerstörungen in Dortmund bei Kriegsende 1945
Wie verheerend und flächendeckend die Bombardierungen Dortmund 1945 zerstört haben, zeigt eine alte Karte des Dortmunder Katasteramts. In ihr wurden die Schäden im ganzen Stadtgebiet dokumentiert, in der Innenstadt oft auf Ebene der Häuserblöcke, in den Stadtteilen teilweise sogar für einzelne Häuser.
Was die Karte zeigt:
gelb: leichter Schaden; blau: mittlerer Schaden; rot: totaler Schaden; es sind Schäden für ganz Dortmund verzeichnet - zoomen Sie heraus und bewegen Sie die Karte, um die Schäden in Ihrer Nachbarschaft zu sehen
Quelle: Katasteramt Dortmund (durch die Übertragung von Papier auf die digitale Form gab es leichte Verzerrungen) / Programmierung: Dennis Bohn
Dortmund hatte so viele Trümmermassen wie keine andere deutsche Stadt
Etwa 325.000 Menschen sind bei Kriegsende noch in der früheren Halbmillionen-Stadt. „Engländer und Amerikaner, mit denen ich in der ersten Zeit zusammenkam, waren erschüttert von den Auswirkungen des Luftkrieges. Sie erklärten, dass sie sich die Auswirkungen nicht so vorgestellt hätten“, berichtet auch Dr. Hermann Ostrop.
Erst langsam beginnt man zu erfassen, wie gewaltig das Ausmaß der Zerstörung ist. Auf 10 Millionen Kubikmeter - Gewerbe- und Industrieflächen nicht mitgezählt - werden die Schuttmassen im gesamten Stadtgebiet geschätzt.
Dortmund kann den traurigen Rekord für sich in Anspruch nehmen, mit 19,2 Kubikmetern Trümmermenge pro Einwohner die am schlimmsten zerstörte Stadt des Ruhrgebiets zu sein und deutschlandweit die größten Trümmermassen aufzuweisen.
Vorher-Nachher-Bilder: Dortmund ist kaum wiederzuerkennen
Wie total die Zerstörung war, wird deutlich, wenn wenn man alte Fotos der kriegszerstörten Stadt 1945 mit dem identischen Blickwinkel heute nachfotografiert.
Sie zeigen eindrucksvoll, dass das Dortmunder Stadtzentrum der Gegenwart quasi nichts mehr mit jenem vor dem Zweiten Weltkrieg zu tun hat. Oft ist es sogar kaum wiederzuerkennen.
Der Westenhellweg:
Das alte Stadthaus (früher: Betenstraße, heute Friedensplatz):
Der Bahnhofsvorplatz am Königswall:
Die Hansastraße mit Blick auf Kampstraße und Westenhellweg:
Der Reinoldikirchhof vom Westenhellweg aus:
Der U-Turm:
Die Dortmunder City aus der Luft:
Fast 70 Prozent der Wohnungen als unbewohnbar
Bei Kriegsende gelten fast 70 Prozent der Wohnungen als unbewohnbar. Die Straßen sind nicht nur mit Trümmern bedeckt, sondern auch mit mehr als 11.000 Bombenkratern übersät. Die Kanalisation ist ebenso schwer getroffen wie die Gas- und Wasserversorgung.
Engländer überlegten, Dortmund zu verlegen
Unter dem Eindruck der gewaltigen Zerstörung wird von den Engländern wie auch von einheimischen Bauexperten sogar überlegt, die Innenstadt an anderer Stelle neu aufzubauen. Ein Vorschlag, dem Ostrop heftig widerspricht. Am Ende gibt wohl den Ausschlag, dass unterirdische Versorgungsleitungen wie Kanäle, Gas- und Wasserleitungen für den Wiederaufbau genutzt werden konnten.
Tatsächlich dauerte es Jahre, die Trümmer zu beseitigen. Etwa ein Drittel war bis Ende 1950 geschafft. Denn die Dortmunder hatten noch ganz andere Sorgen, mussten ihr Überleben in den Trümmern sichern. Lebensmittel und Brennmaterial waren knapp. Hunger und Not waren zeitweise größer als während des Krieges. Bis zum Wiederaufbau und zum Wirtschaftswunder der 50er-Jahre war es noch ein weiter Weg.
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